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Rudolf Borchardt: Demokratie und Humanität

Rudolf_Borchardt_in_Italien1938 verfaßte der Dichter Rudolf Borchardt (1877 – 1945), Protagonist des kulturellen Programms einer „Schöpferischen Restauration“, in Italien, wo er sich seit langem hauptsächlich und während des Nationalsozialismus ausschließlich aufhielt,  ein Werk namens Der leidenschaftliche Gärtner (es erschien erst posthum). An einer Stelle findet sich dort eher etwas beiläufig die Aussage: „Demokratie ohne Humanität ist mit dem ersten Schritte plebejisch, und mit dem zweiten vulgär.“

Dieser dort nicht näher erläuterte Satz verdient eine  Betrachtung. Nicht umsonst stellt ihn Michael Stahl in seinem Buch Botschaften des Schönen. Eine Kulturgeschichte der Antike einem Kapitel über die griechische Polis voran. Zunächst widerspricht die Aussage dem heute gleichsam axiomatischen Konsens, Demokratie und Humanität seien Zwillinge – will heißen: Ohne Demokratie keine Humanität, ohne Humanität keine Demokratie.

Es ist zu fragen, wie die Begriffe „Demokratie“ und „Humanität“ hier aufzufassen seien. Es liegt nahe, daß „Demokratie“ nicht mit dem Mehrheitsprinzip oder dem Parlamentarismus gleichzusetzen ist, sondern daß vielmehr an die funktionierende Gestaltung eines Gemeinwesens unter breiter Beteiligung seiner Angehörigen gedacht wird.

„Humanität“ aber dürfte nun gerade nicht eine autonome Selbstentfaltung des Einzelnen und ein darauf aufbauendes Verständnis menschlichen Zusammenlebens, das sich also ganz nach der vermeintlichen Autonomie des Menschen zu richten hat, meinen. Sondern es dürfte hier um den Menschen in seinem Ganzen gehen, d. h. in seiner geistig-seelisch-leiblichen Verfaßtheit, seiner positiven und negativen Potentiale und seiner Einbindung in zwischenmenschliche Beziehungen.

Ein sich als demokratisch verstehendes Gemeinwesen aber, das diese umfassende Dimension von Humanität nicht ernst nimmt,  man könnte auch sagen, durch eine falsche Auffassung von Humanität ersetzt, muß also  auch zu einer falschen Demokratie  entarten.

Einer solchen, in welcher nicht mehr der Einzelne als Person seinen Wert im Gemeinwesen hat und seine eigene Rolle zum Wohle des Gesamten spielt – sondern in der stattdessen nur sich selbst verpflichtete Einzelne oder Gruppen unter Aufrechterhaltung der Illusion von Mitbestimmung und mithilfe des anonymen Drucks der Massen, der „plebs“, leben.

„plebeius“ kann gemein, nieder bedeuten. „vulgaris“ heißt so viel wie gewöhnlich, alltäglich oder auch massenhaft. Beide Begriffe scheinen einander ähnlich. Wenn Borchardt hier den ersten Schritt als plebejisch, den zweiten als vulgär bezeichnet, so mag das einmal die mit Ausbrüchen des Gemeinen einhergehenden revolutionären Regungen meinen, in deren Zuge  ein  Gemeinwesen in eine pseudohumanitäre entartete Demokratie abgleitet,  andermal die sich nach Abklingen des revolutionären Sturms einrichtende Mittelmäßigkeit,  welche allerdings das Gemeine und Niedere nur in  gesetzter Form fortführt; es wird sozusagen normal.

(Bild: Rudolf Borchardt)

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