Gesichtet

Schwarze Legenden über „Tätervölker“

Gewisse Nationen und Völker haben das Unrecht auf ewig für sich gepachtet. Die Deutschen z.B. können ein Lied davon singen, dass der Rest der Welt sie nicht wirklich leiden kann, und dass nicht erst seit WK I und II, Nationalsozialismus und Holocaust.

Die Gründe dafür, dass einer der ewige Buhmann für all die Anderen ist, liegen tiefer, als man für gewöhnlich annimmt. Es sind genauso ursprüngliche wie unversöhnliche Motive, Wesensgegensätze, Wesensfremdheiten und Wesensfeindschaften. Und erst nachträglich, in konkreten geschichtlichen Manifestationen, bestätigt sich, durch tatsächlich begangene Untaten genauso wie durch einwandfrei nachgewiesene Laster, dass man keinesfalls ungerecht war mit der Vorverurteilung. Sie war nur vorauseilende Gerechtigkeit.

Von Buhmännern und Sündern bis hin zu Verbrechern

Da es weltgeschichtlich nicht wirklich um Gerechtigkeit geht, sondern alles eine reine Machtfrage ist, ist jeder flott dabei, den Splitter im fremden Auge zu sehen und mit erhobenem Zeigefinger auf den Übeltäter zu deuten. Den Balken im eigenen zu gewärtigen, sich selbst an die eigene Nase zu packen, ist nicht nur politisch unklug: spontan kommt es niemanden in den Sinn, es sei denn, man kollaboriert ideologisch mit dem Feind, leidet an einen schlimmen Fairnesswahn oder an einer Vergiftung mit doppeltsaurem Moralin.

Die gewinnsüchtige Ausspielung der Buhmannkarte, die Schadenfreude, die Unbarmherzigkeit und die Hinterlist, sind an der Tagesordnung. Der Buhmann kann dabei ein jeweiliger oder ein ewiger sein. Weltgeschichtliche Verlierer, d.h. einstmals große Völker und Nationen, die im Kampf ums politische Dasein unterlagen, sind meist auf ewig der Buhmann. Wer sich irgendwie irgendwann einmal für jemanden, der tonangebend für eine allgemeine Meinung ist, sich an Mensch(heit) und Kultur versündigt, der wird das Kainsmal niemals wieder los.

Es ist z.B. nicht genug, dass die Deutschen in der Nazizeit Millionen Menschen mit Terror und System gemordet haben. Der nächste Schritt war, zu zeigen, wie die Deutschen ebenfalls Millionen von Menschen auf unmenschlichste Weise als Arbeitssklaven ausgebeutet haben. Menschenschinderei und -vernichtung sind unserer morbiden Gegenwart aber nicht mehr frevelhaft genug.

Dank George Clooneys – mit deutscher Unterstützung! – durchgedrehter Geschmacklosigkeit Monuments Man (2014) wissen wir, dass das größte Verbrechen darin besteht, sich an Kulturgütern zu vergreifen. Eigentlich eine spezifisch deutsche Anschauung, die sich nun in gezielter Klage und Selbstanklage gegen die Deutschen selbst richtet.

Geht mit der Erinnerung der Groll im Laufe der Jahrhunderte trotzdem zurück, oder ist mit der zweckgerechten Darstellung des Unterlegenen als Buhmann nichts mehr zu holen, fällt ihm die Rolle des weltgeschichtlichen schwarzen Schafes zu. Gut studieren kann man dieses Phänomen am Beispiel der Spanier. Diese sind bereits so oft und so lange der Buhmann gewesen, dass es der nichtspanischen Menschheit und sogar einigen Spaniern längst in Fleisch und Blut übergegangen ist, sie für den Buhmann zu halten, wenigstens aber für schwarze Schafe der Weltgeschichte.

Aus Frankreich: Der ewige Ketzereiverdacht

Bereits die fränkischen Merowinger rechtfertigten ihre Beutezüge gegen das spanische Westgotenreich mit dem Argument, es ginge darum, die Ketzerei des Arianismus zu bekämpfen. Aber selbst nach dem Übertritt König Rekkareds (587) zum Katholizismus begleitete der  Ketzereiverdacht die Spanier: Als um 800 der Arianismus längst vergessen war, schädigte die adoptianistische Häresie des Metropoliten von Toledo, Elipand, den Ruf aller Spanier, orthodoxe Christen zu sein.

Schließlich, im 11. Jahrhundert, konnte die von Frankreich ausgehende Cluniazensische Reform den Erfolg für sich verbuchen, die spanische Kirche von der französischen abhängig gemacht zu haben. Der nationale und sehr wohl orthodoxe westgotisch-hispanische Ritus wurde abgeschafft, Spanien Rom treu gemacht. Freilich, um Spanien Rom treu zu machen, bedurfte es der Intrige, des Rechtsbruches sowie unzähliger Gewaltsamkeiten sowie des ausrücklichen Verbotes des Papstes, die spanische Liturgie zu feiern.

Im 13. Jahrhundert benutzen dann die französischen Könige ihre Kreuzzüge gegen die Katarer und Albigenser, um die unter aragonesischer (spanischer) Herrschaft stehenden Territorien Okzitaniens an sich zu reißen. Die Propaganda, die während der Albigenserkriege zum Einsatz kam, reaktivierte den Gedanken, dass es mit der katholischen Orthodoxie der Spanier nicht weit her sei. Im französischen Klamauk-Film Die Besucher (1993) findet sich noch eine Reminiszenz: der Knappe des Ritters Godefroy de Papincourt, Jacquouilles, findet ein Schriftstück, welches bei einem Hexensabbat gebraucht wurde, die Sprache darauf sei eine Mischung aus Westgotisch und Latein – die Sprache der Teufelsanbeter!

Vorurteile, Neid, Groll und Übelwollen seit Anbruch der Neuzeit

In der Neuzeit wirkte das Bild, welches der Humanist Erasmus von Rotterdam (gest. 1536) sich von Spanien gemacht hat, nachhaltig auf die Meinung des gebildeten Europa. Erasmus hatte eine äußerst schlechte Ansicht von Spanien, ein Land, in dem es ihm zufolge nur so von (zum Christentum konvertierten) Juden wimmelte: „Hispania non placet“, schrieb er an Thomas Morus als Antwort auf die Frage, warum er die Einladung des spanischen Staatsmanns, Reformers und bedeutenden Humanisten Kardinal Cisneros´, an seiner neugegründeten Universität Alcalá zu lehren, abgelehnt habe.

Pikanterweise arbeiteten sowohl Erasmus als auch die Universität Alcalá zur selben Zeit an einer kritischen, mehrsprachigen Ausgabe der Bibel. Die Gelehrten Alcalás übertrafen Erasmus an Gründlichkeit und waren auch schneller fertig als er. Ein Zufall kam ihm zu Hilfe: die gesamte Schiffsladung Alcalaer Bibeln versank im Meer.

Spanien war das Neidobjekt der europäischen Staaten und Monarchien: ein reicher, starker und moderner Staat, der sich anschickte, ein Weltreich zu erobern, eine hohe Kultur, deren Einflüssen sich selbst ihre ärgsten Feinde, ja, nicht einmal die Calvinisten und Lutheraner, zu entziehen vermochten. Castiglione, der Verfasser des berühmten Buches vom Hofmann und Gesandter am Hof Karls V., hielt, ohne sich der Schmeichelei schuldig gemacht zu haben, Tracht und Verhaltensweisen des spanischen Adels für die vorbildlichsten in Europa.

Ähnlich Machiavelli grollten aber die meisten Italiener doch den Spaniern, von deren Herrschaft sie bis zum Ende des 18. Jahrhunderts nicht loskommen sollten. Die Italiener der Renaissance waren zudem noch Meister in der Meinungsmache. Die Parallele dazu im Norden waren die damals noch zu Gänze spanischen Niederlanden.

Dorn im Auge und gottgegebener Feind

Wie bereits gezeigt, war man in Frankreich seit undenklichen Zeiten darauf aus, den Spaniern auf allen nur erdenklichen Wegen zu schaden. Zu diesem Zweck scheute François I. nicht davor zurück, eine Allianz mit dem türkischen Sultan einzugehen. Während Spanien an allen Fronten die europäische Christenheit – auch den humanitätsduselnden Pazifisten Erasmus – vor dem Einbruch des Islam verteidigte, betrieb das Erasmus´ genehmere Frankreich – besser: dessen allerchristlichster König François – eine selbstsüchtige, unchristliche und nationale Machtpolitik.

Frankreichs antispanische Propaganda wollte nicht eher ruhen, bis derselbe Enkel Ludwig XIV., Philipp von Anjou, als Philipp V. 1700 den spanischen Thron bestieg. Erst dann hörte Spanien auf, ein Dorn im Auge der Franzosen zu sein.

In England hatte Heinrich VIII. es sich mit den Spaniern gründlich verscherzt: da seine Ehe mit der Tante des spanischen Königs und deutschen Kaisers Karl (V.), Katharina von Aragón, vom Papst nicht geschieden wurde, sagte er sich kurzerhand von Rom los und machte sich selbst zum Oberhaupt der schismatischen englischen Nationalkirche.

Die Tochter Katharinas, Maria – für die reformierten Angelsachsen Bloody Mary – stellte durch ihre Heirat mit Philipp II. von Spanien für kurze Zeit die katholische Einheit wieder her. Doch nach ihrem Tod und mit der Thronbesteigung Elisabeths nahm Englands Politik den antispanischen Kurs, den sie bis heute fortsetzt. Leser von Carl Schmitt mögen an den „Begriff des Politischen“ erinnert sein, wo Schmitt Oliver Cromwell zitiert, dem der Spanier der „gottgegebene Feind“ ist.

Das mit der Inquisition

Zwischen dem 16. und dem 17. Jahrhundert entstand auch die antispanische „Schwarze Legende“, an der fleißig Deutsche, Niederländer, Franzosen und Engländer, aber auch abtrünnige Spanier arbeiteten. Wer sich ein Bild von ihr machen will, braucht nur Ridley Scotts filmische Darstellung spanischer Zustände in 1492 – Die Eroberung des Paradieses (1992) anzuschauen.

Der „Schwarzen Legende“ zufolge ist Spanien das klassische Land des Fanatismus und, davon abgeleitet, der religiös motivierten unmenschlichsten Grausamkeit. Fester Bestandteil der „Schwarze Legende“ ist daher die Inquisition, die gerade in Spanien besonders fürchterlich, fanatisch und grausam gewesen sein soll. Dabei war die Inquisition der Spanier nicht fürchterlicher als andere, protestantische und calvinistische „Inquisitionen“.

Der spanische Arzt und Wissenschaftler Miguel Servet z.B. wurde in Genf von Calvinisten verbrannt. Und für das, was die Engländer, Franzosen und Deutschen ihren Hexen antaten, findet sich keine Parallele in Spanien. Tatsächlich waren Hexenprozesse in Spanien höchst selten. Innerhalb der Schwarzen Legende ist die „Inquisition“ für die Spanier ebenso singulär, wie „Auschwitz“ für die Deutschen. Was von dergleichen „Singularitäten“ zu halten ist, will ich lieber nicht sagen. Es könnte gegen mich verwendet werden.

Ausläufer der „Schwarzen Legende“

Zur „Schwarzen Legende“ gehört ebenfalls der unvermeidliche Hinweis auf die „Schandtaten der Spanier in Amerika“. Eine Anekdote aus meiner Gymnasialzeit dazu: Ohne damals von der „Schwarzen Legende“ als solcher etwas zu wissen, wurde ich im Unterricht der katholischen Religion mit diesem unentbehrlichen Muss verstaubtester antispanischer Propaganda konfrontiert.

Die Referendarin, Frau P., verteilte ein Bild, auf dem grimmig dreinschauende Konquistadoren mit Gewehr und Peitsche in der Hand die armen Indios zur Arbeit antrieben. Die Aufgabenstellung lautete: Male ein Bild, wie es besser sein könnte! Bereits mit dreizehn oder vierzehn Jahren war ich solcher Darstellungen derart überdrüssig, dass ich sofort ein trotziges Bild malte, auf dem die Konquistadoren lächelten und, anstatt Gewehre und Peitschen, Sensen hochhielten.

Und auch die Indios waren nicht traurig, sondern glücklich bei der Arbeit. Die Referendarin war natürlich fassungslos, mir aber war ihre Fassungslosigkeit egal, mein Stolz war mir wichtiger.

(Bild: Die Methoden der Inquisition)

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