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Talmon entdecken

talmonBeim monatlichen Diskussionsabend im Zentrum für Jugend, Identität und Kultur gab Publizist Uwe Ullrich eine kurze Einführung zu Jacob Talmon. Sein Hauptwerk Die Geschichte der totalitären Demokratie umfasst drei Bände, wird in der deutschen Totalitarismusforschung jedoch kaum rezipiert.

Ullrich verwies aber darauf, daß frühe ideologiekritische Schriften gerade wieder eine Renaissance erleben. Die aktuelle Neuauflage von Talmons zu insgesamt 1746 Seiten gebundenen Werk wurde von Uwe Backes, dem stellvertretender Direktor des Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden, herausgegeben.

So beschreibt Talmon im ersten Band „Die Ursprünge der totalitären Demokratie“. Die Wurzel des Totalitären sieht er im politischen Messianismus des 18. Jahrhunderts und verweist auf die Herrschaft der Jakobiner. In Band II, „Politischer Messianismus: Die romantische Phase“ geht der Historiker vertiefend auf messianische Vorstellungen von Sozialismus und Nationalismus ein, deren Ideen und Wirklichkeit sowie auf das Revolutionsjahr 1848 und dessen Scheitern.

Daraus zieht er seine Schlussfolgerungen, die Talmon im dritten Band „Der Mythos der Nation und die Vision der Revolution“ aufgreift. So analysiert er den entwicklungsgeschichtlichen Verlauf von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die 1920er Jahre hinein an sozialistischen Denkern und verschiedenen Staaten.

Zur Person Jacob Talmon sei noch angemerkt, daß der Sohn orthodoxer Juden 1916 als Jakov Leib Fleischer in Polen geboren wurde. 1934 wanderte er nach Jerusalem aus, um dort an der Hebräischen Universität zu studieren. Sein Studium setze er ab 1939 in Frankreich fort und verließ das Land ein Jahr später gen London, wo er 1943 an der London School of Economics promovierte. Später lehrte er als Professor für zeitgenössische Geschichte an der Universität von Jerusalem. Talmon, der als strenger Anti-Marxist galt, verstarb 1980.

Nach der Vorstellung von Talmons Leben und Wirken diskutierten die Gäste mit Referent Ullrich noch über totalitäre Ideologien. Es folgte ein kontroverser Meinungsaustausch auf höchstem Niveau zwischen den Teilnehmern, der die unterschiedlichen Standpunkte zwischen philosophischer und politikwissenschaftlicher Herangehensweise verdeutlichte. Es ging um Fragen wie:

  • Kann auch der Liberalismus eine totalitäre Form ausbilden? Hat er es vielleicht sogar schon?
  • Was sind die Vorzüge von Faschismus-Theorien wie von Ernst Nolte?
  • Was sind die Vorzüge von Totalitarismus-Theorien wie von Talmon oder Hannah Arendt?

Ullrich verwies darauf, daß man in solch einem Kontext immer den Bedeutungswandel von Begriffen wie z.B. Demokratie beachten müsse. Talmons umfangreiche Schrift biete, unabhängig vom eigenen Standpunkt, jedoch eine hervorragende Primärquelle für die Analyse von totalitären Systemen.

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