Rezension

Trump auf der Buchmesse

Die Frankfurter Buchmesse als reines Digitalevent macht ohne Rummel und Gerempel keinen Spaß mehr. Immerhin empfing Open Books, das traditionelle Lesefest zur Bücherschau, noch Publikum, wenn die fast 100 Lesungen und Podien auch nur unter den bekannten Corona-Auflagen stattfanden.

SWR 2 sprach in der Evangelischen Akademie über vier Bücher seiner Bestenliste für November. Moderator Carsten Otte wünscht sich donnernden Applaus nach seiner Einführung, schließlich wird das Gespräch mit drei Literaturkritikern später gesendet und die Hörer an den Endgeräten sollen denken, dass „hier ein bisschen Publikum da ist“.

Platz 1 ging an Das Hohe Lied, den neuen episodenhaften Roman der US-amerikanischen Schriftstellerin Nell Zink. Er fängt mit einer Milieustudie des US-Musikbusiness in den späten 80er Jahren an, steigert sich zu einem Drei-Generationen-Familienroman, kann das gute Niveau aber nicht halten, da sich die Protagonistin in eine Öko-Aktivistin verwandelt, die vorbildlich alle Kräfte gegen Trumps Präsidentschaftswahl 2016 mobilisiert.

Carsten Otte glaubt, dass „der ungeheuer aktuelle Roman“ auch als eine Art Anklageschrift gegenüber einer Generation zu lesen sei, die es nicht geschafft habe, Donald Trump zu verhindern. FAZ-Kulturredakteur Jan Wiele pflichtet ihm bei. Dem freien Literaturkritiker Eberhardt Falcke „leuchtet sehr ein“, dass Nell Zink an einer Stelle in ihrem Roman Donald Trump als „Es dieser Gesellschaft“ bezeichnet. Auf besorgte Nachfrage am Rande des Podiums kann Eberhardt Falcke jedoch klarstellen, dass die Autorin mit Es nur das Freudianische gemeint habe und nicht etwa das Stephen Kingsche.

Richtig unklar wird es dafür später im historischen Rathauskeller. Der bekannte Wissenschaftsautor und Biograph Jürgen Neffe liest aus seinem Buch „Das Ding. Der Tag, an dem ich Donald Trump bestahl“, in dem er unter anderem seine Begegnungen als Spiegel-Korrespondent mit dem damaligen New Yorker Immobilienmogul Donald Trump verarbeitet. Der Titel ist so wenig greifbar wie der Inhalt selbst, der sich nicht zwischen Sachbuch, Roman, Satire, Autobiographie und politischen Kommentierungen entscheidet.

Es ist auf der Messe zu beobachten, dass für viele Autoren die literarische Gattung Roman nur noch ein Etikett zu sein scheint, unter dem sie sich alles ermöglichen. Trotzdem großer Jubel: Für BuchMarkt „ein unvergleichlicher Roman von hoher politischer Bedeutung für Europa“. Für den an diesem Abend uninteressierten Moderator Denis Scheck so kurz vor den US-Wahlen „das Buch der Stunde“. Nur welche Enthüllungsbombe soll denn platzen?

Sitzt der Autor nicht neben dem Moderator auf dem Podium und erklärt, dass er „ähnlich wie sein Protagonist Donald Trump das Spiel mit Wahrheit und Lüge auf die Spitze getrieben hat?“ „Meine Freunde rätseln alle, ob meine Begegnungen mit Trump wahr sind oder Fiktion, meistens liegen sie falsch.“ Und jetzt? Wo schon die eigenen Freunde nicht durchblicken.

Ohne Nachfrage am Rande des Podiums geht es also nicht. Der Schriftsteller bestätigt, dass er mit folgender Passage seines Buches selbst gesprochen hat: „Das Phänomen Trump stellt so etwas dar, wie die Auflösung der Formel zum Verständnis unserer Welt. Wer ihn pathologisiert, beschreibt nur die Krankheit unserer Zeit.“ Sehr ähnlich klingt es bei Mary L. Trump, der Nichte des US-Präsidenten und promovierten klinischen Psychologin, die in der jüngsten Enthüllung, dem Familienklatschbuch Zu viel und nie genug, Donald Trump als soziopathischen Narzissten darstellt, „der heute die Gesundheit, die wirtschaftliche Sicherheit und das soziale Gefüge der Welt bedroht“.

Trump unangespitzt in den Boden zu rammen, ist wohlfeil. Doch gibt es nicht auch Gutes über den US-Präsidenten zu berichten? Vielleicht seine Justizreform, die zur Freilassung zahlreicher schwarzer Häftlinge führte. Der Tagesspiegel kommentierte seinerzeit: „Weitgehend unterhalb der europäischen Wahrnehmungsschwelle ereignet sich in den USA eine fundamentale Reform in der Strafjustiz. Präsident Donald Trump hat ein Gesetzespaket unterzeichnet, das vor allem ein Ziel verfolgt: verurteilte Straftäter aus Gefängnissen herauszuholen oder gar nicht erst hineinzubringen.“ Sein demokratischer Konkurrent um das US-Präsidentenamt, Joe Biden, hatte 1994 noch eine Justizreform mit deutlich härteren Strafen unterstützt, die zu Massenverhaftungen von Schwarzen führte.

An dieser Stelle sollte man Jürgen Neffe – den Verfasser großer Biographien über Karl Marx, Charles Darwin und Albert Einstein – hinter sich lassen, um das Handeln Trumps zu verstehen. Aber immerhin, mit seiner ins Publikum geworfenen Sentenz am Ende der Lesung könnte er recht behalten: „Es sind nur noch zwei Wochen bis zu den Wahlen. Unterschätzt Donald Trump nicht! Mit dem Rücken zur Wand läuft er zur Hochform auf.“

Dieser Beitrag erschien leicht variiert zuerst in der Jungen Freiheit.

(Bild: Daniel Voyager, flickr, CC BY 2.0)

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