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Über die deutsche Strafjustiz – Hegel angewandt

hegelDie doch sehr heftigen emtionalen Reaktionen im Hinblick auf die Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Tod von Daniel S. im Kirchweyhe unter dem Blog-Eintrag von Felix Menzel haben mich bewogen, einmal zum Thema Strafe und Strafhöhe Stellung zu nehmen.

Nun zugegeben ist der kalte Blick auf die Sache auch mir nicht immer zueigen gewesen und vielleicht auch gar nicht immer angebracht. Jedoch sieht man als Jurist mit vertieftem rechtsphilosophischen Grundlagenwissen und dem Einblick in die Rechtspraxis die Dinge dann doch noch einmal anders. Ich bitte die besonders Empörten diese Sichtweise einmal zur Kenntnis zu nehmen:

Interessant ist in der bundesdeutschen Strafjustiz ganz allgemein, dass Körperverletzungsdelikte im Vergleich zu Vermögensdelikten wie Betrug, Diebstahl und Steuerstraftaten relativ mild bestraft werden. Zumindest insoweit, als dass dem Straftäter auch mehrmals die Möglichkeit zur Besserung eingeräumt wird. Daraus zieht der juristische Laie den (Kurz-)Schluss, der Staat kapituliere vor der Gewalt und sei lediglich bestrebt sich dann Geltung zu verschaffen, wenn es ums Geld geht.

Unser alter Philosoph des Deutschen Idealismus, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, hat in seinen Grundlinien zur Philosophie des Rechts von 1821 aber bereits klar gemacht, dass mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und des freiheitlichen Staates die Strafen umso milder werden müssen, je weniger objektiv gefährlich die Straftaten für den Bestand der geltenden Rechtssätze sind. Nun ist es zwar richtig, dass Tötungsdelikte und Körperverletzungsdelikte im Hinblick auf den Einzelnen nach wie vor am schwerwiegendsten sind, weil sie die größte Eingriffsintensität aufweisen. Aber die Notwendigkeit sie mit aller Härte zu verfolgen, und das heißt auch, die Anforderung an den Nachweis des Vorsatzes herunterzuschrauben (!), ist geringer als in früheren Jahrhunderten, in denen Fehde und Duell allgemein waren, weil die einzelne Tötung oder Körperverletzung (noch?) nicht geeignet ist, das Tötungs- und Verletzungsverbot im Allgemeinen zu negieren.

Im Gegensatz dazu stehen die Eigentums- und Vermögensdelikte. Aus dem Faktum der ungleichen Vermögensverteilung wird häufig das Recht zum „Diebstahl“ im Sinne Robin Hoods abgeleitet. Oder aus der Existenz des Steuerstaates ein vermeintliches Notwehrrecht, das gebiete Steuererhebungen des Staates zu vermeiden. Hier sehen viel stärker verbreitete Selbstrechtfertigungstendenzen, die in der Tat im Vergleich mit Tötungs- bzw. Körperverletzungsdelikten auf eine wesentlich breitere Akzeptanz stoßen, weswegen eine striktere Verfolgung diese Delikte gerechtfertigt erscheint. Denn die weitverbreitete Tendenz, die staatlich sanktionierte Geld- und Einkommensverteilung sowie die staatliche Eigentumsordnung nicht zu beachten, gefährdet die Geltung dieser Rechtssätze und Verbote aus Sicht der Justiz weitaus stärker.

Die verhältnismäßig geringeren Strafen für Körperverletzungen und Tötungen ergeben sich aus der besonders stabilen gesellschaftlichen Achtung vor den zugrundeliegenden Rechtsgütern Leib und Leben. Und nicht etwa aus dem Gegenteil, mithin daraus, dass dem Justizapparat das Leben der Deutschen einerlei wäre. Daraus resultieren dann auch die unterschiedliche Tendenzen zur Strafzumessung. Ob es wirklich noch richtig ist, dass die Rechtsgüter Leib und Leben allgemein die Wertschätzung erfahren, von der der bürgerliche Rechtsstaat aufgrund der privaten Lebenswirklichkeit seine Repräsentanten in Amt und Würden gegenwärtig ausgeht, ist daher die eigentlich interessante Frage.

Zum Abschluss noch ein Hinweis: Die Rechtsprechung stellt an den Nachweis des Tötungsvorsatzes höhere Anforderungen, weil sie nach der Hemmschwellentheorie davon ausgeht, dass für den Entschluss jemanden zu töten, eine besondere Hemmschwelle überwunden werden müsse. Ob das noch dauerhaft haltbar ist, ist fraglich. Nichtsdestotrotz ist ein Strafverfahren kein Spaß und erst recht nicht der Ort um Rachegelüste auszuleben. Das Gericht ist gezwungen auf die inneren Motive aufgrund der äußeren Tatumstände rückzuschließen. Und dabei kommt es auch immer darauf an, was aktenkundig ist und was nicht. Der Richter war nicht dabei und ihr wart es auch nicht. Das ist eben die Krux bei Tötungsdelikten, dass oft der einzige auswertbare Zeuge tot ist.

(Bild: Hegel von Jakob Schlesinger 1831)

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