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Goethe: „Übermacht“ aus dem Buch des Unmuths

Übermacht, ihr könnt es spüren,
Ist nicht aus der Welt zu bannen:
Mir gefällt, zu konversieren
Mit Gescheiten, mit Tyrannen.

Da die dummen Eingeengten
Immerfort am stärksten pochten,
Und die Halben, die Beschränkten
Gar zu gern uns unterjochten,

Hab‘ ich mich für frei erkläret
Von den Narren, von den Weisen;
Diese bleiben ungestöret,
Jene möchten sich zerreißen.

Denken, in Gewalt und Liebe
Müssten wir zuletzt uns gatten,
Machen mir die Sonne trübe
Und erhitzen mir den Schatten.

Hafis auch und Ulrich Hutten
Mussten ganz bestimmt sich rüsten
Gegen braun‘ und blaue Kutten;
Meine gehn wie andre Christen.

„Aber nenn‘ uns doch die Feinde!“
Niemand soll sie unterscheiden:
Denn ich hab‘ in der Gemeinde
Schon genug daran zu leiden.

Wenn du auf dem Guten ruhst,
Nimmer werd‘ ich’s tadeln;
Wenn du gar das Gute tust,
Sieh, das soll dich adeln!
Hast du aber deinen Zaun
Um dein Gut gezogen,
Leb‘ ich frei und lebe traun
Keineswegs betrogen.

Denn die Menschen, sie sind gut,
Würden besser bleiben,
Sollte nicht, wie’s einer tut,
Auch der andre treiben.
Auf dem Weg, da ist’s ein Wort,
Niemand wird’s verdammen:
Wollen wir an einen Ort,
Nun, wir gehn zusammen.

Vieles wird sich da und hie
Uns entgegenstellen:
In der Liebe mag man nie
Helfer und Gesellen;
Geld und Ehre hätte man
Gern allein zur Spende;
Und der Wein, der treue Mann,
Der entzweit am Ende.

Hat doch über solches Zeug
Hafis auch gesprochen,
Über manchen dummen Streich
Sich den Kopf zerbrochen;
Und ich seh‘ nicht, was es frommt,
Aus der Welt zu laufen,
Magst du, wenn’s zum Schlimmsten kommt,
Auch einmal dich raufen.

Als wenn das auf Namen ruhte,
Was sich schweigend nur entfaltet!
Lieb‘ ich doch das schöne Gute,
Wie es sich aus Gott gestaltet.

Jemand lieb‘ ich, das ist nötig;
Niemand hass‘ ich; soll ich hassen,
Auch dazu bin ich erbötig,
Hasse gleich in ganzen Massen.

Willst sie aber näher kennen?
Sieh aufs Rechte, sieh aufs Schlechte;
Was sie ganz fürtrefflich nennen,
Ist wahrscheinlich nicht das Rechte.

Denn das Rechte zu ergreifen,
Muss man aus dem Grunde leben,
Und salbadrisch auszuschweifen,
Dünket mich ein seicht Bestreben.

Wohl, Herr Knitterer, er kann sich
Mit Zersplitterer vereinen,
Und Verwitterer alsdann sich
Allenfalls der beste scheinen!

Dass nur immer in Erneuung
Jeder täglich Neues höre,
Und zugleich auch die Zerstreuung
Jeden in sich selbst zerstöre.

Dies der Landsmann wünscht und liebet,
Mag er Deutsch, mag Teutsch sich schreiben,
Liedchen aber heimlich piepet:
„Also war es und wird bleiben.“

(West-Östlicher Divan, Rendsch Nameh – Buch des Unmuts)

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