Gesichtet

Unser Gesundheitswesen krankt an Profitgier

Unser Gesundheitssystem ist krank! Der Deutsche Landkreistag hat unlängst Alarm geschlagen. 47 Prozent der Kliniken erwarten für das Jahr 2020 rote Zahlen. Das liegt in diesem Fall vor allem an der Corona-Pandemie – möchte man meinen. Betten müssen frei gehalten und Operationen verschoben werden.

Die „Corona-Pandemie“ ist jedoch lediglich Katalysator, keinesfalls Ursache. Diese liegt in der Reform des Gesundheitssystems unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder aus dem Jahr 2003. In diesem Jahr wurde die sogenannte Fallpauschale eingeführt. Ab da wurde jede Art von Behandlung nach einem festen Schlüssel vergütet – unabhängig von der Schwere des Falls und Länge des Krankenhausaufenthalts des Patienten.

Geburten: Geringer Ertrag, großer Aufwand

Wenn die Kliniken nicht mehr nach Aufwand abrechnen dürfen, sondern eine von vornherein vorgeschriebene Summe für jeden Patienten bekommen, sind lange Liegezeiten natürlich Kassengift. Schnell übersteigen die Kosten die Einnahmen und der Patient wird ein Verlustgeschäft. Ein gutes Beispiel hierfür sind Geburten. Die Vergütung ist gering und der Aufwand groß. Wen wundert es, dass immer mehr Kliniken ihre Kreißsäle schließen. Lieber werden planbare Operationen gemacht, die kurze Liegezeiten und hohe Rendite versprechen, beispielsweise Operationen an der Wirbelsäule. Eine solche OP wird hoch vergütet. Von 2005 bis 2015 ist die Anzahl dieser Operationen in Deutschland daher auch um 71 Prozent gestiegen.

Krankenhäuser werden seit 2003 wie Unternehmen geführt, die Gewinn erwirtschaften müssen. Deswegen wird lieber am Herz operiert als Diabetes behandelt, denn ersteres bringt mehr Geld. 2017 wurden in Deutschland allein 700.000 Eingriffe an der Wirbelsäule gemacht und 900.000 Herzklappenkatheter eingesetzt. Davon waren längst nicht alle Operationen medizinisch notwendig. Wie sonst lässt es sich erklären, dass in Deutschland relativ zur Bevölkerung gesehen viermal mehr Stands und doppelt so viele Beipässe gelegt werden wie in Dänemark oder Schweden und das bei gleicher Herzsterblichkeit? Es gibt sogar schon Krankenhäuser, wo die Betten eine Art Uhr haben, die dem Krankenhaus genau den Zeitpunkt mitteilt, ab wann der darin liegende Patient zur finanziellen Belastung wird. Kranke Menschen werden so auf einen wirtschaftlichen Faktor reduziert.

Früher Notstand, heute Normalität

Um die Kosten zusätzlich zu drücken, wurde die Zahl des Pflegepersonals auf eine unbedingt notwendige Notbesetzung eingedampft. Heute kommen in Deutschland auf eine Pflegerin im Schnitt 13 Patienten. Was früher als Notstand bezeichnet wurde, ist heute Normalzustand. Die Folge: die medizinische Betreuung und Pflege wird immer schlechter.

Ein zentrales Argument für die Fallpauschale war immer, diese sei kosteneffizienter und damit günstiger für die Allgemeinheit. Doch wie sich gezeigt hat, war das auch nur Augenwischerei. 1991 betrugen die Krankenhauskosten 35 Milliarden Euro, 2003 waren es 55 Mrd. und 2017 stieg diese Summe auf 86 Mrd. Euro. Seit der Einführung der Fallpauschale hat sich der Anstieg der Kosten also noch beschleunigt. Seit der Gesundheitsreform gibt es weniger Betten, weniger Pflegepersonal, aber die Kosten steigen sogar schneller? Gesteigerte Effizienz sieht anders aus!

Eine weitere „Errungenschaft“ der Gesundheitsreform ist die Privatisierung der Kliniken. Mittlerweile sind rund ein Drittel der Kliniken in privater Hand – mehr als in jedem anderen Industrieland. Vor allem die privaten Krankenhauskonzerne wie Helios oder das Rhön-Klinikum haben wesentlich dazu beigetragen, dass die Privatisierung das Gesundheitswesen in Deutschland vorangetrieben wurde.

Ideengeber der Reform im Jahr 2003 war zum Beispiel das WWU Münster. Dieses gehört zum Centrum für Krankenhausmanagement (CKM) und das wiederum zur Bertelsmann-Stiftung. Nachdem die Reformen abgeschlossen waren, wurden diese unter anderem von „Experten“ des „Gesundheitsmonitors“ gelobt. Dieser gehört auch zur Bertelsmann-Stiftung. Die Stiftung lobt selbst ihre Arbeit als kompetent.

Es geht aber noch weiter. Das CKM wird von Prof. Dr. Wilfried von Eiff geleitet, der diesbezüglich die Parole „Qualitätssteigerung bei sinkenden Kosten“ vertrat. Er hatte das Land Hessen bei der Frage beraten, ob das Uniklinikum Gießen/Marburg privatisiert werden sollte. Seit 2006 gehört das Uniklinikum dem Rhön-Klinikum. Im Aufsichtsrat des Rhön-Klinikums saß von 2002 bis 2020 eine gewisse Frau Brigitte Mohn. Sie ist nicht nur Gesellschafterin der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft, sondern sitzt auch im Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Diese Stiftung rät regelmäßig dazu, Kliniken in öffentlicher Hand abzustoßen, die dann vom Rhön-Klinikum geschluckt werden.

Tricksereien mit hauseigenen Stiftungen

Der private Krankenhauskonzern hat nicht nur durch Lobbyarbeit aktiv die Fallpauschale durchgesetzt und die Kliniken damit wirtschaftlichem Leistungsdruck ausgesetzt, sondern veranlasste auch in zahlreichen Fällen die Privatisierung öffentlicher Krankenhäuser durch das Gutachten quasi hauseigener Stiftungen.

Nach der Übernahme können die Kliniken dann so umstrukturiert werden, dass fortan mehr teure Hüftgelenke eingesetzt und andere gewinnbringende Operationen durchgeführt werden, wohingegen „unrentable“ Fälle auf der Strecke bleiben, beziehungsweise den immer weniger werdenden öffentlichen Kliniken überlassen werden. Diese rutschen dadurch noch mehr ins Minus – ein Teufelskreis. Deutsches Steuergeld fließt damit nicht mehr zugunsten des Wohls der Patienten, sondern vielmehr über die Patienten in die Taschen dieser privaten Krankenhausgesellschaften. Und das alles dank der Fallpauschale.

Über diese nicht hinnehmbaren Zustände regt sich allerdings inzwischen vermehrt Protest in der Ärzteschaft, wie eine Rede der Vorsitzenden des Marburger Bundes, Dr. Susanne Johna, anlässlich des 19. Europäischen Gesundheitskongresses belegt: „Wir müssen das Finanzierungssystem ganz neu aufstellen.“ Fallpauschalen würden falsche Anreize setzen. Es würde ein „beinahe schon ruinöser Verdrängungswettbewerb“ stattfinden.

Privatisierung als Allheilmittel?

Die allgemeine Hoffnung aber, die diesbezüglich in die „Corona-Pandemie“ als Augenöffner gesetzt wird, ist womöglich vergebens. Der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Münch, Prof. Dr. Boris Augurzky, prognostiziert, nach der Krise würde sich der Trend nur fortsetzen, weil viele Kommunen kaum oder gar kein Geld mehr hätten. Privatisierung sei der einzige Ausweg. Der Gründer der Stiftung Münch, Eugen Münch, ist Großaktionär und Mitgründer des Rhön-Klinikums. Dann weiß man ja wenigstens, wohin die Reise geht.

Für Pflegekräfte und nicht zuletzt für Patienten wäre es besser, nicht mit ihnen Geld verdienen zu wollen. Und dennoch wird es getan. Zulasten der Versorgung und Betreuung kranker Menschen. Die vier größten privaten Krankenhausgesellschaften – Helios, Asklepios, Fresenius und das Rhön-Klinikum – haben 2018 zusammen einen Gewinn von einer Milliarde Euro erwirtschaftet. Damit hätte man rund 22.000 Krankenschwestern finanzieren können. Wer meint, im Gesundheitswesen sollte Profitgier vorherrschen, hat den Sinn dessen nicht verstanden!

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