Anstoß

Verbotene Wörter

In der Schule wurde mir beigebracht, je größer der Wortschatz, desto präziser kann man seine Umwelt beschreiben und desto genauer wird das Bild der Realität.

Sich gewählt auszudrücken heißt, präzise und genau zu sprechen. Sprache ist der Horizont menschlichen Denkens, könnte man auch sagen. Denn nur was ich beschreiben kann, kann ich begreifen und verstehen. Darum war Belesenheit lange Zeit ein Ideal. Denn, so die Idee, jemand der viel liest, weiß mehr. Nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich. In konservativen Kreisen gilt die Belesenheit nach wie vor als erstrebenswertes Ideal. Der konservative Verleger Götz Kubitschek meinte dazu einmal auf einer Veranstaltung in Schnellroda, sein Verlag sei unter anderem dafür da, jungen Menschen das Projekt der „eigenen Bibliothek“ zu ermöglichen.

Sprachverbote für „verbrannte“ Begriffe

Nun ist es aber so, dass in der Gesellschaft seit einigen Jahren und Jahrzehnten immer wieder die Forderung nach Sprachverboten laut werden. Konkret wird gefordert, dass gewisse belastete Worte aus dem offiziellen Sprachgebrauch entfernt werden sollen. Wenn von gewissen Worten die Rede ist, geht es natürlich um politische Begriffe. Und damit sind gewiss keine linken Begriffe gemeint, sondern vielmehr die, die im Wortschatz rechter Denktraditionen zu Hause sind. Begründet wird dieses Vorgehen zumeist damit, dass bestimmte Begriffe schon allein dadurch verbrannt seien, weil sie von Nationalsozialisten verwendet wurden.

So kam mir neulich ein Interview mit dem Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch von der FU in Berlin unter. Geführt und veröffentlicht wurde es von Journalisten und im Internetauftritt der Förderklasse der deutschen Journalistenschule, auch bento.de genannt. Zu Beginn wurde die Frage gestellt: „Benutzt du diese Nazisätze – ohne es zu wissen?“ Quintessenz des Gesprächs war: Es gebe viele Begriffe, die von den Nazis verwendet wurden und daher mit äußerster Vorsicht zu gebrauchen seien.

Ist „Mädel“ schon ziemlich Nazi?

Darunter fielen zum Beispiel Wörter wie „Lügenpresse“, „Volk“ oder „Mädel“. Kann man laut der Expertenmeinung des Sprachwissenschaftlers das Wort Mädel heute wieder einigermaßen bedenkenlos hernehmen – nachdem es von den Nazis dazu missbraucht wurde, indem sie die Mitglieder ihrer weiblichen Jugendvereinigung so nannten – sind andere Wörter noch brandgefährlich.

Die Bedeutung des Wortes „Volk“ beispielsweise wäre von den Nationalsozialisten von einem reinen staatsrechtlichen Begriff zu einem ethnischen umgewandelt worden. Und da „Volk“ auch heute noch so verwendet wird, sollte man es tunlichst vermeiden. Wenn der Begriff des Volkes so gefasst werden würde, wie die Nazis es taten und wir ihn auch so verwenden – das gilt auch für alle Linken, die sich gegen den Fortbestand des Volkes wenden, weil sie ebenso die besagte Definition implizieren – würden wir uns an „nationalsozialistische Denkmuster“ gewöhnen. Gut, das Wort „Lügenpresse“ wurde in der Tat von den Nazis erfunden.

Ein sehr gewagtes Ausschlusskriterium, wenn man alles ausschließt, was womöglich auch die Nazis gedacht und verwendet hatten. Denn den Volksbegriff in ethnischer Hinsicht zu gebrauchen ist nicht erst 80 Jahre alt. Man denke nur an das Gedicht Des Deutschen Vaterland von Ernst Moritz Arndt, 1813 geschrieben und 1814 auf einem Flugblatt das erste Mal veröffentlicht. Es fällt damit in die Zeit des Aufkommens nationaler Ideen in Deutschland.

„Was ist des Deutschen Vaterland?
So nenne mir das große Land!
So weit die deutsche Zunge klingt
Und Gott im Himmel Lieder singt,
Das soll es sein!
Das, wackrer Deutscher, nenne dein! (…)
Das ist des Deutschen Vaterland,
Wo Zorn vertilgt den wälschen Tand,
Wo jeder Franzmann heißet Feind,
Wo jeder Deutsche heißet Freund –
Das soll es sein!
Das ganze Deutschland soll es sein!“

Es geht im Wesentlichen um die Frage, welche deutschen Stämme in einem Gesamtdeutschland sein sollten. Hier wird noch in voller Selbstverständlichkeit von deutschen Stämmen geredet, also auch von Abstammung.

Ohne juristische Verbote können Verbote viel nachhaltiger wirken

Gegen ein rigoroses Verbot jener schlimmen Wörter ist der Sprachwissenschaftler dann aber doch nicht. „Ob man einen Sprachgebrauch verbieten sollte, muss man sich ganz genau überlegen, denn das könne sehr schnell die Meinungsfreiheit einschränken.“ Wir bräuchten eher einen „sensiblen Umgang mit Sprache und ein Bewusstsein darüber, wie sehr sie noch immer von der Nazizeit geprägt ist“. Ein Verbot würde ja auch viel zu sehr nach Diktatur aussehen.

Man setzt lieber darauf, den Leuten immer wieder verbal einzuprügeln, welche Wörter nun belastet sind und welche nicht. Genauer betrachtet, erreicht man das angestrebte Ziel so auch nachhaltiger. Denn im Gegensatz zu klassischen Verboten, die von den Menschen als Fremdbestimmung wahrgenommen und daher womöglich abgelehnt werden könnten, werden mithilfe gebetsmühlenartiger Wiederholungen diverser Warnungen vor den braunen Wörtern eher eine Akzeptanz erreicht, weil ja schließlich niemand auch nur im Entferntesten etwas mit nationalsozialistischer Ideologie zu tun haben will. Das Ende vom Lied ist, dass gewisse Begriffe und ihre Benutzer mit sozialer Ächtung belegt werden.

Bento gegen den Gebrauch von „abartig“ und „Sonderbehandlung“

Um das zu demonstrieren, haben die Schreiberlinge von bento.de ein kleines Quiz entworfen, an dem jeder Leser seine Sensibilität schulen könne. Auch ich habe mich dem unterzogen und weiß nun, dass Aussprüche, die ich zuvor für unbedenklich gehalten hatte, in Wirklichkeit mein Denken manipulieren und mich für die Einflüsterungen nationalsozialistischer Hetze empfänglicher machen. „Das ist abartig“ ist so ein Beispiel. Denn es kann ja nicht angehen, dass man etwas als aus der „Art“ geschlagen betitelt. Es habe eine „Entmenschlichung“ zur Folge.

Von der Verwendung des Wortes „Sonderbehandlung“ wird auch tunlichst abgeraten, da Nationalsozialisten damit die systematische Auslöschung von Menschen bezeichneten. Wieso ist man nicht gleich so konsequent und stellt jedes Wort, das Hitler jemals in den Mund genommen hat, auf, fertigt so eine Liste der unsagbaren Wörter an und erklärt den Schäferhund zum Untier des Jahrtausends? Armer Schäferhund.

Der Rechten soll die Sprachgrundlage entzogen werden

Begriffe beschreiben die Wirklichkeit. Wenn man unter den „bedenklichen“ Begriffen nach Gemeinsamkeiten sucht, wird man schnell feststellen, dass es zumeist Begriffe sind, die politische Wirklichkeiten beschreiben sollen. Nun werden jene bedenklichen Begriffe fast ausschließlich von der politischen Rechten zur Beschreibung ihrer politischen Theorien verwendet und sind für diese teilweise unabkömmlich. Man könnte natürlich auf Umschreibungen und Alternativen ausweichen, aber es hat einen Grund, warum gerade diese Begrifflichkeiten verwendet werden: sie beschreiben die Sachverhalte nun mal am präzisesten. Werden diese Begriffe also von der Öffentlichkeit geächtet, entzieht man damit der politischen Rechten ihre Sprach- und damit Argumentationsgrundlage.

Nun ist es aber so, dass vielleicht nicht die herrschende Meinung, zumindest aber die Meinung der Herrschenden eine linke ist. Damit ist der politische Gegner jene politische Rechte, der mit dieser Ächtung von bestimmten Begriffen die Formulierung ihrer Thesen erschwert, wenn nicht gar unmöglich, vor allem aber politisch unsagbar gemacht wird. Dieses ewige Herumreiten auf der moralischen Verwerflichkeit bestimmter Begriffe hat damit nicht zum Ziel, ein „Nie wieder!“ zu erreichen, sondern den politischen Herausforderer mundtot zu machen.

Begriffe für sich sind weder gut noch böse. Sie können gut oder schlecht sein aber niemals moralisch. Es kommt eben darauf an, wie ein Begriff verwendet wird und in welchen Kontexten. Daher ist dieses ganze Gerede von guten und bösen Worten leeres Geschwätz.

Warum machen die Linken das?

Wieso aber verfährt die Linke so mit ihrem politischen Gegner? Wie oben bereits erwähnt, will man erreichen, dass der politische Gegner nur durch den Umstand der Formulierung seiner Thesen unter Verwendung besagter Wörter jegliche Berechtigung, am politischen Diskurs teilzunehmen, verwirkt hat. Welcher Vorteil ergibt sich aber daraus für die Linke? Sie wird von der lästigen und intellektuell anspruchsvollen Pflicht befreit, sich mit den Thesen des politischen Gegners beschäftigen zu müssen. Denn das ist unabdingbar, wenn man sich am politischen Diskurs beteiligen will.

Es wäre aber vorschnell zu sagen, Linke seien einfach nur denkfaul. Ganz im Gegenteil: Es erfordert höchste intellektuelle Kunst, wenn man alles immer von der Utopie her denken muss und permanent unter dem Druck steht, die eklatanten Widersprüche zwischen linker Ideologie und Realität wegzuformulieren. Die Denkgebäude, die dafür nötig sind, scheinen so schwindelerregend, unübersichtlich und komplex, dass es hierfür durchaus intellektuelle Reife benötigt.

Recht haben kann nur, wer die Wirklichkeit richtig beschreibt

Vielmehr liegt es daran: die politische Linke ist schon voll auf damit beschäftigt, zu erklären, wie es denn sein kann, dass der Regen von unten nach oben fällt. Wenn es nun auch noch jemanden gibt, der ununterbrochen auf diese Unmöglichkeit hinweist, kann nur jeder Linke überfordert sein. Es sind schließlich auch nur Menschen. Und da es in der Gewohnheit der politischen Linken schon immer ausreichend war, recht zu behalten, anstatt recht zu haben, ist es aus linker Sicht nur legitim, so zu handeln. Recht haben setzt voraus, die besseren Wirklichkeitsbeschreibungen zu haben. Recht behalten kann man aber auch, indem man den Kontrahenten niederbrüllt. Voraussetzung ist dafür lediglich, an den entsprechenden Schalthebeln zu sitzen.

In diese Denkweise passt es daher auch, wenn nicht nur Wörter für a priori böse ausgegeben werden, sondern auch ganze Thesen oder Gedankenmuster. So kann geleugnet werden, dass es nennenswerte Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt oder Völker als greifbare und reale Größen in der Geschichte auftraten und noch immer auftreten.

Wenn man jedoch nach Anatol Stefanowitsch und der bento-Redaktion geht, zeigen diese Überlegungen nur, was für ein riesengroßer Nazi ich doch bin. Und übrigens auch jeder Leser, der bei der Lektüre dieses Textes dem einen oder anderen Punkt insgeheim zugestimmt hat.

(Bild: Ernst Moritz Arndt)

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