Gesichtet

Versagen mit Tunnelblick

Während sich die Weltwirtschaft und einige ihrer Hauptakteure nach der Corona-Krise langsam wieder aufrappeln, bleibt ein Land offensichtlich liegen: Deutschland kommt ökonomisch nicht aus dem Knick. Grund dafür sind die politisch Verantwortlichen und die Versäumnisse langer Jahre.

Die Lage ist wohl eindeutig. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) korrigiert seine ursprünglichen Einschätzungen und prognostiziert ein Wachstum der bundesdeutschen Wirtschaftsleistung von nur noch drei Prozent in 2021. Noch im vergangenen Dezember träumten die Konjunkturforscher von einem Plus von über fünf Prozent.

Auch der International Monetary Fund (IMF) prophezeit für Deutschland eine deutlich langsamere wirtschaftliche Erholung als für die meisten anderen Länder. Im aktualisierten Weltwirtschaftsausblick heißt es: „Angesichts der außergewöhnlichen Unsicherheit wird die Weltwirtschaft im Jahr 2021 voraussichtlich um 5,5 Prozent und im Jahr 2022 um 4,2 Prozent wachsen. Die Prognose für 2021 wird gegenüber der vorherigen Prognose um 0,3 Prozentpunkte revidiert, was die Erwartungen einer durch Impfstoffe angetriebenen Stärkung der Aktivitäten im Laufe des Jahres widerspiegelt und zusätzliche politische Unterstützung in einigen großen Volkswirtschaften.“

In Deutschland sieht der „World Economic Outlook“ die Wirtschaft dagegen im laufenden Jahr gerade einmal um 3,5 Prozent wachsen. Der Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft (iwd) zeigt sich geringfügig optimistischer und glaubt, dass wegen der in zahlreichen europäischen Ländern laufenden dritten Infektionswelle vorerst „keine vollständige Öffnung des wirtschaftlichen Lebens möglich ist. Es ist also nicht damit zu rechnen, dass es vor Ende des zweiten Quartals zu einer deutlichen Erholung kommt. Für das gesamte Jahr 2021 ist deshalb nur von einem Anstieg der wirtschaftlichen Leistung in Höhe von 3,75 Prozent auszugehen – nach dem Einbruch von 6,8 Prozent im vergangenen Jahr.“

Stagnierender Konsum und politischer Zickzackkurs

Nach einem Rückgang von gut sechs Prozent im vergangenen Jahr wird laut iwd der Konsum 2021 stagnieren und die Arbeitslosigkeit auf circa 2,8 Millionen im Jahresdurchschnitt 2021 ansteigen. Für den Außenhandel sieht man in Köln im laufenden Jahr wieder ein Wachstum der realen Ausfuhren von 9,5 Prozent. Ursächlich für diese Entwicklungen ist der Stop-and-Go-Kurs, der der deutschen Wirtschaft über politische Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung verordnet wurde. Mit dem Ergebnis, dass allgemeine Unsicherheit das öffentliche und wirtschaftliche Leben beherrscht.

Vor der Tür stehen auch die bisher durch die ausgesetzte Meldepflicht nicht erkennbaren Insolvenzzahlen. Diese werden sich wohl erst im Herbst oder Anfang des nächsten Jahres im wahren Umfang offenbaren. Der Hauptgeschäftsführer der NiedersachsenMetall, Volker Schmidt,  sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung dazu: „Dass die Bundesregierung mit Tunnelblick das wachsende Insolvenzrisiko vieler Betriebe offenkundig ausklammert, bereitet mir mittlerweile große Sorge. Durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wird das Problem im Grunde genommen nur kaschiert. Faktisch tickt hier eine Zeitbombe, und das Risiko, dass sie hochgeht, wird von Tag zu Tag größer.“ Diese Zeitbombe dürfte auch die Stabilität des ohnehin schwer durchschaubaren Finanzsystems haben.

„Über die Geldpolitik der EZB, die jüngst von deutschen Parlamenten abgesegnete Schulden- und Haftungsunion, die auf Kosten deutscher Steuerzahler einen reformunwilligen europäischen Süden irgendwann mit unvorstellbaren Summen und Leistungen alimentieren muss, ist das ganze europäische Finanzsystem ohnehin schon in einer Schieflage. Wer sagt denn uns Europaparlamentariern oder auch den deutschen Politikern, wie viele faule Kredite in den Bilanzen der Banken diese Mal versteckt sind? Was kommt zu Tage, wenn die Meldepflicht für Insolvenzgefährdete oder längst zahlungsunfähige Unternehmen wieder greift? Bis zu welchem Grad ist die deutsche Wirtschaft eigentlich schon zombifiziert?“, fragt Markus Buchheit als Mitglied des Europaparlaments für die AfD.

Wie soll der Schuldenabbau gelingen?

Der Jurist und stellvertretende Delegationsleiter der AfD ist tief besorgt, denn „insgesamt hat sich die bundesdeutsche Regierung als völlig unfähig erwiesen, die Lage in der Corona-Krise in den Griff zu bekommen. Eine vernünftige, auch ökonomische Weichenstellung wird es wohl erst nach den Bundestagswahlen 2021 geben. Und auch nur dann, weil sich die Wähler an das ganze Desaster erinnern müssen, wenn sie vor einem Scherbenhaufen ihrer gewohnten wirtschaftlichen Einrichtung stehen.“

Doch nicht nur das Thema der versteckten, latent schlafenden Wirtschaftsschäden ist aktuell, auch die gigantischen Corona-Schuldenberge müssen abgetragen werden. Der Direktor des Instituts für Deutsche Wirtschaft (IW), Michael Hüther, sieht hier besondere Probleme und meint, um „diese Corona-Schulden abzutragen, brauchen wir ein starkes Wirtschaftswachstum mit vielen Millionen zusätzlichen Beschäftigten, die durch ihre Steuern dem Staat zu neuen Einnahmen verhelfen. So wie nach der Weltfinanzkrise 2008, als Deutschland durch den Wirtschaftsaufschwung die Rekordzahl von ca. 45 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erreicht hat. Das werden wir nach der Pandemie sicherlich nicht noch einmal schaffen. Wir werden unsere Rekordschulden also nicht auf diesem Weg los. Wir können diese Verbindlichkeiten auch nicht einfach ignorieren, weil die Verfassung dem Staat aus gutem Grund eine Schuldenbremse auferlegt hat.“

Mit einem „Sonderfonds Bund“, der wie ein langlaufendes Hypothekendarlehen aussehen soll, könnten nach Hüthers Ansicht die Schulden abgetragen werden. Zusätzlich sei ein „Jahrzehnt der Modernisierung“ nötig. Schützenhilfe leistet diesbezüglich Top-Manager Wolfgang Reitzle, der der Bundesregierung in der Corona-Politik Versagen vorwirft. Im Interview mit der Welt am Sonntag sagte Linde-Chairman Reitzle: „Nach fast 16 Jahren Merkel ist Deutschland in vielen Bereichen ein Sanierungsfall: Bürokratie im Faxzeitalter stecken geblieben, Digitalisierungsrückstand, kein schnelles Internet, massive Mängel in der Infrastruktur und marode Schulen sind nur einige Beispiele für Defizite, die für ein führendes Industrieland beschämend sind.“

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