Gesichtet

Voll krasse Sprache mussu lernen

Die Sprache ist immer in Bewegung. Doch in welche Richtung verschiebt sie sich? Was ist für die Entwicklung verantwortlich?

In den Schmähschriften der Theologen in den Jahren der deutschen Reformation, die darauf abzielten Ehre und Ansehen des jeweiligen Gegners zu zerstören, betitelte Cochläus, ein katholischer Geistlicher, seinen Widersacher Martin Luther einen „geylen Bock“. Diese Anspielung auf die Lüsternheit eines Mannes im Dienste Gottes galt als tiefe Kränkung ebendessen. Zugleich bemerkte ich, dass das geläufigste und am häufigsten verwendete Attribut meiner Kinder und Jugendzeit 500 Jahre zuvor verwendet wurde, um einen politischen Gegner aufs unflätigste anzugehen. Doch noch heute verändern sich Begrifflichkeiten. Seit Jahren lässt sich, unbemerkt des medialen Fokus und der Wissenschaften, eine Verdrehung der Sprache, insbesondere bei Adjektiven beobachten.

Äußere Einflüsse auf das Deutsche

Die Sprache steht niemals fest, ist weder monolithischer Block, noch geronnener Wortschatz. Auch wenn einige Wertkonservative gerne die Blüte der deutschen Sprache ins 21. Jahrhundert übertragen wollen, es wird nicht gelingen. Stattdessen wandeln sich die internationalen Einflüsse. Während die älteren Semester die neuste Mode als „en vogue“ bezeichneten, die 80er und 90er zum schlichten „cool“ überwechselten, erleben wir gerade eine arabische und türkische Phase. Falls Sie dies bereits wussten, sind Sie ein echter Hayvan, also ein Tier. Und das gilt als Kompliment.

Diese Wandlungen fanden seit jeher statt. Dazu zählen auch die lateinischen und griechischen Einflüsse auf das Deutsche. Jede „Epoche“ hinterlässt ihre Spuren, kommt, beeinflusst und geht wieder. Abhängig sind solche Entwicklungen von der jeweiligen Leitkultur. Und die ist momentan südländisch beeinflusst, wozu eben nicht nur Shisha und Döner zählen, sondern auch die Adaptierung von Begrifflichkeiten, für die es bereits adäquate Wörter gibt.

Doch gibt es abseits der geographischen Komponente, also der Einflüsse fremder Sprachen und Kulturräume, einen weiteren Wandel im deutschen Jugendslang: Die positive Aufladung negativer Wörter ist eine Entwicklung, die tief im Moralischen einer Gesellschaft entspringen muss. Ebenfalls die negative Konnotation positiver Wörter und Eigenschaften. Am deutlichsten erkennt man diese Änderung im studentischen und schulischen Kontext.

Faul, cool und ungebildet als Leitstern?

Faulheit steht seit Jahren als „coole“ Sache da, es gilt als positiv, wenn man sich nicht auf die Klasse oder den Kurs vorbereitet hat. Demgegenüber steht der Streber, der durch sein regelmäßiges Glänzen, auch ganz ohne nervige Eigenheiten oder soziale Mankos, den Zorn der Mitschüler auf sich zieht. Doch auch in ganz anderen Bereichen verschiebt sich etwas. Die Umprägung der Begriffe greift um sich: Musikevents nennen sich „hartes Rauschen“. Wer einmal teilgenommen hat, weiß, dass tatsächlich nichts zum monotonen Störsignal fehlt. Aus der Unfähigkeit, gute Musik zu erzeugen, wird schließlich eine Tugend. Klassische Musik wird belächelt und ins gesellschaftliche Abseits verbannt.

Ergänzend einige Beispiele aus der Jugendsprache, die mittlerweile als Lob, Kompliment oder positives Fragment zählen. Betrachtet man die Herkunft der Wörter, wundert man sich über einiges: fett, du Tier, geil, krasser Scheiß, du Killer.

Ein weiteres Wort, aus brandaktuellem Kontext, ist der Begriff „bunt“. Während die bunte Republik oder Gesellschaft seit einigen Jahren für viele Akteure und Wähler wünschens- oder erstrebenswert geworden ist, also positiv aufgeladen wurde, erinnern sich manche noch an Opas Fluch: „Das wird mir aber zu bunt.“ Innerhalb weniger Jahrzehnte hat sich die Deutungshoheit über ein triviales Adjektiv vollkommen gewandelt und wird mittlerweile als politischer Kampfbegriff missbraucht.

Sprache als Fenster der Moral

Also stellt sich die Gretchenfrage: Warum verwenden immer mehr Jugendliche, aber auch Erwachsene ursprünglich negative Wörter als traditionell positive. Hier mag es zahlreiche Ansätze geben. Der alleinige Widerstand gegenüber dem alteingesessen könnte auf den ersten Blick zur entscheidenden Motivation zählen. Aber auch das bewusste Brechen von Normen durch die Jugend mag einer der Beweggründe sein. Doch das war schon immer so.

Entscheidender ist eine andere Evolution: Der Siegeszug der Gleichheit. Das Banale, Schwache, Unmoralische und Dumme beginnt an Einfluss auf die Gesellschaft zu gewinnen. Während die Gegenstücke an Wirkmacht verlieren. Hier werden Streber (bei Opa hieß das Klassenbester) an den Rand gedrängt und die lautesten und dümmsten Kinder gewinnen an sozialer Macht. Neid und pure Missgunst wandeln sich in Abneigung, man erkennt die eigene Unfähigkeit im Spiegel der Besten. Das muss verhindert werden, also richtet man die Normativität nach dem Durchschnitt aus.

Trend zum Asozialen

Jemand der dem Dozenten „coole“ Widerworte gibt, ist der Held der Vorlesung. Anstatt in Scham zu versinken klatschen die Anwesenden Beifall. Man wird belächelt, wenn man pünktlich zu einer Party erscheint, die meisten kommen wissentlich, geplant und in stiller Übereinkunft zu spät. Heute gewinnt der, der „die Alte so richtig weggemacht hat“, an Ansehen, während der schweigende, monogame Gegenpart belächelt oder kritisiert wird. Jemand, der etwas gerecht aufteilt oder sich fair gegenüber seinen Mitmenschen verhält, genießt sicherlich noch von einigen Ansehen, doch steht das Gros der Jugend hinter dem „Asozialen“, wobei auch hier die Bedeutung eher zum hinterlistig-gemeinen verschoben wurde und sich vom gesellschaftlich inkompatiblen entfernt.

Auch der eifrige Arbeiter wird verneint. Warum sollte man sich auch müde schuften, wenn man mittlerweile so schön „hartzen“ kann? Sehr klar wird der Begriffswandel zwischen den Generationen. Ein „liebes Mädchen“ ist meist das Lob von Großeltern über die neue Freundin, während der Kumpel dir zu einer „geilen Bitch“ gratuliert. Ebendiese lichtet sich in dümmlicher Pose auf Facebook ab und erhält das Kompliment einer Freundin: „Du bist ja verrückt xD <3“ Zur Erinnerung: Vor einigen Jahrzehnten wurden Verrückte eingewiesen und ihre Eigenschaften galten nicht als pubertäres Kompliment. Analog verhält es sich auch mit dem Begriff „toll“. Einzig allein die Tollkirsche und die Tollwut zeugen heute noch von der ursprünglichen Bedeutung des Wortes, welches das Verhalten Erkrankter beschreibt.

Analyse oder Intervention?

Ein direkter Eingriff in die Jugendsprache, oder sogar das Steuern der Sprachentwicklung, funktioniert in den seltensten Fällen, wie beispielhaft in Frankreich, das sich vehement gegen einen „Verfall“ der Sprache wehrt. Doch zu welchem Preis? Eine zentrale Planungsstelle schaltete im Verlauf des 20. Jahrhunderts die französische Sprache gleich. Georges Pompidou, ehemals französischer Ministerpräsident, sagte noch 1972, dass es in Frankreich keinen Platz für regionale Mundarten gäbe. Ob so eine forcierte Entwicklung wünschenswert ist?  Zwar wurde mittlerweile mehr oder minder erfolgreich den Anglizismen der Kampf angesagt, allerdings ist das Einschränken regionaler Dialekte ein hoher Preis. Doch den Entwicklungen der Jugendsprache, selbst in Frankreich, steht kein Amt der Welt entgegen.

Der Dreh- und Angelpunkt der Sprache, gerade im Jugendslang als dynamische Blaupause der gesellschaftlichen Sprechart, sind die Wertevorstellungen der Menschen. Wird man es wieder schaffen, das Gute, Große, Starke und Kluge, all die Werte die von Gleichmachern und Schreibtischreformern in Gesamtschulen und Einheitsprogrammen nivelliert werden, in seinen alten Rang zu heben, steht auch der Sprache Veränderung bevor. An der Sprache selbst zu schrauben, ist hingegen so unsinnig wie bei einem Rohrbruch daran zu arbeiten, dass das Wasser bergauf läuft.

Die Nuancen der Sprache

Ein echter „Kampf“ gegen die Sprache, ist also schwerlich umsetzbar und mit enormen Kosten verbunden, zumal davon auszugehen ist, dass ein 14-Jähriger auf dem Schulhof niemals sein „krasser Scheiß“ gegen ein überzeugendes, „fantastisch“ eintauschen würde, das ohnehin griechischen Ursprungs ist. Was man aber kann, ist die Sprache in ihren Nuancen zu betrachten. Und hier drohen dem Deutschen nicht nur die geographische Beeinflussung durch Zuwanderung, sondern auch verstärkte Änderungen durch den Wertewandel des Sprechers, der sich im Gesprochenen niederschlägt.

Das einzige, was bleibt, ist weiterhin die Sprache zu beobachten und dieses Feld nicht den eingestaubten, elfenbeinfarbenen Germanisten zu überlassen. Sprache ist gesprochenes Sein. Und wer weiß? Vielleicht rutscht irgendwo im Lande einem Sechstklässler doch noch ein „großartig“ über die Lippen, selbst wenn danach das Pausenbrot abhanden kommt.

Bild: Gutenberg Letter, Pixabay, CC0 Public Domain

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