Gesichtet

Wer alles sterben muss oder: Gott ist schön!

Ein gängiges Narrativ unserer Zeit erzählt von islamischen Gotteskriegern, die mit dem Schwert Allahs Terror und Tod bringen. Für viele ist der Koran die letztliche Referenz dafür. Alternativ könnte man davon erzählen, dass mit dem Koran ein als unnachahmlich schön empfundener Text vorliegt.

Der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani rekonstruierte in seinem Gott ist schön betitelten Meisterwerk den muslimischen Offenbarungsanspruch ästhetisch. Der Schriftsteller Martin Mosebach, der findet, dass jeder Mensch katholisch sein sollte, „traf das Buch wie ein Blitz, weil es von der Schönheit als Gottesbeweis handelt“.

Ob biblische Texte auch so schön sind? Die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, der von sich sagt: „Wer mich sieht, sieht den Vater“, ist das, was die Christen haben. Wie man Islam und Christentum näher bringen kann, weiß der römisch-katholische Autor Klaus von Stosch: „Wenn auch Jesus Christus die einzige Mensch gewordene Gestalt des Logos Gottes ist, schließt das nicht aus, dass im Koran die Schönheit dieses Logos hörbare Wirklichkeit wird.“

Der poetische Koran?

Angesprochen auf Gewaltdarstellungen im Koran, antwortet Navid Kermani im Süddeutsche Zeitung Magazin: „Da steht ‚Schlag den Heiden aufs Genick‘ und die Leute denken, sie könnten andere Menschen umbringen. Der Koran aber ist in seinem sprachlichen Ausdruck nach poetisch. Keine islamische Theologie hat ihn jemals einfach so wörtlich verstanden und eins zu eins umgesetzt. Jeder klassische Korankommentar bietet zu jedem einzelnen Koranvers verschiedene mögliche Deutungen. Denn das Wesen von Poesie ist die Vieldeutigkeit.“

Aber er weiß selbst, dass viele Muslime nicht gebildet sind: „Sie haben keine Ahnung von ihrer eigenen theologischen Tradition. Man muss sich nur mal fünf Minuten mit diesen Menschen unterhalten, die in der Fußgängerzone den Koran in die Höhe halten. Ihr Wissen beschränkt sich meist auf ein paar Schlagwörter und Regeln, an denen sie sich wie an einem Vademecum festhalten.“

Im Gegensatz zu solch oberflächlichen Moslems habe ich als Christ das Heilige Buch der Bibel von der ersten bis zur letzten Zeile gelesen. Schockiert haben mich die zahlreichen Aufrufe zum Völkermord im Alten Testament. Ich wüsste auch nicht, wie man sie poetisch wegdingsen könnte.

Brutale Kriegsgesetze im Alten Testament

Eine auf die Gewaltgeschichte des Christentums bzw. Judentums reduzierte Erzählung – zweier Schwesterreligionen, die in gegenseitiger Anziehung und Abstoßung miteinander verbunden sind – würde dann im Christentum nicht mehr Jesus Christus, den liebenden Vater, in den Vordergrund stellen, sondern die brutalen Kriegsgesetze des Gottes des Alten Testaments. Beispielsweise aus Deuteronomium 20, 10–14:

Wenn du vor eine Stadt ziehst, um sie anzugreifen, dann sollst du ihr zunächst eine friedliche Einigung vorschlagen. Nimmt sie die friedliche Einigung an und öffnet dir die Tore, dann soll die gesamte Bevölkerung, die du dort vorfindest, zum Frondienst verpflichtet und dir untertan sein. Lehnt sie eine friedliche Einigung mit dir ab und will sich mit dir im Kampf messen, dann darfst du sie belagern. Wenn der Herr, dein Gott, sie in deine Gewalt gibt, sollst du alle männlichen Personen mit scharfem Schwert erschlagen. Die Frauen aber, die Kinder und Greise, das Vieh und alles, was sich sonst in der Stadt befindet, alles, was sich darin plündern lässt, darfst du dir als Beute nehmen. Was du bei deinen Feinden geplündert hast, darfst du verzehren; denn der Herr, dein Gott, hat es dir geschenkt.

Dieser Text ist von den katholischen Königen in Spanien „nahezu wörtlich“ in Handlungsanweisungen für die Unterwerfung der Indios in Lateinamerika im 16. Jahrhundert umgesetzt worden, schreibt Wolfgang Reinhard, Professor für Neuere Geschichte, in der FAZ. Er findet sich im Requerimiento, einer öffentlich vorgelesenen Erklärung, in der die Konquistadoren – zumeist auf Spanisch oder Latein – die bedingungslose Kapitulation der indigenen Bevölkerung, die Anerkennung der Herrschaft der christlichen Kirche über die Welt und der spanischen Krone über Amerika forderten.

In der politischen Gegenwart fungiert das Alte Testament als Grundbuch für den Staat Israel, was bedeutet, dass das heutige Israel die in der Bibel beschriebenen Landesgrenzen einzunehmen hat. Wie israelische Politiker das Alte Testament in die Gegenwart zoomen, um die Geschichte Gottes mit „seinem Volk“ weiterzuführen, darüber schreibt Shlomo Sand in Die Erfindung des Landes Israel:

In nicht allzu ferner Vergangenheit wurde ausgerechnet das Buch Josua von breiten zionistischen Kreisen, deren prominentester Vertreter sicherlich David Ben-Gurion war, allen anderen biblischen Büchern vorgezogen, und das, obwohl viele Intellektuelle seit den Tagen der Aufklärung sich wegen der in ihm geschilderten Vernichtungsaktionen vom Buch Josua distanziert haben. Die Geschichte der Besiedlung und Rückkehr des „Volkes Israel“ in sein verheißenes Land hauchte den Gründervätern des Staates Begeisterung und Tatendrang ein, sie stürzten sich regelrecht auf die inspirierenden Analogien zwischen der biblischen Vergangenheit und der nationalen Gegenwart.

Der Autor verweist anschließend auf die hohe Präsenz des Buches Josua – in dem Gott den Juden befiehlt, die nicht-jüdischen Einwohner auszulöschen – in der heutigen jüdisch-israelischen Gesellschaft. Ein neuer Abgrund tut sich parallel bei den Christen mit den Evangelikalen auf, von denen die Mehrheit – also Abermillionen – glauben, dass Gott das Land Israel den Juden gab. Vorzugsweise in Erwartung einer endzeitlichen Entscheidungsschlacht um das Heilige Land mit dem Islam als Großen Satan.

Wie viele Millionen Tote würde es heute weniger geben, wenn der ehemalige US-Präsident Georg Bush einfach weiter gesoffen hätte?

Auch in normalen christlichen Kreisen ist die Vorstellung weitverbreitet, dass das heutige Jerusalem Zion ist. Der politische Journalist Arn Strohmeyer schreibt hierzu auf dem Palästina Portal: „Der Begriff Israel ist religiös so mystifiziert, dass in kirchlichen Kreisen immer noch der Glaube existiert, man könne eine direkte Anknüpfung vom Alten Testament zum heutigen Israel herstellen. ‚Die Juden sind ja das Volk Gottes!‘, hört man Christen oft argumentieren.“ – Nur warum kümmert es die Christen, wenn sich Juden für auserwählt halten?

Um beim Größten Satan zu enden: Wie viele Millionen Tote würde es heute weniger geben, wenn der ehemalige US-Präsident Georg Bush einfach weiter gesoffen hätte? Mit Hilfe radikaler Evangelikaler überwand er seine Alkoholsucht. Er  wurde zu einem militanten Frömmler, teilte die Welt in Gut und Böse, Schwarz und Weiß und zog 2003 in den Gotteskrieg gegen den Irak.

Das Fatale ist, dass es mit den USA und Israel gleich zweimal God’s own country auf dieser Erde gibt, obwohl das Christentum im Gegensatz zum territoriumsgebundenen Judentum universal ist. Mögen die Juden ihren Rassismus gegenüber den Palästinensern kultivieren. Zur mentalen Gesundung sollte sich das Christentum jedoch vom Judentum abstoßen.

Bald ist Weihnachten, das Fest der Geburt Jesu Christi.

(Bild: Navid Kermani, Lesekreis – Wikipedia, CC BY-SA 4.0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Datenschutzinfo