Gesichtet

Wer ist Jesus?

Das Nizänische Glaubensbekenntnis ist – von wenigen späteren Zusätzen abgesehen – auf den Konzilien in Nicäa (325) und Konstantinopel (381) entstanden und gilt als das erste ökumenische Dokument der Kirchengeschichte.

Katholische, protestantische und orthodoxe Christen beten heute weltweit: „Jesus Christus ist am dritten Tage auferstanden nach der Schrift.“ Nach der Schrift? Ist Jesus Christus jetzt wirklich – also leibhaftig und historisch, also für alle Menschen – auferstanden oder nur für gehorsam bekennende Schriftgläubige?

Beziehung zu Gott über Jesus

Ich besuche die Nordstern.Kirche Frankfurt. Prediger Jared Wensyel empfiehlt Demut denen gegenüber, die an der Auferstehung Jesu zweifeln. Geschichte sei nie zu 100 Prozent historisch und bestehe vielmehr aus Wahrscheinlichkeit. Der Glaube gehe am Ende über die Vernunft hinaus. So schließt er folgerichtig seine Lektion, indem er die Auferstehung in den Kontext von Menschwerdung und freiwilligem Opfertod stellt:

„Wenn das, was der christliche Glaube verkündet, dass in Jesus Gott Mensch wurde, nicht stimmt, dann bleibt Gott im Schatten. Alles Reden wäre nur bloßes Philosophieren über einen Gott, den wir nicht kennen können, der weit weg bleibt. Wenn es aber stimmt, dass Gott selbst Mensch wurde, dann haben wir die Chance Gott persönlich zu kennen und mit ihm eine Beziehung zu haben.“

Die Sache ist also nicht so richtig klar. Als Nächstes google ich „Jesus Christus“, „Auferstehung“ und „Frankfurt“ und lande auf der Webseite der zur Evangelischen Allianz gehörenden Immanuel-Gemeinde, die im Gegensatz keinen Zweifel zulässt:

„Wir haben es erlebt, dass man Jesus Christus auch heute noch begegnen kann. Er ist auferstanden. Er lebt (…) Wir wünschen uns, dass wir und andere Menschen in unserer Gemeinde immer wieder dem auferstandenen Jesus Christus begegnen.“

Nach meinem Besuch des vorbildlich jesuszentrierten Gottesdienstes schreibe ich Klaus Heid, dem sehr fürsorglich, aber ohne jeden intellektuellen Anspruch predigenden Gemeinschaftspastor der Immanuel-Gemeinde, eine E-Mail:

„Haben Sie denn jemand in der Gemeinde, der über seine Erlebnisse mit dem auferstandenem Jesus Zeugnis ablegen könnte bzw. möchte, vielleicht im Rahmen eines kleinen Interviews, das dem Text angehängt wird? In meinem Artikel soll es grundsätzlich um die Frage gehen, ob die Auferstehung Jesus Christus eine historische Tatsache ist. Dabei möchte ich keine Pro- und Contra-Argumente gegeneinander abwägen. Mir geht es eher um Zeugnisse von Menschen, die dem auferstandenen Jesus begegnet sind.“

Eine Antwort erhalte ich von Klaus Heid, der nach eigener Aussage immer wieder fasziniert davon ist, wie Gott im Leben unterschiedlichster Menschen Geschichte schreibt, auch auf telefonische Nachfrage nicht. Mir soll es recht sein. Dann wende ich mich eben an meine Kosmetikerin (siehe Bild). Nadin Heine legt viel Wert darauf, dass ich die folgende Interviewpassage bringe:

„Ich finde es ganz wichtig, wenn es gerade um Nächstenliebe und Gott geht, man muss an gar nichts glauben, solange man einfach nur ein offenes Herzen hat und mit den anderen Menschen gut umgeht und ihnen nicht schadet. Wirkliche Nächstenliebe kann jeder von uns machen, ohne Glauben.“

Dementsprechend gehört sie keiner Kirche an, weil sie die Kirche auch nicht als ehrlichen Ort ansieht. In der Kirche arbeiteten Menschen, die oft nicht halten würden, was sie predigen. Jesus Christus hat für sie keine Bedeutung. Das mit dem ans Kreuz Genagelten empfindet sie als skurril. Mit der Auferstehung und der Weihnachtsgeschichte kann sie auch nichts anfangen. Die Idee der heiligen Dreieinigkeit aus Vater, Sohn und heiligem Geist ist für sie unlogisch und einfach zu viel. Doch hören wir in das Gespräch mit Nadin Heine mal rein:

Haben Sie einen Bezug zu Gott?

Für mich persönlich, ja. Ich habe schon als Kind jemand gesucht, dem man, oder wo man das Gefühl hat, dass man doch Rechenschaft ablegen muss, für das, was man tut.

Ist Gott Gott oder steht Gott für Ihr Gewissen?

Ich glaube, Gott ist Gott.

Gibt er Ihnen Sicherheit im Leben, so dass Sie ein Gefühl dafür haben, was richtig oder falsch ist?

Ja und damit bin ich auch zufrieden. Menschen möchten schon geführt werden. Ich rede jetzt nicht von meinen Eltern, aber oft ist es so, dass Mütter Fehler machen und  Väter einen verlassen. Man sucht in seinem Inneren nach einer Person, die konstant da ist. Deswegen nimmt man wahrscheinlich jemand wie Gott.

Ich denke an Psalm 27,10: „Denn mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber der Herr nimmt mich auf.“

Kommunizieren Sie mit Gott?

Ich erzähle. Ich rede, als wäre Gott eine menschliche Person. Manchmal kriege ich Antworten zurück.

In welcher Form bekommen Sie Antworten zurück?

Die Antworten gebe ich mir dann im Kopf selbst zurück. Ich denke aber, dass das unterstützt wird. Manchmal frage ich aber auch, ob er mir ein Zeichen geben kann und dann achte ich darauf, ob ein Zeichen kommt. Es kommt auch immer eins.

Haben Sie ein Beispiel?

Ein lustiges. Einmal habe ich mich mit der Frage beschäftigt, mit meinem Studio in einen anderen Stadtteil zu gehen und dann habe ich gesagt „Lieber Gott, gib mir ein Zeichen!“, bei „Ja“ soll etwas passieren und dann kam ein Taxi um die Ecke und ich habe gedacht, na gut, wenn das das Zeichen sein soll, dann eben „Ja“.

Haben Sie ein Gefühl der Anwesenheit von Gott?

Ich glaube, dass Gott die Erde und die Menschen erschaffen hat. Ich weiß, dass er hinter mir steht.

Nur als Idee oder konkret, so dass er ihr Leben unterstützt?

Ich denke, dass er hinter jedem Menschen steht. Ich glaube, dass es einen Gott gibt und dass er auch Fehler toleriert, also einfach an einen liebenden Gott.

Also einen lieben Vater?

Genau.

Teilen Sie diesen Glauben mit anderen Menschen oder ist es einfach Ihr persönliches Ding?

Das ist meine persönliche Sache, weil jeder das für sich entscheidet. Ich rede auch mit meinem Opa, weil ich mich nach seinem Tod näher zu ihm fühle und das ist praktisch dasselbe wie mit dem lieben Gott, weil man auch das Gefühl hat, dass da ein lieber Mensch ist, der über einen wacht. Von meinem Opa erwarte ich auch Antworten (…)

Nadin Heines Glaube ist weitestgehend voraussetzungslos, da sie im Osten Berlins aufgewachsen ist und die einst staatlich verordnete Säkularisierung den Osten unseres Landes zu einer der gottesfernsten Regionen der Welt gemacht hat. Dort glaubt nur noch einer von zehn Menschen an einen persönlichen Gott. Bevor die Mauer 1961 gebaut wurde, sagten noch 90 Prozent der Menschen in Ostdeutschland, sie seien gläubig. Auf der anderen Seite von zum Beispiel Chemnitz haben wir den New Yorker Stadtteil Elmhurst im Bezirk Queens, der mit seinen Menschen aus 156 Nationen als der religiös vielfältigste Ort der Welt gilt.

Nadin Heine feiert Weihnachten mit ihrer ganzen Familie und Freunden in Frankfurt am Main. Zur Weihnachtszeit hört sie immer Mary’s Boy Child von Boney M, weil es so schön ist. Ich mag dieses Lied auch sehr:

Maria, ich brauche deine Meinung zu Abba, lieber Vater. Maria Vida ist meine Kollegin. Sie ist Sprachdozentin an der Goethe-Universität Frankfurt und promoviert zusätzlich in Theologie. Gerne beantwortet sie meine Fragen. Aufgrund der Komplexität des Themas der christlichen Glaubensvorstellung möchte sie ihre Antworten allerdings nur als relative Wahrheit verstanden wissen.

Jesus starb am Kreuz. Der Vorhang im Tempel, der das Allerheiligste vom Heiligen trennt, zerriss in zwei Teile. Wir können nun Abba, lieber Vater sagen, da seitdem die Trennung zwischen uns und Gott aufgehoben ist. Gilt das für alle Menschen oder nur für diejenigen, die an Jesus Christus glauben bzw. sich für ihn entschieden haben?

Das gilt prinzipiell für alle Menschen. Und dann, der Mensch ist frei, das anzunehmen oder sein zu lassen.

Es ist ein Angebot für alle Menschen?

Genau, es ist ein Angebot für alle Menschen.

Um diese Abba-lieber-Vater-Beziehung zu haben, muss man sich dann vorher für Jesus Christus entscheiden oder kann man diese Beziehung auch ohne Entscheidung für Jesus Christus haben?

Man entscheidet bewusst.

Ist es dann so zu verstehen, dass die Menschen vor Jesus Christus Gott nicht als ihren persönlichen Vater erfahren konnten?

Nein, Jesus Christus existiert ja schon immer. Jesus ist ja Gott. Jesus hat nicht erst angefangen zu existieren, seitdem er von der heiligen Mutter geboren wurde.

Die Menschen konnten sich aber nicht bewusst für Jesus entscheiden?

Indem sie sich für Gott entschieden haben, haben sie sich auch für Jesus entschieden, ohne ihn als Person zu kennen.

Der Unterschied zwischen heute und früher ist nur …

… dass sich Gott offenbart hat.

Wenn sich die Menschen früher vor der Offenbarung für Gott entschieden haben, dann haben sie sich unbewusst immer für Jesus entschieden?

Ja, und für den Vater.

Die Menschen konnten also schon vor dem Kreuzestod eine Abba-lieber-Vater- Beziehung haben?

Natürlich. Auf jeden Fall!

100 Prozent?

100 Prozent!

Das würde aber auch bedeuten, dass die Menschen heute diese Abba-lieber-Vater-Beziehung haben können, ohne sich für Jesus zu entscheiden.

Warum muss Jesus Christus jetzt ausgeschlossen werden, nachdem er sich offenbart hat?

Ich kann natürlich auch umgekehrt fragen, wenn es vorher möglich war eine Abba-lieber-Vater Beziehung zu haben, warum dann noch der Kreuzestod und all diese Sachen?

Weil er gekommen ist.

Aber wenn er doch schon da war, warum ist er dann noch gekommen? Du hast doch eben gesagt, dass er von Anfang an da war.

Aber nicht in sichtbarer Weise. Gott ist Fleisch geworden, damit wir ihn wahrnehmen können.

Aber kannst du dir nicht vorstellen, dass es für viele Menschen abstoßend ist, dass da jemand ans Kreuz genagelt wird, dass die damit gar nichts anfangen können. Ist denn das eine schöne Offenbarung?

Das ist unser Problem als Menschen, dass wir alles vermenschlichen möchten und alles nach unserer Logik zuschneiden möchten. Gott hat uns nicht alleingelassen. Der Heilige Geist hilft uns. Wir können, wenn wir wollen, das auch glauben: Der Heilige Geist ist unser Beistand.

Du beziehst dich sicher auf Galater 4, 5–6, wo es heißt: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, auf dass er die, die unter dem Gesetz waren, loskaufte, damit wir die Kindschaft empfingen. Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsere Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater!“

Natürlich.

Hat er diesen Geist in das Herz von allen Menschen gegeben oder nur in das Herz von denjenigen, die sich bewusst für Jesus entschieden haben?

Das ist für diejenigen, die sich bewusst für Jesus entschieden haben. Denn ohne Jesus gibt es keinen Zugang zum Heiligen Geist. Die Menschheit hat den Heiligen Geist schon immer gehabt, aber dass er in uns wohnen kann, dass er in eine Einheit mit uns kommt, da ist die Bedingung natürlich die bewusste Entscheidung für Jesus Christus.

Gut, man ist jetzt über Jesus Christus informiert, kennt die Geschichten aus der Bibel, kann damit aber nichts anfangen und lehnt es ab, sich bewusst für Jesus Christus zu entscheiden. Kann diese Person trotzdem eine schöne Abba-lieber-Vater-Beziehung mit Gott haben?

Wie es aussieht, stelle ich am Ende immer die gleiche Frage. Meine Kollegin Maria weicht aber auch im weiteren Verlauf des Gesprächs nicht von ihrer Route ab.

Zum Schluss noch eine Frage: Ist die Auferstehung Jesu Christi eine historische Tatsache oder einfach Glaubenssache?

Die Auferstehung Jesu wurde wissenschaftlich bewiesen.

Ich wünsche den Lesern der Blauen Narzisse ein frohes Weihnachtsfest.

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