Gesichtet

Westlicher Masochismus in Fern-Ost

Wie man auch immer zum fernen Osten stehen mag, eines ist offensichtlich sicher: Er ist schwer in Mode, was Urlaub angeht. Vor allem sogenannte „Bag-Packer“ sind dort unten anzutreffen. Ich gehöre eher zu der Gruppe, die einen Besuch in diesem Teil der Welt für absolut überflüssig hält. Denn wer verbringt schon gerne Zeit auf einer Müllhalde? Zumindest die Städte dort sind genau das: dreckig.

Nun bin ich aber doch meinem Vorsatz untreu geworden und habe mich einmal in diese Region der Welt aufgemacht. Die Fahrt ging nach Nepal. Jedoch nicht um – auf einer wie auch immer gearteten Weise – neue Kulturen kennenzulernen, sondern im Himalaya wandern zu gehen. Jedoch war es dazu notwendig, einige Tag in Kathmandu, der Hauptstadt Nepals zu verbringen. Und dort traf ich sie. Jene Fern-Ost-Fanatiker.

Verachtung für das Eigene, Sinnsuche im Osten

Dieser Menschenschlag ist leicht an seinem Erscheinungsbild zu erkennen. Europäer (oder Nordamerikaner), Aladinhosen, Jutebeutel, Kopfbedeckungen, die jeder Beschreibung spotten und alles in Pastellfarben gehalten. Rastas sind auch oft vertreten. Und dann dieses Funkeln in den Augen, dieser abwesende Blick. Wie als ob seit der letzten Einnahme gewisser Substanzen zwecks „Bewusstseinserweiterung“ noch nicht sehr viel Zeit verstrichen wäre. Diesen Leuten quillt in gleichem Maße die Verehrung für alles Östliche, wie die Verachtung für alles Eigene, genuin Westliche nur so aus jeder Pore.

Man ist antikapitalistisch, findet Trump und Coca Cola zum Kotzen und findet es peinlich, „weiß und privilegiert“ zu sein. Darum flüchtet man sich bei jeder Gelegenheit in das Paradies des Ostens um sich dort reinzuwaschen von jedweder Westlichkeit. Ich kann nur hoffen, dass man das nicht zu wörtlich nimmt. Denn bei einer rituellen Waschung in einem Fluss dort mitzumachen, bedeutet nämlich nur eins: einen langsamen und qualvollen Tod aufgrund einer dort herumschwimmenden unheilbaren Krankheit. Im Ernst: Jede Kläranlage riecht besser und ist vermutlich sauberer, als die Flüsse dort.

Nachahmung des Fremden

Und dann die Begeisterung für den Hinduismus: Daheim im bösen Westen wird über das Christentum geschimpft und sich lustig gemacht, wie man nur vor einem Mann am Kreuz auf die Knie gehen kann. Man wird nie müde, die Überholtheit und Unmenschlichkeit des christlichen Glaubens zu betonen. Aber Hinduismus mit seiner Kasten-Gesellschaft ist klasse. Was ist daran so toll, sich mit Farbpulver zu bewerfen, eine gruselig aussehende Gottheit zu verehren und Urin von Kühen zu trinken, weil diese heilig scheinen? Auf jeden Fall sieht man unsere Westverweigerer nur allzuoft ihren roten Farbklecks auf der Stirn stolz vor sich hertragen. Auch der Buddhismus ist nicht besser. Dennoch wird sich fleißig mit Meditationsketten behängt.

Ist der Hinduismus einfach nur irre, so ist die Verehrung der buddhistischen Lebensweise aus Sicht dieser Individuen auf makabere Art und Weise logisch. Schließlich macht er die größte Furcht der westlichen Welt zum erklärten Ziel aller irdischen Anstrengungen. Denn auch die meisten unserer Ost-Fanatiker leiden – doch zumindest insgeheim – an einem latenten Unwohlsein aufgrund akutem Sinnverlust menschlicher Existenz. Die Frage, was nach dem Tod komme, wird in der Regel mit „nichts“ beantwortet. Da kommt der Buddhismus doch gerade recht, der jenes Nichts zum erstrebenswerten Ziel auserkoren hat. Und auf einmal macht das sinn- und ziellose Leben doch wieder einen Sinn. Scheinbar.

Diese nationale oder kulturelle Selbstaufgabe, die von jenen Menschen gelebt, ja zelebriert wird, kommt auch dadurch schön zum Ausdruck, dass man in das Leben der fernöstlichen Welt während seinem Aufenthalt eintauchen, Teil davon werden will und alles dezidiert Westliche abstreifen möchte. Das ist vielleicht auch der Grund, warum man sich mit Tüchern und Tand nach der örtlichen Mode zugepflastert und das Hausen der indigenen Bevölkerung im Dreck mit leuchtenden Augen verfolgt sowie am liebsten mit-hausen würde. Das macht man dann aber doch nicht, weil man sich irgendwie schon ein bisschen ekelt. Das würde man aber natürlich nie zugeben.

Verklärung fernöstlicher Kulturen

Diese Verklärung fernöstlicher Kulturen ist jedoch oft nur von negativer Art. Soll heißen, weil man seine eigene Herkunft hasst (oder zu hassen glaubt), sucht man sich einen Antipol, der dem Eigenen entgegensteht und das entstehende Loch, wenn schon nicht zu füllen, dann wenigstens zuzudecken weiß. Dabei geht es nicht im eigentlichen Sinne um die Inhalte dieses Antipols, sondern nur um dessen Anwesenheit. Der Osten ist also nicht super, weil er der Osten, sondern weil er nicht der Westen ist.

Dabei bieten sich Länder wie Nepal, Indien oder Thailand in besonderem Maße an, weil sie neben ihrer Nicht-Westlichkeit auch noch arm sind und daher unter dem Verdacht stehen, vom Westen ausgebeutet zu werden. Damit ist diese Fernost-Liebhaberei nicht nur Kompensation, sondern auch gleichzeitig moralische Anklage, beziehungsweise Selbstanklage und Verurteilung. Daher Masochismus.

Mehr als Touris seid ihr nicht!

Das „richtige Leben“ ist es dennoch nicht, an dem man interessiert ist. Man lebt vielmehr in einer Traumwelt, und winkt dem Elend in der dritten Welt lieber zu, als Teil davon zu werden. Man sucht Kontakt zu den Einheimischen, kommt aber letzten Endes über den Status des Touristen niemals hinaus. Wie denn auch? Der Einheimische selbst betrachtet Menschen aus der westlichen Welt immer primär als zahlende Kundschaft. Ob sie nun normal angezogen ist oder eben nicht, spielt dabei höchstens eine nachgeordnete Rolle.

Aber auch der westliche Selbstverächter hat kein wirkliches Interesse daran „einzutauchen“. Schließlich lebt man von westlichem Geld, isst in Restaurants, die für den Einheimischen zu teuer sind (was auch schon der Fall ist, wenn man für die Nudeln mit Gemüse zwei Euro zahlt) und lässt sich im Krankheitsfall selbstverständlich in ein westliches Krankenhaus ausfliegen. Fernost also als großes Abenteuer und gleichzeitig Wohlfühlpflaster für das sich selbstverleugnende Selbst.

(Bild: Pixabay)

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