Gesichtet

Wiedersehen in Deutschland (I)

Erinnerungen sind nicht zuverlässig, wenn es darum geht, sie als Maßstab zu gebrauchen, an dem eine Gegenwart gemessen werden soll.

Aber, egal wie zuverlässig oder unzuverlässig Erinnerungen auch sein mögen, ohne sie ist ein Standpunkt gegenüber ehemals Bekanntem nicht zu gewinnen. Diese Erfahrung habe ich bei meinem letzten Deutschlandbesuch gemacht: anstelle des Deutschlands, das ich einmal zu kennen geglaubt hatte, habe ich ein mir völlig fremdes und seltsames vorgefunden. Um aber sicher zu sein, dass es wirklich so fremd und seltsam ist, wie es mir vorgekommen ist, muss ich doch mein Erinnerungsvermögen bemühen.

Achtzehn Jahre zuvor

Da fällt mir zunächst meine Gymnasialzeit ein, Abiturjahrgang 1999 unter dem Motto „Wir sind das Letzte“. Auf meinem Gymnasium, dem Friedrich-Ebert-Gymnasium Bonn, gab es natürlich Ausländer. Der Grund dafür war nicht, dass mein Gymnasium in einem der „Ausländervororte“ – Dransdorf, Tannenbusch, Duisdorf – gelegen hätte.

Tatsächlich lag es im damaligen Regierungsviertel. Viele der Ausländer waren deshalb im weitesten Sinn „Diplomatenkinder“. Daneben gab es auch die „gewöhnlichen“ Ausländer. Vor allem in der Oberstufe, ab der elften Klasse, kamen viele von der Realschule zu uns um Abitur zu machen. Wie auch immer, trotz „internationalem Klima“ und der Präsenz von Orientalen bzw. Muslimen gab es in der Oberstufe nur ein einziges Kopftuch zu sehen.

Kegelförmige Frauen

Ein einziges Kopftuch war damals sehr auffällig. Eine Lehrerin bemerkte dazu einmal auf dem Pausenhof: „Das arme Mädel! Und erst im Sportunterricht! Wie kommt die da zurecht?“ Trotz der Jeans kam mir das „arme Mädel“ optisch ein wenig wie ein Kegel vor. Der Ausländeranteil lag bei 132 Schülern um die fünfzehn Prozent. Im Bio-LK nannten wir die vier oder fünf Damen aus der ersten Reihe – von den Schülerbänken aus gesehen – „arabische Liga“. Zu deren Besonderheit gehörte unter anderem, dass sie keine Schweineaugen sezieren konnten (wollten?). Natürlich gab es schon damals zahlreiche orientalische Kollektive in Bonn und Umgebung, und dazu ebenfalls das ein oder andere unabwendbare Kopftuch.

Etwas gewöhnungsbedürftig war das allerdings schon, schon aufgrund der damit verbundenen Assoziation: es war eine Sache zumeist älterer, unten herum dicklicher Frauen, deren an sich schon kegelförmige Körper durch die weiten, oftmals dunklen Kleider ein nur noch mehr kegelförmiges Aussehen bekamen.

Die Normalität des Fremden

2017 sah die Sache für mich anders aus: das Kopftuch ist normal, junge und alte Musliminnen tragen es gleichermaßen, es gibt keine Ecke, an der man das Kopftuch nicht zu Gesicht bekäme. Es gibt sogar einen gewissen Kopftuchschick an Farben, Mustern, Materialen und Tragweisen.

Besonders aufgefallen ist mir das kurz vor dem Heimflug: an der Flughafenbar stand eine junge Frau mit ihrer Mutter. Die junge Frau hatte schicke, körperbetonte Kleidung an, die stellenweise sogar relativ kurz ausfiel. Ihr feines und helles Kopftuch bedeckte mehr symbolisch als tatsächlich die gut gepflegten Haare. Die Mutter hingegen entsprach eher dem klassischen Kegeltypus.

„Kleine Negerlein“

Da ich bereits den Bio-LK erwähnte, möchte ich dazu eine Anekdote liefern. Im Genetik-Unterricht, wo selbstredend auch die Vererbung beim Menschen behandelt wurde, kamen wir auf „dominant“ und „rezessiv“ sowie „Polygenie“ und „Polyphänie“ zu sprechen, vor allem bezüglich der sich aus der Kreuzung ergebenden „Filialgenerationen“.

Bezüglich der Polygenie und Polyphänie beim Menschen bemerkte die Lehrerin, dass bei der und der Kombination „ein kleines Negerlein“ herauskäme. Ich erwähne das, weil es damals niemanden zu stören schien. Das „kleine Negerlein“ zog nicht die kleinste Konsequenz nach sich. Anders verhielt es sich natürlich mit einem als komischen Kauz bekannten Physiklehrer. Dieser meinte einmal, dass Problem der Überbevölkerung in China ließe sich dadurch lösen, indem man ein riesiges Flugzug prall gefüllt mit Nervengas darüber zum Absturz brächte. Das „kleine Negerlein“ würde heute sicherlich genauso zu einem Skandal führen wie damals der Vorschlag des Physiklehrers.

Kein N-Wort, keine „Negerküsse“ mehr

In Köln habe ich eine Gehirnwaschanlage getestet, die vor allem die deutschen und nicht mehr so deutschen Schulkinder zu einem besseren Menschentum erziehen will. Es ist das, was ich den „Vorurteilskubus“ im ethnologischen Rautenstrauch-Joest-Museum nennen will. Außer dem „Vorurteil“ – unter dem Motto: „Der verstellte Blick“ – und dem „Rassismus“ behandelte der „Vorurteilskubus“ im Besonderen die Problematik des „N-Worts“ („Neger“; „Negerkuss“).

Darüber hieß es: „Das N-Wort steht für die grausame Geschichte der Versklavung und Kolonisation. AfrikanerInnen wurden generell bestimmte negative Eigenschaften zugeschrieben, wie z.B. Faulheit, Triebhaftigkeit und Grausamkeit. Alternative: Das N-Wort ersatzlos streichen, ‚Schokokuss‘ für die Süßigkeit verwenden.“ Zugegeben, ich selbst hatte immer gewisse Bedenken, das „N-Wort“ zu gebrauchen und habe die „N…“ stattdessen lieber „Schwarze“ genannt.

Weiße und Schwarze – Das ist Rassismus!

Das aber ist laut dem Vorurteilskubus rassistisch, denn „Schwarzsein ist (…) ebenso eine Erfindung des Rassismus wie Weißsein. Weiße Menschen machen sich selber Gedanken über ihre Hautfarbe, da sie glauben, Weißsein sei das Normale.“ Soso. Das Verwirrspiel im Indoktrinationsmodus wurde aber noch weiter getrieben: „Rassismus wird zu einem Großteil über Sprache transportiert. Unsere Sprache ist untrennbar verknüpft mit unserem Denken und Handeln. Diese Verknüpfung macht es erforderlich, dass wir uns Gedanken machen über Bedeutung und Inhalt der von uns verwendeten Begriffe.“

Ganz abgesehen davon, dass es für ein Kind ganz unangemessen und schon fast krankhaft anmutet, sich dauernd „Gedanken“ über die verwendeten Begrifflichkeiten machen zu müssen, liegt hier offen zutage: exzessives Grübeln über „Begriffe“ führt zu sprachlichem Unvermögen und am Ende sogar zu Verblödung. „N-Wort“ z.B. ist eine infantile Tabuisierungs- und Verlegensheitsbildung ähnlich der, die Vorschulkinder unter der Anleitung verklemmter Erwachsener bezüglich der Genitalien, der Ausscheidungsorgane, überhaupt der Ausscheidungen sowie des Geschlechtsakts an den Tag legen. Das betont Infantile dieser spielenden Pädagogik soll wohl bei den Kindern zu mehr Toleranz führen.

Der Vorurteilskubus im ethnologischen Museum ist doof, und er möchte euch „Kids“ ebenfalls doof machen. Beweis: Seine Rassismusdefinition: „Rassismus bedeutet, einen anderen Menschen wegen dessen Herkunft, Aussehen, Hautfarbe, Sprache oder Religion zu verdächtigen, ihn zu beschimpfen, zu benachteiligen oder zu bedrohen.“ Diese in denunziatorischem Ton gehaltene und absichtlich viel zu weit gefasste Pseudodefinition setzt den Rassismus bereits voraus, und zwar definitionslos! Es werden als rassistisch Taten und Verhaltensweisen bezeichnet, nur weil sie in Bezug auf vermeintliche oder wirkliche, nicht einmal mehr „Rasseeigenschaften“ begangen bzw. an den Tag gelegt werden.

Der „Vorurteilskubus“ ist beispielhaft für die Indoktrination in Deutschland

Wenn ein Museum unter anderem bilden und erziehen soll, so wird im Rautenstrauch-Joest-Museum unter Bildung und Erziehung Indoktrination verstanden. Indoktrination beginnt bei unauffälligen Kleinigkeiten und scheinbaren Nebensächlichkeiten. Die Art z.B., in der der Vorurteilskubus vom Vorurteil redet, ist bereits Indoktrination: „Vorurteile sind weltweit verbreitet. Sie dienen unter anderem dazu, das ‚Fremde‘ in ihr eigenes Weltbild einzuordnen und sich gegenüber dem ‚Anderen‘ abzugrenzen. Vordergründig sind es Urteile über andere, die indirekt meist eine Aufwertung des Eigenen ermöglichen.“

Rätselhaft für mein unbewusstes, reaktionäres und rassistisches Denken sind die Anführungszeichen, in die das „Fremde“ und der „Andere“ gesetzt sind. Ich z.B. bin fremd in Deutschland, auch wenn ich mir einbilde, es einmal gekannt zu haben. Fremd ohne Wenn und Aber, vor allem aber ohne Anführungszeichen. Und was am „Anderen“ in Anführungszeichen zu setzen sei, das erklärt mir der Vorurteilskubus nicht.

Der Verlust des Bekannten und des Unbekannten

Mein eigenes, aus sich selbst heraus Vorurteile treibendes geschlossenes Weltbild, erklärte sich, und damit mir, die Sache so: In einer überfremdeten und vom krassesten Individualismus zerfressenen Gesellschaft, wo die Menschen wesensmäßig nicht mehr verbunden sind und auch nicht mehr viel miteinander gemein haben, ist gegenseitige Bekanntschaft und gegenseitiges Bekanntsein nicht mehr gegeben.

Die Gemeinsamkeit und somit Gleichheit im Volkstum ist mit diesem zerstört. Mit der volkstümlichen Kategorie des Bekannten und Gleichen, die nebenbei gesagt es einem erlaubt, ein Urteil zu fällen, verschwindet aber auch notwendig die Kategorie des Unbekannten, des Fremden und deshalb Ungleichen. Sie wird als Vorurteil ausgesondert bzw. ad acta gelegt.

Wenn nichts mehr oder nur sehr wenig übrig bleibt von dem, was ich über mich hinaus als Eigenes bezeichnen kann, ist mir die Möglichkeit genommen, den Anderen als Anderen zu bezeichnen. Das ist doch ein Fortschritt in der Erziehung zu Toleranz. Deshalb: Anführungszeichen her! Der Vorurteilskubus ist im Kleinen beispielhaft für das, was in ganz Deutschland im Großen geschieht.

(Bild: Friedrich-Ebert-Gymnasium Bonn, Michael.barthCC-BY-SA 4.0)

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