Gesichtet

Wiedersehen in Deutschland (III)

Eine Binsenweisheit ist, dass einem in Deutschland deutsche Geschichte auf Schritt und Tritt begegnet. Trotzdem ist es nicht überflüssig, eigens darauf hinzuweisen. Es ist nämlich so selbstverständlich nicht mehr.

Auf dem Bonner Alten Friedhof wächst auf einer schlicht gehaltenen Grabesstätte eine über hundertfünfzig Jahre alte deutsche Eiche. Ihr mächtiger Stamm hat in anderthalb Jahrhunderten die beiden auf die Grabesstätte gepflanzten Steinkreuze nach den Seiten hin abgedrängt, unter dem üppigen Wuchs ihrer Blätterkrone ideell aber wieder vereint. Hier liegen, nur der besseren Unterscheidung wegen vom starken Stamm der Eiche auseinandergehalten, Ernst Moritz Arndt und seine Frau.

Deutsche Romantik und die Gräber der Helden

Der von der Bornheimer Straße kommende Autolärm vermag die Ruhe nicht zu stören. Die grell in der Sommerhitze hervorblitzenden Fassaden moderner Wohnblocks kommen nicht an gegen den allgegenwärtigen grünen Hintergrund. Und auch der periodisch Marmorkreuze zerschlagende und Gräber schändende Vandalismus, noch weniger die hier anzutreffenden Penner, Saufbrüder und Junkies sind in der Lage, meinem Eindruck der Ruhe etwas anzuhaben.

Der Bonner Alte Friedhof ist ein Ort, an dem es für bestimmte Gemüter unmöglich ist, nicht romantische Anwandlungen zu bekommen. Sollte dieses tote, dem Zahn der Zeit, den Launen von Mensch und Natur preisgegebene Deutschland mehr Kraft besitzen als das heute lebende? Der halb zum Wald gewordene Friedhof, auf dem ein Teil der damaligen preußisch-deutschen Elite zur ewigen Ruhe gebettet liegt, rief mir Paretos bekanntes Wort ins Gedächtnis: „die Geschichte ist ein Friedhof der Eliten“ – wie wahr! Aber auch folgenden Gedanken: Dieser Friedhof ist im höchsten wie im tiefsten Sinne ein geschichtlicher Ort.

„Weg der Demokratie“

In Bonn gibt man sich ausgesprochen Mühe, dass die Sehenswürdigkeiten, die Museen und die Denkmäler auch gefunden und besucht werden können. Selbst die Besichtigung weniger bekannter Dinge wird durch offentischtlichste Bekannmachung erleichtert. Die zu diesem Zweck angebrachte Beschilderung ist hervorragend, und auch die offiziellen Stadtpläne verzeichnen, was man zu sehen hat und was man besuchen soll.

So z.B. den „Weg der Demokratie“ im Regierungsviertel, ein Weg, auf dem die Meilensteine der bundesrepublikanischen Demokratiewerdung Station für Station – Abgeordenetenhaus „Langer Eugen“, Parlament im „Wasserwerk“, Kanzleramt, Sitz des Bundespräsidenten im „Palais Schaumburg“, Ministerien usw., all das selbstverständlich ehemalig – abgelaufen werden können.

Zu meiner Zeit gab es nur das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland im Verbund mit der „Museumsmeile“, und damit hatte es sich. Euphemistisch kann man den neu hinzugekommenen „Weg der Demokratie“ einen Teil der politischen Bildung nennen. Sicher ist, dass es sich bei ihm um einen Teil des landesüblichen Indoktrinationsapparats handelt.

Eine Polin, die gut auf Ernst Moritz Arndt zu sprechen ist

Bezüglich des Ernst-Moritz-Arndt-Hauses war die Beschilderung seltsamerweise nicht so gut. Man muss es schon eigens besuchen wollen, um es zu finden. Das war auch die Absicht, mit der ich mich unterwegs zur Adenauerallee gemacht hatte, um oberhalb des „Alten Zolls“ Arndts Haus – eine am Rhein gelegene Professorenvilla aus der Zeit des Biedermeier – zu besichtigen.

Aus der offiziellen Bonner „Touristinformation“ waren kaum Angaben dazu zu entnehmen, nur die Öffnungszeiten, und dass es Teil des Stadtmuseums sowie Tagungs- und Veranstaltungsort war. Mehr nicht. Als ich endlich vor der Villa stand, gab es noch ca. zwanzig Minuten Besuchszeit, die Tür jedoch fand ich verschlossen vor. Trotzdem beschloss ich zu schellen. Nach einigem Warten öffnete eine Frau mittleren Alters, um deren Füße herum aufgeregt ein Terrier wuselte. Mit stark osteuropäischem Akzent erklärte sie mir, dass zur Besichtigung kaum fünfzehn Minuten übrigblieben. Ich möge doch bitte am nächsten Tag wiederkommen.

Als ich am nächsten Tag wiederkehrte, sah Arndts ehemaliges Anwesen nicht viel zugänglicher aus, doch ich hatte die Hoffnung, dass man mir den Zutritt nicht verwehren würde. Ich schellte wieder an der Klingel, und wieder bekam ich die Osteuropäerin in Begleitung ihres aufgeregten Terriers zu sehen. Diesmal hatte sie nichts einzuwenden, ich bezahlte den Eintritt und betrat – endlich – Arndts Haus. Der Terrier bellte drohend, doch die Frau versicherte, dass er mir schon nichts täte.

Das demokratische Gedächtnis vergisst nur allzu gern

Vier Zimmer der Villa waren eingerichtet mit persönlichen Besitztümern Arndts, mit Porträts von ihm und seiner Familie, Biedermeiermöbeln und allerlei originalen Einrichtungsgegenständen. Die Frau war ein wenig verwundert, dass jemand sich die Mühe machte, eigens Arndts Wohnhaus zu besichtigen. Offensichtlich war sie solche Besuche nicht gewohnt. So kamen wir ins Gespräch, und zu meiner eigenen Überraschung bemerkte ich, dass die Frau – eine Polin von „genau gegenüber Frankfurt/Oder“ – nicht nur gut über Arndt Bescheid wusste, sondern sogar gut auf ihn zu sprechen war.

Sie hatte sehr interessante Anekdoten zu berichten, z.B. wie es dazu kam, dass Arndt gerade hier, an diesem so schönen Flecken Rheinufer, seine Villa bauen ließ, die stilistisch seinem Rügener Geburtshaus nachempfunden war: „Das waren früher Weinberge außerhalb der Stadt und die Grundstückspreise niedrig“, sagte sie, und lieferte damit die beste ökonomische Erklärung für dieses malerische Stück Rheinromantik. Sehr gerührt war sie über das Verhältnis von Arndt zu seinen Studenten und wie sich seine Studenten für ihn eingesetzt hatten, nachdem er von der preußischen Regierung als Professor abgesetzt worden war.

Auch gab sie ihren Kommentar zu Arndts Nationalismus ab: „Das war damals so“. Ich fragte mich nachher, ob eine deutsche Museumsangestellte so über Arndt geredet hätte. Wahrscheinlich nicht. Heute soll ja Arndt uns allen ein schmähliches Beispiel deutschtümelnder Franzosenfresserei sein und nur ein weiterer Antisemit des 19. Jahrhunderts, den man ruhig der historischen Vergesslichkeit überantworten darf. Das ist das neuere „demokratisches Gedächtnis“, selektiv und schlecht bis zum Gehtnichtmehr. Darum hat es auch Wege der Erinnerung, „Wege der Demokratie“ nötig, um sich nicht noch selbst abhanden zu kommen.

Ein preußischer König umzingelt von Morgenländern

Ein Wiedersehen mit Arndt hatte ich nachher in Köln, auf dem Heumarkt. Dort hatte man erfreulicherweise ein Reiterstandbild König Friedrich Wilhelms III. von Preußen wieder aufgestellt. Die Spuren des Krieges waren an den Beschädigungen der auf einem rechteckigen Betonsockel montierten Bronzetafeln sehr deutlich zu erkennen. Auf diesen war abgebildet die preußisch-deutsche Crème de la Crème von um 1850:

Alexander von Humboldt, Niebuhr, dessen Grab ich ebenfalls in Bonn gesehen hatte, Blücher, Hardenberg und Arndt. Als ich anderen Tags über den Heumarkt ging, fand ich dieses herrliche deutsche Denkmal bevölkert von einer Gruppe von sechs oder sieben Morgenländern. Einer trug sogar so ein langes Muslimgewand. Das erschien mir ein eigenes denk mal! für sich, worüber ich für mich auf die Frage kam: Was habt ihr Muslimbrüder mit diesen Leuten, von denen ihr überhaupt gar nichts wisst, gemein?

Gaffende Morgenländer in Bonn

Bereits in Bonn konnte ich dutzende Gruppen „arabisch aussehender junger Männer“ auf der Hofgartenwiese ausmachen. Im Gegensatz zu der handvoll Morgenländer auf dem Kölner Heumarkt war die passive Aktivität der Morgenländer auf der Hofgartenwiese gleich auf den ersten Blick als konkrete Beschäftigung erkennentlich: während die deutsche, die nichtdeutsche und die den Deutschen assimilierte Jugend unbekümmert mit Sonnenbaden – die Mädchen im Bikini –, Plaudern und Picknick sich die Zeit vertrieb, konnte man überall um sie herum diese rein morgenländischen, diese reinen Männergruppen beim Begaffen der Mädels beobachten.

Ähnliche Szenen, nur weniger krass, konnte ich auf der Poppelsdorfer Allee beobachten: auf der einen Seite unbekümmerte postmoderne „Unsere-Art-zu-leben“-Menschen, auf der anderen Begutachtung der Frauen durch eigens zu diesem Zwecke zustande gekommene morgenländische Männervereinigungen.

„Grundgesetz“ auf Arabisch für die Neuankömmlinge

Dass ich den fremdenfeindlichen und vorurteilsvollen Blick habe, daran hatte ich bereits lange vor meiner Bekanntschaft mit dem „Vorurteilskubus“ keine Zweifel mehr. Bewusst geworden ist mir das während eines abendlichen Spaziergangs auf der Bonner Rheinpromenade: Auf der Höhe des „Alten Zolls“ sprangen drei Flüchtlingskinder um die zwölf Jahre über die Absperrungen der Schiffsanlegestellen, rannten, lachten und machten allerlei Unsinn.

Wären es deutsche oder zumindest deutsch aussehende Kinder gewesen, es wäre mir nicht näher aufgefallen. Vielleicht liegt es daran, dass ich unwissender Tor noch nicht auf die Formel für ein harmonisches Zusammenleben von Neuankömmlingen und Einheimischen gekommen bin. In der Bundeszentrale für politische Bildung auf der Adenauerallee scheint man jedenfalls das „Grundgesetz“ für den Stein der Weisen zu halten und stellt es folglich in arabischer Übersetzung den Neuankömmlingen zur Verfügung.

Ob die auch Schlange stehen, um freudig ihr heißersehntes Exemplar „Grundgesetz“ entgegenzunehmen, konnte ich jedoch nicht ausfindig machen: Die Stapel „Grundgesetz“ lagen zwar zum Zugriff bereit, die Bundeszentrale für politische Bildung aber hatte geschlossen.

Hier geht es zu Teil eins und zwei dieser Deutschland-Reportage.

(Bild: Alter Friedhof Bonn, Wilhelm Rosenkranz, flickr, CC BY-NC 2.0)

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