Gesichtet

Zweireichelehre vom -phone

In den neunziger Jahren wurden mit dem Ende der Knuddelkultur der Dreizehn- bis Fünfzehnjährigen Millionen Tamagotchi zu Elektroschrott. Der Mobilfunk brachte ihnen ein neues Faszinosum: das -phone.

Leider verschwinden die -phones nicht mit den Pickeln im Gesicht wie damals die Tamagotchi. Überhaupt hat die Faszination, die von ihnen ausgeht, nicht das Geringste mit der Pubertät zu tun. Das -phone scheint allgemein im Menschen etwas anzusprechen, ein spezifisches Bedürfnis zu befriedigen. Es ist schwer zu sagen, was das -phone, einst „Handy“ oder „Mobiltelefon“ genannt, dem Menschen bedeutet.

Mensch und -phone

Rein äußerlich besehen hat mit dem -phone die Knuddelkultur  ihre Wiederauferstehung gefeiert und zwar in dem Sinne, dass hier wieder jemand rund um die Uhr betreut werden muss. Es sind aber nicht mehr (nur) Teenies, sondern Menschen jeglichen Alters – die Achtzig- oder Neunzigjährigen vielleicht ausgenommen –, die alle Lebensfreude verlieren, wenn sie von ihrem -phone getrennt werden.

Im Gegensatz zum Tamagotchi aber sind die -phones wirklich interaktiv. Das -phone und sein Menschen bedienen und befriedigen sich tatsächlich gegenseitig: Das -phone benötigt Aufmerksamkeit und Zuwendung, der Mensch braucht Unterhaltung, Beschäftigung, Zerstreuung, Trost … Die Symbiose ist perfekt. Beide geben und nehmen voneinander. Mensch und -phone sind untrennbar miteinander verbunden, sie gehören zusammen wie der Dotter zum Ei.

Dem himmlischen -phone hinterher

Bei alledem geht es niemals um dieses oder jenes -phone, sondern grundsätzlich um DAS -phone, um das definitive -phone – was will das besagen? Das will besagen, je mehr und öfter ich mich nach dem -phone umschaue, welches am besten dazu geeignet ist, mir meine Bedürfnisse zu befriedigen, desto mehr und besser diene ich dem definitiven, dem allmächtigen -phone, alles klar?

Mit „das definitive -phone” ist hier dasjenige -phone gemeint, das pausenlos der menschlichen Begehrlichkeit vorschwebt, ähnlich wie eine lebensspendende Oase als Fata Morgana, oder Vorstellung, die dem Verdurstenden in der Wüste vorschwebt. Egal, was für ein -phone sich zufällig in meinem Besitz befindet, treu anhängen, ihm ewig hinterher rasen werde ich nur dem definitiven -phone. Dieses, und nur dieses, ist dasjenige -phone, das ich wirklich begehre, auch wenn ich ihm nicht habhaft werden kann.

Hier ist keine pubertäre hormonelle Achterbahnfahrt, sondern eine umgekehrte Skischanze, die man hochspringt ins Unendliche, gen dem definitiven, dem himmlischen -phone, ohne es dabei jemals erreichen zu können. Die Leute leiden wahre Sisyphusqualen dieses himmlischen Apparats wegen.

Irdische Annäherungen an das himmlische -phone

Obschon das -phone selbst nicht zu erreichen ist, ist es doch ein reizend Ding, ein reizender und darum höchst wirksamer Stachel im Ehrgeiz von Menschen, die sich nach ihm sehnen. Im Spannungsfeld von Ehrgeiz und Sehnsucht wird dem Menschen aber keine Befriedigung zuteil. Ständig hungert und dürstet es ihm nach mehr und besser. Der Mensch, der bekanntlich nicht nur vom Brot allein lebt, sondern auch von guten Hoffnungen und frohen Lockungen, kommt niemals in den Genuss des definitiven -phones.

Dabei werden die profanen, zufälligen und irdischen –phones ihrem ewigen himmlischen Urbild immer ähnlicher und sogar gleicher. Die jetzige Generation von -phones ist diesem inzwischen näher als die vorangegangene. Die nächste wird ihm noch näher sein, die übernächste noch noch näher, die überübernächste noch noch noch näher usw. – Es tun sich Abgründe auf, die ein Achill nicht zu überspringen vermag, und die selbst ein von diesem mit größter Kraft abgeschossener Pfeil zu überfliegen niemals imstande wäre.

An der Mesalliance von endlichem Menschen und unendlichem -phone wiederholen sich augenscheinlich die Paradoxien des Zeno von Elea: die Schildkröte, die vom hinterher sprintenden Achill nicht eingeholt werden kann, der Pfeil, zwischen dem und seinem Zielpunkt, während er sich ihm nähert, sich Abgründe auftun …

Himmlisches -phone, irdisches -phone

Paradoxer als alle Paradoxien des Zeno ist aber der Mensch, der sich in seinem Ehrgeiz – sollten wir diesen nicht besser Irrsinn, Wahnsinn, Unsinn, Blödsinn, kurz -sinn nennen? – auf Unmögliches einlässt: mit jedem neuen normalen-profanen -phone, welches die Begierde nach mehr vom richtigen, vom wahren -phone nur vergrößert, freut sich der Mensch über diesen vergänglichen-erschwinglichen-tatsächlichen Gewinn am himmlischen.

Handelt es sich doch tatsächlich um ein zu ihm heruntergezogenes und, somit, entweihtes, verdiesseitigtes und vergegenständlichtes Stück Himmlichkeit, um verzeitigte Ewigkeit in Gestalt eines -phones. Die Freude am so Gewonnenen dauert leider nur so lange wie der Eindruck des Gewinns dauert. Die Begierde nach mehr vom richtigen ist nicht mit demjenigen zu sättigen, was tatsächlich zu erreichen ist – es ist und bleibt eben bloß irdisches Manna –, gerade weil es begrenzt ist und eben darum nicht „richtig” sein kann. Geht es doch schließlich um grenzenlosen Genuss, und den gewährt, verspricht nur das definitive -phone. Und das ist nicht von dieser Welt.

Vom Himmel über die Herzen auf die Erde

Eigentlich zum Verzweifeln, wenn man sich nicht mit dessen minder vollkommenen, sich aber dennoch immer mehr vervollkommnenden, Abbildern zufrieden geben könnte. Das unnachahmliche himmlische Original ist genauso unfassbar wie unerschöpflich. Egal, wie viel wir von ihm zu uns herunterziehen und verwirklichen, es selbst wird dadurch nicht weniger und büsst auch nichts von seiner eigenen überweltlichen Wirklichkeit ein.

Hier unten auf Erden, wo Rost und Motten unsere Schätze fressen, werden wir nie zum definitiven -phone kommen, wie sehr sich auch unsere -phones diesem annähern mögen. Dennoch besteht Hoffnung: Auch wenn wir das definitive -phone nicht (niemals) haben können, weder aus unserer Vorstellung noch aus unserer Begierde ist es zu verbannen. Es hat seinen festen Platz in unseren Herzen genauso wie im Himmel. Also ist es in gewisser Hinsicht doch auf Erden, nämlich in uns. Amen.

Das -phone, ein Scheiß

In den Neunzigern waren es oft die Lehrer, die durch ihr beherztes Eingreifen vorzeitig Schluss machten mit dem Tamagotchispuk: Die kleinen Störenfriede wurden kurzerhand einkassiert. Käme doch ein großer Lehrer, käme der größte jemals dagewesene Lehrer und zöge uns das verfluchte -phone aus den Köpfen! Um das zu bewerkstelligen müsste dieser Lehrer die Fähigkeit besitzen, tatsächlich in unsere Köpfe greifen zu können sowie unsere Begierden zu fesseln.

Allein damit wäre es noch nicht getan. Er müsste das himmlische -phone selbst von eben diesem seinem Himmel auf die Erde stürzen und sogar noch durch den Dreck ziehen. Er müsste es in seiner Unerreichbarkeit zu erreichen wissen, es in seiner Unendlichkeit zu packen vermögen. Entblößt von menschlichem Wahnwitz und englischem – d.h. engelsgleichem – Antlitz entpuppte es sich dann als das, was es wirklich ist: ein Scheiß. Und dem soll unser Wahn gegolten haben, unser ganzes Weben und Streben? Nein, dem gilt unser Wahn, unser ganzes Weben und Streben. Einem Scheiß.

(Bild: Pixabay)

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