Rezension

Hans Blumenberg und die politische Strategie der Präfiguration

Wie ist es zu erklären, dass Politiker der Altparteien und linke Bewegungen sich generell, wie in einer Zeitreise, innerhalb der Zeit in das Jahr 1933 zurückversetzt fühlen und beständig Metaphern, Analogien und Parallelen bei patriotischen Bewegungen oder Parteien zu der Zeit oder Vorzeit des Nationalsozialismus ziehen oder angeblich meinen erkannt zu haben?

Die Greueltaten des Nationalsozialismus werden dadurch stark relativiert und verharmlost. Ein gewisser Blick in den mythisch-politischen Begriffsapparat des Philosophen Hans Blumenberg könnte diesbezüglich sehr hilfreich sein, dieses bewusste Phänomen zu erklären. Es geht in concreto um den Begriff der Präfiguration, d.h. einer politischen Mythisierung, welche ein besonderes Ereignis oder eine Entscheidung aufgrund eines vorherigen und historischen Ereignisses bzw. einer Konstellation vorwegnehmen oder eine scheinbare Erfüllung einer Prophezeiung legitimieren soll.

„Das Phänomen der Präfiguration setzt voraus, daß die mythische Denkform als Disposition zu bestimmten Funktionsweisen noch oder wieder virulent ist. In der Präfiguration geht die Mythisierung an die Grenze der Magie heran oder überschreitet diese sogar, sobald mit dem ausdrücklichen Akt der Wiederholung eines Präfigurats der Erwartung der Herstellung des identischen Effekts verbunden wird.“ (Blumenberg, Präfiguration. Arbeit am politischen Mythos, 7)

Blumenberg nennt hierfür einige Beispiele: So hätte Friedrich II., damit ist in diesem Kontext der Staufer gemeint, eine große Rolle gespielt, da der Theologe Joachim von Fiore den Gipfel der Menschheitsgeschichte innerhalb seiner Geschichtstheologie zwischen 1250 und 1260 datierte. Friedrich der II. starb jedoch im Jahre 1250. Dabei sahen, so Blumenberg mit Verweis auf Norman Cohn, die deutschen Anhänger Joachims von Fiore in dem Kaiser den Messias und die italienischen Anhänger den Antichristen. Die Präfiguration in diesem Beispiel macht erst die geschichtstheologische Deutung aus.

Präfigurationen müssen nicht nur rein historisch sein. Der Bezug kann auch aus einer mythischen oder religiösen Schrift oder Prophezeiung hergleitet sein. So wird eindeutig auf die Apokalypse und die Eschatologie verwiesen, indem die biblischen Begriffe, nämlich der deuteropaulinische Begriff des Antichristen und der generelle Begriff des Messias in die Historie eingeflochten werden und Personen mit diesen identifiziert, glorifiziert oder verteufelt werden. Dadurch sehen wir, dass Präfigurationen eben nicht nur auf eine zu legitimierende Entscheidung basieren, sondern weiter greifen. Zunächst sei aber die Figur der Präfiguration als anthropologische Funktion zu charakterisieren. Dies geht nicht ohne eine Kontextualisierung des Begriffs und eine kurze Vorstellung des Autors:

Hans Blumenberg, geboren in Lübeck 1920, gestorben 1996 in Altenberge, zählt zu den originellsten, aber auch komplexesten Denkern der Geistesgeschichte der Bundesrepublik. Seine philosophischen Schwerpunkte waren vor allem die Metaphorologie (Paradigmen zur Metaphorologie, Schiffbruch mit Zuschauer, Die Lesbarkeit der Welt, Theorie der Unbegrifflichkeit usw.), die Legitimität und die Neuzeitproblematik (Legitimität der Neuzeit, Genesis der Kopernikanischen Welt) und die Anthropologie (Arbeit am Mythos, Beschreibung des Menschen etc..).

Schon seit seiner Dissertation in Kiel im Jahre 1947 beschäftigte sich der damals noch relativ junge Denker mit der Theologie, insbesondere der theologischen Dogmatik. Diese Schrift, nämlich die „Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit der mittelalterlich-scholastischen Ontologie“ war eine Schrift, welche nach sehr vielen Jahrzehnten zum 100. Geburtstag Blumenbergs auch gedruckt worden ist. Diese Schrift eröffnete schon damals eine Interpretation der Geistesgeschichte mit einer gewissen Anthropologie als Grundthese.

In diesem Artikel geht es aber um den Begriff bzw. die Figur der Präfiguration, welche jedoch als anthropologisches Mythologem verstanden werden muss. Dies ist ursprünglich ein Teil bzw. Kapitel von Arbeit am Mythos gewesen und ist später dann aufgrund der Gesamtthematik des Mythosbegriffs selbst entfernt worden. In Arbeit am Mythos, einem der wohl bekanntesten Werke Blumenbergs, wird die Funktion des Mythos unter die Lupe genommen, so hat der Logos und der Mythos die gleiche Funktion, nämlich vor allem die Depotenzierung und Minimierung bzw. Entlastung von der Totalität der Wirklichkeit. Dies ist zu verstehen als Abhilfe, als narrative Sedimentierung und Einbindung der Wirklichkeit oder mit anderen Worten als anthropologische Funktion.

Der Unterschied der Begrifflichkeit von Angst und Furcht dient hier als Erklärungsmuster. Die Angst ist stets unbestimmt. Die Furcht stets bestimmt. Der Mensch kann ohne Vertrautes nicht existieren. Angst wird zu Furcht rationalisiert. Die schlimmsten Auswüchse dieses Phänomens sind im Stockholmsyndrom gegenwärtig, in welchem der Peiniger zur Vertrauensperson umgewandelt wird. Gerade diese Einbindung und diese Art der Scheuklappen sind auch bei der politisch-mythischen Präfiguration miteinzubeziehen.

Es ist eine Art Flucht in den Mythos, getarnt entweder als rationales Element der Wiederholbarkeit der Geschichte oder als Identifizierung und Erfüllung einer Prophezeiung. In Wirklichkeit ist es jedoch eine Vereinfachung, eine Abhilfe einer Entscheidung oder einer Positionierung. Eine Interpretation des ciceronischen Satzes historia magistra vitae, welche zu wörtlich verstanden worden ist, welche die Entscheidung eines Menschen und seinen Weg zur Eigentlichkeit eben nicht vorwegnimmt, sondern abnimmt. Oder um Heidegger zu folgen, es ist ein mythologisches „man“. Es ist Feigheit und Opportunismus zugleich.

Die aktuellen Politiker der Altparteien propagieren, dass sie sich in Zeiten zurückversetzt fühlen, um gerade diese politische Präfiguration bei den Menschen auszulösen bzw. die niederen Herdeninstinkte bei der Masse zu bedienen. Sprüche wie „Nie wieder“ werden bewusst an Patrioten adressiert, um diese präfiguriert als etwas abzustempeln, was diese nicht sind, nie waren und nie sein werden.

Die politische Präfiguration wird hier als Methode der schwarzen Rhetorik gebraucht. Anhand des „Namens“ können wir das bisher dargestellte noch einmal schärfer stellen: Namen spielen beim Mythos eine hervorzuhebende Rolle. Aber nicht nur das fertige Produkt des Namens, auch schon der Prozess des Benennens sorgt für die Depotenzierung der Wirklichkeit, des Weiteren gilt: Jeder Name ist, nachdem er genannt worden ist, ein Stück der Vertrautheit.

Dies erklärt auch, warum Abstempelungen und bewusste Namen von totalitären Regimen, wie Faschismus und Nationalsozialismus gebraucht werden, nämlich um Parallelen einer negativen Vertrautheit in der Gesellschaft herzustellen. Aber auch in religiösen und mythischen Schriften dienen Namen, um eine negative Vertrautheit auszulösen:

Nicht umsonst fragt Jesus bei dem Exorzismus in Markus den Dämon Legion nach seinem Namen. „Als Unbekanntes ist es namenlos; als Namenloses kann es nicht beschworen oder angerufen oder magisch angegriffen werden.“ (Blumenberg, Arbeit am Mythos, S. 40).

Die politische Präfiguration der Altparteien nutzt unter anderem gerade diese negative Vertrautheit der Namen, um eine imaginäre und mythische Verbindung zwischen einer patriotischen Bewegung oder Partei und einer vergangenen Diktatur zu konstruieren und Patrioten so zu diffamieren.

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