Anstoß

Kapitalistischer Ouroborus

Der Kapitalismus ist ein Monotheismus. Er kennt nur einen Gott und dieser hört auf den Namen Mammon. Alles, was ihm zuwider läuft, ist falsche Götze. Alles, was ihm dient ist Weihrauch. Überaus eifersüchtig und eitel ist jener Gott, denn er verlangt ständige Anbetung und duldet keine anderen Götter neben sich. Ein Jedes in der Welt ist ihm Werkzeug oder noch nicht Brauchbares. Lässt es sich verwerten, zu etwas Konsumierbaren umwandeln, ist es heilig. Wenn es sich aber nicht einfach zur Produktion von Konsumgütern nutzen lässt oder gar der Verwendung entgegensteht, ist es Sünde. Sein Gottesdienst besteht im absoluten Profit und der relativen Steigerung dessen. Doch in Wahrheit ist es kein Gott, sondern eine Echidna.

Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass der Kapitalismus ein ewig währendes Wirtschaftssystem sei. Dass also die gezielte Investition in Produktionsmittel und Produktionskräfte zum Erwerb weiteren Kapitals immer schon dagewesen sei. Sicher gab es immer schon Menschen, die Vermögen investiert haben. Allerdings hat sich eine darauf basierende Wirtschaftsordnung erst mit dem Niedergang des Feudalismus und dem Aufstieg der Industrie, später der Dienstleistungsbranche, in Europa durchgesetzt.

Zuvor war es nicht unüblich, dass selbst der niederste Leibeigene ein kleines Stückchen Land zu Verfügung hatte, von dem er sich und seine Familie ernähren konnte. Im Falle von Krankheit, Tod oder Misswirtschaft hatte der Herr des Landes eine Mindestpflicht zur Versorgung seiner Untergebenen zu erfüllen. Erst der Kapitalismus trennte weite Teile der Bevölkerung vom Boden. Weshalb etwa ein Fabrikarbeiter nicht mehr seine eigenen Nahrungsmittel anbauen und auf dem Land seines Herren leben konnte, beides fortan bezahlen musste und um dies zu bewerkstelligen sich gezwungen sah einer Lohnarbeit nachzugehen. Der zeitliche Umfang und die zu erbringende Leistung lagen für gewöhnlich über dem, was ein Leibeigener oder freier Bauer zuvor zu verrichten hatte und dies war nicht wenig.

Auch dass Frauen in vorkapitalistischer Zeit arbeiteten, war keine Sonderheit, sondern die Regel. Aber sie taten dies eben auf dem heimischen Hof, der eigenen Scholle, ebenso wie ihre Männer und die älteren Kinder und sie taten es für sich selbst, sowie ihre Familie. Das Heimchen am Herd ist ohnehin nur eine Erscheinung des um sich greifenden Kleinbürgertums an der Schwelle zum Spätkapitalismus. Sehr viel wahrscheinlicher, als dass der Kult des Kapitals von nun an ewig währt, ist, dass diese Götzenanbetung dereinst zugrunde gehen wird, wie vor ihm der Feudalismus und all die anderen Wirtschaftssysteme, die sich heute nur noch in verstaubten Büchern und bestenfalls noch an fernen Orten finden lassen. Ob der Kommunismus die Ablöse sein wird, mag in Anbetracht des schaurig-komödiantischen Stelldicheins, Selbigen im vergangen Jahrhundert zu versuchen, bezweifelt werden.

Bei seinem Voranschreiten durch Raum und Zeit frisst sich der Kapitalismus gierig durch die Bestände dieser Welt. Verschlungen wird, was im Magen des Ungeheuers zersetzt werden kann. Die Ausscheidung ist nur allzu oft ein trauriger Haufen, an einst wertvollen Dingen, die nun billiger Tand und leicht zu konsumieren sind.

Gewachsene Dinge müssen dabei nicht zwangsläufig im Weg stehen. So kann etwa ein Staat durchaus nützlich sein, wenn er im kolonialen Ausgreifen andere Völker überfällt und beraubt, so dass der Kapitalismus billig an Rohstoffe gelangt. Aber auch zum Zerbomben der Konkurrenz und dem Erobern neuer Märkte und Patente kann der Staat dem Kapitalismus dienlich sein. Geht es aber um Zollschranken, den ethnisch?kulturellen Erhalt der Nation oder Befindlichkeiten des Staatsvolks, endet die unheilige Allianz recht schnell. Außer natürlich wenn die Staatsführung käuflich ist, doch dann ist das Volk, mit seinen vermeintlich irrationalen Begierden und nicht konsumierbaren Beständen, immer noch Feind des Kapitalismus. Daher ist es dem Kapitalismus ein Dorn im Auge, wenn nicht billige Arbeitskräfte und neue Konsumenten importiert werden können, so wie es doch schon mit Waren und Rohstoffen vonstatten geht.

Welcher Vermieter ist gegen steigende Mietpreise aufgrund von Migration und welcher Arbeitgeber zahlt nicht lieber den billigeren Lohn an Flüchtlinge? Patriotismus kennt der Kapitalismus nicht, er hat ja kein Heimatland. Verkaufen tut er den Patriotismus dennoch, als gut konsumierbaren faden Brei im vollgekotzten Polyesterdirndl auf dem Oktoberfest. Ebenso ist die Familie, in der nicht alle in Lohnarbeit stehen, ein Ärgernis. Doch allzu betrübt über das Verbot der Kinderarbeit muss der Anbeter Mammons nicht sein. Denn neben den Männern, dürfen sich auch Frauen kaputt schuften und Fernsehen und Smartphone ermöglichen es, den Konsumterror schon ins Kinderzimmer zu tragen.

Dabei profitiert er wie kein anderer seit seinem Anbeginn vom Wohlstandsgefälle in der Welt. Die armen Staaten dieser Erde eignen sich für den Kapitalismus vorzüglich zum Ausbeuten. Ein schlagkräftiges Militär, eine gute Reputation in der internationalen Gemeinschaft oder eine starke Binnenwirtschaft, die sich souverän gegen äußere Einmischungen durchsetzen kann, gibt es dort für gewöhnlich nicht. Zudem sind die politischen, militärischen und wirtschaftlichen Eliten dieser zumeist ehemaligen Kolonien häufig korrupte, handverlesene Exemplare ihrer reichen einstigen Mutterländer. Darum gelangen Rohstoffe, Arbeitskräfte und Konsumenten in die reichen Länder und Waren der Überproduktion und Müll in die armen Länder. Freilich ist der Kapitalismus dazu übergegangen, falls möglich, seine Produktionsmittel nun gleich in den armen Ländern aufzustellen und die Produktionskräfte vor Ort zu nutzen.

Zeitgleich zur Nutzung und dem Erhalt des Wohlstandsgefälles auf der Erde, strebt der Kapitalismus eine Welt an, in der eine möglichst homogene, beliebige und unkonkrete universelle Menschheit jederzeit und überall alles produzieren und konsumieren kann. Natürliche Identitäten, wie Volk, Geschlecht und Herkunft sind dabei zumeist bloß geschäftsschädigend. Demgegenüber werden uneigentliche Identitäten vom Kapitalismus gefördert. Was interessiert ihn schon, ob einer Igbo aus Nigeria oder Korse aus Europa ist und der Nächste einer der Letzten eines aussterbenden Amazonasstammes. Das kann man schließlich nicht verkaufen und verbrauchen, lediglich zerstören kann man es.

Ob aber jemand Enthusiast einer Smartphonemarke ist und sich ständig ein neues kauft, ist für den Kapitalismus überaus wichtig und wird genauso gefördert wie die Fanbase dieser oder jener Popsubkultur. Denn in einem völlig einförmigen Menschenschleim, in dem es nichts Hässliches gibt, da die Schönheit fehlt, in der jeder alles sein kann und Identitäten konsumierbar sind, so wie Kleidungsmode, kann ein schier unbegrenzter Kundenpool erschlossen werden und jeder kann jede noch so schlechte Arbeit für jeden noch so ausbeuterischen Hungerlohn machen.

Offensichtlich stehen sich diese Begehren des Kapitalismus zumindest im Endeffekt im Weg. Zwar mag das böse Spiel noch eine ganze Weile weitergehen, denn zwischen dem Globalen Süden und dem Globalen Norden wird es noch auf absehbare Zeit ein Wohlstandsgefälle geben und die Migrationsströme in die reichen Länder werden bis auf weiteres Arbeitskräfte und Kaufwillige, sowie den Kapitalfluss von den vermögenden Einheimischen über den Staat zu den neu importierten Konsumenten in die Goldsäcke des Kapitalismus sicherstellen. Doch die verbrecherische Ausbeutung der Fabrikarbeiter in den vergangen zwei Jahrhunderten hat eine mächtige Arbeiterbewegung hervorgebracht, die sich Rechte erstritt und in der einen oder anderen Revolution allzu Gierige vor das Schafott treten ließ, bevor sie durch Korruption, Wohlstandsverwahrlosung und sogenannte Identitätspolitik kaltgestellt wurde. Ähnlich formieren sich nun Kräfte in der Welt, die es nicht hinnehmen wollen, dass ihnen ihre Heimat durch Überfremdung, Raubbau und Neoimperialismus zerstört wird, dass sie ihrer wahren und eigentlichen Identitäten beraubt werden und ein Zahnrad im System werden sollen. Die Zukunft wird zeigen, wie weit es die Völker, welche die Unterwerfung unter Mammon leid sind, bringen werden, in ihrem Kampf um Freiheit, Ehre, Schönheit und Wahrhaftigkeit.

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