Wie läßt sich die Deutungshoheit einer Gesellschaft erringen? Und wie kann die kulturelle Hegemonie dann gefestigt werden, damit eine patriotische Partei wie die AfD durchregieren kann, statt sich durchwursteln zu müssen? Um diese Fragen zu beantworten, konsultiert der neurechte Theoretiker Benedikt Kaiser den italienischen Kommunisten Antonio Gramsci.
Kaiser schlägt dabei einen fundamentalen Kurswechsel in der Metapolitik vor. Während der Historiker Karlheinz Weißmann Anfang der 2000er-Jahre die Losung ausgab, sich auf die Hörsäle zu konzentrieren, nimmt Kaiser eine Ausweitung der Kampfzone vor. Plakativ formuliert: Metapolitisch erfolgreich ist, wer den Kampf um die Herzen gewinnt. Dazu müsse man – angelehnt an Gramsci – den „Alltagsverstand“ durchdringen. Zugleich will Kaiser die Fehler des Rechtspopulismus überwinden. Ihm wirft er vor, die Ursachen der multiplen Krisen unserer Gesellschaft zu verkennen und sich nur auf oberflächliche Symptome zu stürzen.
Herrschaftsfreier Diskurs als Schimäre
In den zurückliegenden Jahrzehnten sind die Universitäten – noch mehr als schon zuvor – zu linksgrünen Biotopen mit einem immer geringeren Bezug zur Wirklichkeit geworden. Die letzten konservativen Wissenschaftler wurden aus den Universitäten vertrieben oder distanzieren sich von ihren eigenen, früheren Positionen.
Ein „Marsch durch die Institutionen“, wie das den 68ern gelang, erscheint vor diesem Hintergrund als unrealistisches Wunschdenken. Ausnahmslos alle Rechten müssen – ob sie wollen oder nicht – eine „Parallel-Polis“ (Vaclav Havel) bauen. Denn: Der angebliche „herrschaftsfreie Diskurs“ von Jürgen Habermas war nur eine Schimäre, um die tatsächlichen Machtverhältnisse zu verschleiern. Die Linken haben also ein falsches Spiel gespielt. Sie haben „herrschaftsfreier Diskurs“ gesagt, aber in Wirklichkeit eine kulturelle Hegemonie errichtet, die es dem Gegner verbietet, das Spielfeld der Massenmedien, Universitäten und Kultureinrichtungen auch nur zu betreten.
Im Schnelldurchlauf: Aus der Opposition heraus baute die SPD eigene Zeitungen auf. Über eine für Ottonormalbürger undurchsichtige Beteiligungsstruktur wurden diese Blätter im Laufe der Zeit mit etablierten Medien verschmolzen. Dieses aufgebaute kulturelle und ökonomische Kapital nutzt das linke Lager geschickt, um einerseits alle Lebensbereiche zu infiltrieren und andererseits den politischen Gegner fernzuhalten und massenwirksam zu stigmatisieren.
Linke mit linken Strategien schlagen?
Die zugegeben naheliegende Strategie bestünde nun darin, es von rechts ähnlich zu versuchen. Darauf läuft Benedikt Kaisers Ansatz hinaus. Zwei Problembereiche kristallisieren sich dabei heraus: Zunächst stellt sich die Frage, ob es klug ist, die eigene Angriffsstrategie vorab zu verraten. Das gilt ganz besonders für Kaiser, da er nicht nur ein freier, unabhängiger Publizist ist, sondern sich als Berater von AfD-Parlamentariern bewußt darüber sein muß, vom Verfassungsschutz und dem politischen Gegner als „Beobachtungsobjekt“ geführt zu werden. Darauf aufbauend ist dann zu klären, ob die kulturelle Hegemonie zur DNA rechten Denkens paßt.
In seinem Buch Wie Deutschland tickt (2025), das Kaiser auch intensiv rezipiert hat, schreibt der Meinungsforscher Hermann Binkert bezugnehmend auf Gramsci: „Zu einer pluralistischen Gesellschaft – und sie allein ist dem freiheitlichen Verfassungsstaat angemessen – passt das Streben nach kultureller Hegemonie nicht. Daraus ergeben sich dann auch die Maßstäbe, anhand derer spezifische Gefahren für die Meinungsfreiheit erkannt werden können und abgewehrt werden sollten.“
Würde der Verfassungsschutz wirklich Grundrechte schützen und nicht etwa die Regierung, müßte er also – Binkert zufolge – gegen die Hegemoniebestrebungen aller politischen Formationen vorgehen. Das liefe ebenfalls auf Gesinnungsprüfungen hinaus und ist abzulehnen. Der Verfassungsschutz hat sich gefälligst auf militante Bestrebungen zu beschränken. Trotzdem gibt Binkert die Antwort auf unsere erste Frage: Es ist unter ausschließlich strategischen Gesichtspunkten eine Dummheit, die eigenen Hegemoniebestrebungen offen zu artikulieren. Geschickter dürfte ein Lügenstrategem a la Habermas sein.
Rechtsstaat oder rechter Gesinnungsstaat?
Erst die kulturelle Hegemonie, dann die politische Herrschaft und danach eine Veränderung der Gesetze und der Justiz? Kaiser begründet diesen Dreischritt damit, „dass es eine sogenannte Neutralität der Institutionen nicht gibt“ und „vielleicht nie gegeben hat“. In der Arena der Öffentlichkeit findet ein Tauziehen zwischen Linken und Rechten statt. Das stimmt! Wer bei diesem Tauziehen nachgibt und seine Position in vorauseilendem Gehorsam zu „Mitte-rechts“ abschwächt, wird in die gegnerische Hälfte gezogen.
Heißt das aber zugleich, daß ein Gesinnungsstaat unausweichlich ist? Heißt es, daß die Reaktion auf den Linksstaat nicht in einem Rechtsstaat, sondern einem rechten Gesinnungsstaates zu suchen ist? Das Grundgesetz enthält an sich gute Vorkehrungen gegen den Gesinnungsstaat, die allerdings mehr und mehr mißachtet werden: Daß jedes öffentliche Amt ausschließlich nach Befähigung und nicht nach Ideologie zu vergeben ist, zählt genauso dazu wie die Betonung, Parteien dürften an der politischen Willensbildung nur „mitwirken“.
Sobald diese Parteien den Staat dominieren und damit eine Hegemonie ausüben, machen sie sich ihn zur Beute und errichten eine Tyrannei der Werte. Stört uns das nur, weil wir auf der falschen Seite stehen? Oder gibt es grundsätzliche Erwägungen dagegen vorzutragen? Die Hegemonie in der Öffentlichkeit erringen zu wollen, ist grundverschieden von einer Hegemonie im sozialen System des Staates. In der Öffentlichkeit darf und soll um Werte gekämpft werden, im Staat nicht.
Politische Justiz
Wohin die Vermischung beider Sphären führt, hat der Politologe Philip Manow gezeigt. Er wirft der aktuellen „liberalen Demokratie“ vor, sie sei dazu übergegangen, einen „Kranz an Werten“, wie z.B. „Klimaschutz“ und die „LGBTQ*-Rechte“, verbindlich festzuschreiben. Jeder, der diese von der Öffentlichkeit in den Staat transferierten Werte ablehne, laufe Gefahr, von Gerichten dafür sanktioniert zu werden. Dies gehe bis hin zu Parteiverboten. In der „liberalen Demokratie“ stellen sich damit die Regierung und die Gerichte vielfach gegen das Volk. Manow ahnt, daß diese Demokratieverkürzung auf Dauer jede Gesellschaft zerreißen muß und die Wut „gegen die da oben“ immer weiter anschwillt.
Erstaunlicherweise taucht dieses Problem schon bei Gramsci auf. In seinen Gefängnisheften brachte er die „Schwäche des Liberalismus“ auf den Begriff „Bürokratie“. Diese Bürokratie bringe eine „Kaste“ hervor. Die „Gewaltenteilung“ sehe daher wie folgt aus: Auf der einen Seite stehe das gewählte Parlament und die damals noch freie Zivilgesellschaft. Auf der anderen Seite neige der „Hegemonieapparat“ der liberal-bürokratischen Kaste an der „empfindlichsten“ Stelle dazu, die Justiz zu vereinnahmen und „Willkürakte“ mindestens zu dulden. Gramsci wußte, wovon er sprach. Vor Gericht verteidigte er sich übrigens damit, seine politischen Aktivitäten seien keineswegs „konspirativ“ gewesen. Er habe immer dazu gestanden, Kommunist zu sein. Es half ihm nichts. 1928 verurteilte ihn ein faschistisches Sondergericht aufgrund seiner politischen Arbeit zu 20 Jahren Haft.
Gerade mit Blick auf das Leben von Gramsci ist das Modell der Hegemonie für den Staat abzulehnen. Ein freiheitlicher Staat darf seine politischen Gegner nicht einsperren, sofern sie friedlich agieren. Benedikt Kaiser ist zuzustimmen, wenn er die Neutralität der Staatsdiener in Frage stellt. Lehrer, Polizisten, Richter und die Mitarbeiter des Finanzamtes handeln sehr wohl vom Zeitgeist beeinflußt. Konservative mit einem skeptischen Menschenbild dürften zudem auf den natürlichen Opportunismus der Staatsdiener hinweisen.
Die Rolle der NGOs
Der entscheidende Punkt ist nun aber zu sagen: Bis hierher und keinen Millimeter weiter! Zum Machterhalt ist es aus freiheitlicher Perspektive legitim, diesen natürlichen Opportunismus stillschweigend zu nutzen. Sobald der Staat jedoch damit beginnt, bestimmte Teile der Zivilgesellschaft steuergeldfinanziert von Nicht-Regierungsorganisationen de facto zu Regierungsorganisationen umzubauen, ist diese Grenze überschritten. Bereits an dieser Grenze entscheidet sich die Frage, ob wir es mit einem Rechtsstaat oder einem Gesinnungsstaat zu tun haben.
Hinzu kommt: Je stärker die „ideologischen Staatsapparate“ (Louis Althusser), zu denen steuergeldfinanzierte NGOs und Vereine zu zählen sind, desto schwächer die Innovationskraft einer Gesellschaft. Das gilt für Wirtschaft und Wissenschaft gleichermaßen. Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, was der „Streit der Fakultäten“ (Immanuel Kant, 1798) auslöste. Indem sich die Philosophie gegen die staats- und kirchennahen „Wissenschaften“ durchsetzte, erlebte Deutschland eine einzigartige Blüte des Geistes und resultierend aus dem freien Denken die Geburt etlicher neuer Fachgebiete. Ohne die freie Philosophie hätte sich somit auch nicht der sogenannte MINT-Bereich entwickeln können.
Wahrheitsmonopole ruinieren die Wirtschaft
Odo Marquard, der von Kaiser als Negativbeispiel eines intelligenten, aber wirkungslosen Liberalkonservativen genannt wird, vertrat die in der Tat wenig „sexy“ klingende Meinung, man müsse sich auch einmal mit „zweitbesten Möglichkeiten“ und „Vizelösungen“ begnügen, weil sie besser seien als überhebliche Utopien, die sich auf lange Sicht als fatale Fehlschlüsse erweisen. Aus dieser Überlegung läßt sich ableiten, daß der Staat gut beraten wäre, weder selbst ein Wahrheitsmonopol zu beanspruchen noch sich dazu verführen zu lassen, die Forderungen der gesellschaftlichen Meinungsführer umzusetzen, sondern durch größtmögliche Neutralität einen Wettbewerb der Ideen zu organisieren.
Die selbstmörderische Klimapolitik zeigt, was passiert, wenn ein Staat den Hegemonialmächten der veröffentlichten Meinung blind folgt, ohne den Taschenrechner anzuschmeißen. Utopische Politik wird immer wieder an mathematischen, ökonomischen und naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten scheitern. Hoffentlich führen die ökonomischen Schäden dieser Politik wenigstens dazu, die Meinungsführerschaft der „Klimaretter“ brechen zu können.
Was für die Klimabewegung gilt, läßt sich auch auf das übertragen, was Benedikt Kaiser als ideologisches Programm vorschwebt: In seinem Buch über den Solidarischen Patriotismus von 2020 forderte er unter anderem, „Schlüsselindustrien“ dem „Profitstreben“ zu entziehen und in die öffentliche Hand zu überführen. Mit diesem Programm wäre die Industrieflucht aus Deutschland vermutlich noch zügiger vonstatten gegangen als ohnehin schon. Eine AfD in Regierungsverantwortung hätte sich mit der Umsetzung eines solchen Programms inklusive der Verstaatlichung von BMW, VW und Mercedes ins eigene Knie geschossen und wäre dann vermutlich für immer erledigt.
Benedikt Kaiser ist sich sicher, daß die AfD nur eine einzige Chance erhält, um es richtig zu machen. Was er deshalb fürchtet, ist Harmlosigkeit und eine zu große Kompromißbereitschaft gegenüber der von Linken jahrzehntelang domestizierten Mitte – namentlich gegenüber CDU und CSU. Diese Sorge ist berechtigt, solange sich die AfD schwer damit tut, eigene Visionen für die Zukunft zu formulieren. Ideologische Sackgassen, die den ökonomischen Niedergang beschleunigen, sind aber mindestens genauso gefährlich für den Erfolg einer Partei.
„Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens“
Was sich von Gramsci lernen läßt, ist die konsequente Ausrichtung an den Nöten der einfachen Bürger und der klare Blick nach vorn. Gramscis „Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens“ ist für den politischen Alltag besser geeignet als Oswald Spenglers „Optimismus ist Feigheit“. Kaiser begibt sich somit in einen Selbstwiderspruch, wenn er an die aus Frankreich stammende „originäre Neue Rechte“ der 1960er- und 70er-Jahre anknüpfen will, um einen „Europäischen Sozialismus“ zu revitalisieren.
Die Suche nach einem Dritten Weg zwischen Globalkapitalismus und Kommunismus kann man übrigens auch etwas deutscher angehen: Jakob Fugger, Rudolf Diesel und Alfred Müller-Armack stehen dafür beispielsweise parat. Sie alle haben gezeigt: Erst muß Wohlstand erwirtschaftet werden. Erst danach lassen sich Maßnahmen des sozialen Ausgleichs überhaupt realisieren.
Zum Stichwortgeber der Rechten konnte Gramsci nur werden, weil ihre Weltanschauung einen entscheidenden Mangel aufwies. Konservative und Rechte glaubten, Gemeinschaftsdenken könne nur aus der Gemeinde heraus organisch gedeihen. Familie und Dorfleben müßten somit bewahrt werden, hieß es richtigerweise, aber eben auch die neuen Realitäten der Massengesellschaft ignorierend. Das postulierte 1887 selbst Ferdinand Tönnies, obwohl er schon das anbrechende „Zeitalter der Gesellschaft“ erkannte, in dem andere Gesetze gelten. Ernst Jünger beschwor dann unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges den „Kampf“ als gemeinschaftsstiftende Kraft und Carl Schmitt erklärte in der Weimarer Republik „Öffentlichkeit und Diskussion“ zu einer „leeren und nichtigen Formalität“.
Die Medien hatten sich aber längst als „vierte Gewalt“ etabliert und die lobbyismusanfällige Zivilgesellschaft läßt sich analog dazu als „fünfte Gewalt“ begreifen. Diese Bereiche jahrzehntelang kampflos dem Gegner zu überlassen, war verheerend. Doch blicken wir – wie von Gramsci gefordert – optimistisch nach vorn: Die Rechte hat diese Lektion verstanden!
Sie sollte deshalb auch darauf achten, die Fehler der linken Hegemonialmächte nicht zu wiederholen. Freiheit und Wohlstand gehören unbedingt zu unserer positiven Vision von Deutschland! Die SPD besitzt zwar weiter beinahe ein komplettes Zeitungsmonopol. Doch mit der Wählerzustimmung geht es trotz der kulturellen Hegemonie genauso steil bergab wie mit dem Wohlstand und der Freiheit.
Benedikt Kaiser: Der Hegemonie entgegen. Gramsci, Metapolitik und Neue Rechte. Dresden 2025. Hier bestellen!
Wie läßt sich die Deutungshoheit einer Gesellschaft erringen? Und wie kann die kulturelle Hegemonie dann gefestigt werden, damit eine patriotische Partei wie die AfD durchregieren kann, statt sich durchwursteln zu müssen? Um diese Fragen zu beantworten, konsultiert der neurechte Theoretiker Benedikt Kaiser den italienischen Kommunisten Antonio Gramsci.
Kaiser schlägt dabei einen fundamentalen Kurswechsel in der Metapolitik vor. Während der Historiker Karlheinz Weißmann Anfang der 2000er-Jahre die Losung ausgab, sich auf die Hörsäle zu konzentrieren, nimmt Kaiser eine Ausweitung der Kampfzone vor. Plakativ formuliert: Metapolitisch erfolgreich ist, wer den Kampf um die Herzen gewinnt. Dazu müsse man – angelehnt an Gramsci – den „Alltagsverstand“ durchdringen. Zugleich will Kaiser die Fehler des Rechtspopulismus überwinden. Ihm wirft er vor, die Ursachen der multiplen Krisen unserer Gesellschaft zu verkennen und sich nur auf oberflächliche Symptome zu stürzen.
Herrschaftsfreier Diskurs als Schimäre
In den zurückliegenden Jahrzehnten sind die Universitäten – noch mehr als schon zuvor – zu linksgrünen Biotopen mit einem immer geringeren Bezug zur Wirklichkeit geworden. Die letzten konservativen Wissenschaftler wurden aus den Universitäten vertrieben oder distanzieren sich von ihren eigenen, früheren Positionen.
Ein „Marsch durch die Institutionen“, wie das den 68ern gelang, erscheint vor diesem Hintergrund als unrealistisches Wunschdenken. Ausnahmslos alle Rechten müssen – ob sie wollen oder nicht – eine „Parallel-Polis“ (Vaclav Havel) bauen. Denn: Der angebliche „herrschaftsfreie Diskurs“ von Jürgen Habermas war nur eine Schimäre, um die tatsächlichen Machtverhältnisse zu verschleiern. Die Linken haben also ein falsches Spiel gespielt. Sie haben „herrschaftsfreier Diskurs“ gesagt, aber in Wirklichkeit eine kulturelle Hegemonie errichtet, die es dem Gegner verbietet, das Spielfeld der Massenmedien, Universitäten und Kultureinrichtungen auch nur zu betreten.
Im Schnelldurchlauf: Aus der Opposition heraus baute die SPD eigene Zeitungen auf. Über eine für Ottonormalbürger undurchsichtige Beteiligungsstruktur wurden diese Blätter im Laufe der Zeit mit etablierten Medien verschmolzen. Dieses aufgebaute kulturelle und ökonomische Kapital nutzt das linke Lager geschickt, um einerseits alle Lebensbereiche zu infiltrieren und andererseits den politischen Gegner fernzuhalten und massenwirksam zu stigmatisieren.
Linke mit linken Strategien schlagen?
Die zugegeben naheliegende Strategie bestünde nun darin, es von rechts ähnlich zu versuchen. Darauf läuft Benedikt Kaisers Ansatz hinaus. Zwei Problembereiche kristallisieren sich dabei heraus: Zunächst stellt sich die Frage, ob es klug ist, die eigene Angriffsstrategie vorab zu verraten. Das gilt ganz besonders für Kaiser, da er nicht nur ein freier, unabhängiger Publizist ist, sondern sich als Berater von AfD-Parlamentariern bewußt darüber sein muß, vom Verfassungsschutz und dem politischen Gegner als „Beobachtungsobjekt“ geführt zu werden. Darauf aufbauend ist dann zu klären, ob die kulturelle Hegemonie zur DNA rechten Denkens paßt.
In seinem Buch Wie Deutschland tickt (2025), das Kaiser auch intensiv rezipiert hat, schreibt der Meinungsforscher Hermann Binkert bezugnehmend auf Gramsci: „Zu einer pluralistischen Gesellschaft – und sie allein ist dem freiheitlichen Verfassungsstaat angemessen – passt das Streben nach kultureller Hegemonie nicht. Daraus ergeben sich dann auch die Maßstäbe, anhand derer spezifische Gefahren für die Meinungsfreiheit erkannt werden können und abgewehrt werden sollten.“
Würde der Verfassungsschutz wirklich Grundrechte schützen und nicht etwa die Regierung, müßte er also – Binkert zufolge – gegen die Hegemoniebestrebungen aller politischen Formationen vorgehen. Das liefe ebenfalls auf Gesinnungsprüfungen hinaus und ist abzulehnen. Der Verfassungsschutz hat sich gefälligst auf militante Bestrebungen zu beschränken. Trotzdem gibt Binkert die Antwort auf unsere erste Frage: Es ist unter ausschließlich strategischen Gesichtspunkten eine Dummheit, die eigenen Hegemoniebestrebungen offen zu artikulieren. Geschickter dürfte ein Lügenstrategem a la Habermas sein.
Rechtsstaat oder rechter Gesinnungsstaat?
Erst die kulturelle Hegemonie, dann die politische Herrschaft und danach eine Veränderung der Gesetze und der Justiz? Kaiser begründet diesen Dreischritt damit, „dass es eine sogenannte Neutralität der Institutionen nicht gibt“ und „vielleicht nie gegeben hat“. In der Arena der Öffentlichkeit findet ein Tauziehen zwischen Linken und Rechten statt. Das stimmt! Wer bei diesem Tauziehen nachgibt und seine Position in vorauseilendem Gehorsam zu „Mitte-rechts“ abschwächt, wird in die gegnerische Hälfte gezogen.
Heißt das aber zugleich, daß ein Gesinnungsstaat unausweichlich ist? Heißt es, daß die Reaktion auf den Linksstaat nicht in einem Rechtsstaat, sondern einem rechten Gesinnungsstaates zu suchen ist? Das Grundgesetz enthält an sich gute Vorkehrungen gegen den Gesinnungsstaat, die allerdings mehr und mehr mißachtet werden: Daß jedes öffentliche Amt ausschließlich nach Befähigung und nicht nach Ideologie zu vergeben ist, zählt genauso dazu wie die Betonung, Parteien dürften an der politischen Willensbildung nur „mitwirken“.
Sobald diese Parteien den Staat dominieren und damit eine Hegemonie ausüben, machen sie sich ihn zur Beute und errichten eine Tyrannei der Werte. Stört uns das nur, weil wir auf der falschen Seite stehen? Oder gibt es grundsätzliche Erwägungen dagegen vorzutragen? Die Hegemonie in der Öffentlichkeit erringen zu wollen, ist grundverschieden von einer Hegemonie im sozialen System des Staates. In der Öffentlichkeit darf und soll um Werte gekämpft werden, im Staat nicht.
Politische Justiz
Wohin die Vermischung beider Sphären führt, hat der Politologe Philip Manow gezeigt. Er wirft der aktuellen „liberalen Demokratie“ vor, sie sei dazu übergegangen, einen „Kranz an Werten“, wie z.B. „Klimaschutz“ und die „LGBTQ*-Rechte“, verbindlich festzuschreiben. Jeder, der diese von der Öffentlichkeit in den Staat transferierten Werte ablehne, laufe Gefahr, von Gerichten dafür sanktioniert zu werden. Dies gehe bis hin zu Parteiverboten. In der „liberalen Demokratie“ stellen sich damit die Regierung und die Gerichte vielfach gegen das Volk. Manow ahnt, daß diese Demokratieverkürzung auf Dauer jede Gesellschaft zerreißen muß und die Wut „gegen die da oben“ immer weiter anschwillt.
Erstaunlicherweise taucht dieses Problem schon bei Gramsci auf. In seinen Gefängnisheften brachte er die „Schwäche des Liberalismus“ auf den Begriff „Bürokratie“. Diese Bürokratie bringe eine „Kaste“ hervor. Die „Gewaltenteilung“ sehe daher wie folgt aus: Auf der einen Seite stehe das gewählte Parlament und die damals noch freie Zivilgesellschaft. Auf der anderen Seite neige der „Hegemonieapparat“ der liberal-bürokratischen Kaste an der „empfindlichsten“ Stelle dazu, die Justiz zu vereinnahmen und „Willkürakte“ mindestens zu dulden. Gramsci wußte, wovon er sprach. Vor Gericht verteidigte er sich übrigens damit, seine politischen Aktivitäten seien keineswegs „konspirativ“ gewesen. Er habe immer dazu gestanden, Kommunist zu sein. Es half ihm nichts. 1928 verurteilte ihn ein faschistisches Sondergericht aufgrund seiner politischen Arbeit zu 20 Jahren Haft.
Gerade mit Blick auf das Leben von Gramsci ist das Modell der Hegemonie für den Staat abzulehnen. Ein freiheitlicher Staat darf seine politischen Gegner nicht einsperren, sofern sie friedlich agieren. Benedikt Kaiser ist zuzustimmen, wenn er die Neutralität der Staatsdiener in Frage stellt. Lehrer, Polizisten, Richter und die Mitarbeiter des Finanzamtes handeln sehr wohl vom Zeitgeist beeinflußt. Konservative mit einem skeptischen Menschenbild dürften zudem auf den natürlichen Opportunismus der Staatsdiener hinweisen.
Die Rolle der NGOs
Der entscheidende Punkt ist nun aber zu sagen: Bis hierher und keinen Millimeter weiter! Zum Machterhalt ist es aus freiheitlicher Perspektive legitim, diesen natürlichen Opportunismus stillschweigend zu nutzen. Sobald der Staat jedoch damit beginnt, bestimmte Teile der Zivilgesellschaft steuergeldfinanziert von Nicht-Regierungsorganisationen de facto zu Regierungsorganisationen umzubauen, ist diese Grenze überschritten. Bereits an dieser Grenze entscheidet sich die Frage, ob wir es mit einem Rechtsstaat oder einem Gesinnungsstaat zu tun haben.
Hinzu kommt: Je stärker die „ideologischen Staatsapparate“ (Louis Althusser), zu denen steuergeldfinanzierte NGOs und Vereine zu zählen sind, desto schwächer die Innovationskraft einer Gesellschaft. Das gilt für Wirtschaft und Wissenschaft gleichermaßen. Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, was der „Streit der Fakultäten“ (Immanuel Kant, 1798) auslöste. Indem sich die Philosophie gegen die staats- und kirchennahen „Wissenschaften“ durchsetzte, erlebte Deutschland eine einzigartige Blüte des Geistes und resultierend aus dem freien Denken die Geburt etlicher neuer Fachgebiete. Ohne die freie Philosophie hätte sich somit auch nicht der sogenannte MINT-Bereich entwickeln können.
Wahrheitsmonopole ruinieren die Wirtschaft
Odo Marquard, der von Kaiser als Negativbeispiel eines intelligenten, aber wirkungslosen Liberalkonservativen genannt wird, vertrat die in der Tat wenig „sexy“ klingende Meinung, man müsse sich auch einmal mit „zweitbesten Möglichkeiten“ und „Vizelösungen“ begnügen, weil sie besser seien als überhebliche Utopien, die sich auf lange Sicht als fatale Fehlschlüsse erweisen. Aus dieser Überlegung läßt sich ableiten, daß der Staat gut beraten wäre, weder selbst ein Wahrheitsmonopol zu beanspruchen noch sich dazu verführen zu lassen, die Forderungen der gesellschaftlichen Meinungsführer umzusetzen, sondern durch größtmögliche Neutralität einen Wettbewerb der Ideen zu organisieren.
Die selbstmörderische Klimapolitik zeigt, was passiert, wenn ein Staat den Hegemonialmächten der veröffentlichten Meinung blind folgt, ohne den Taschenrechner anzuschmeißen. Utopische Politik wird immer wieder an mathematischen, ökonomischen und naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten scheitern. Hoffentlich führen die ökonomischen Schäden dieser Politik wenigstens dazu, die Meinungsführerschaft der „Klimaretter“ brechen zu können.
Was für die Klimabewegung gilt, läßt sich auch auf das übertragen, was Benedikt Kaiser als ideologisches Programm vorschwebt: In seinem Buch über den Solidarischen Patriotismus von 2020 forderte er unter anderem, „Schlüsselindustrien“ dem „Profitstreben“ zu entziehen und in die öffentliche Hand zu überführen. Mit diesem Programm wäre die Industrieflucht aus Deutschland vermutlich noch zügiger vonstatten gegangen als ohnehin schon. Eine AfD in Regierungsverantwortung hätte sich mit der Umsetzung eines solchen Programms inklusive der Verstaatlichung von BMW, VW und Mercedes ins eigene Knie geschossen und wäre dann vermutlich für immer erledigt.
Benedikt Kaiser ist sich sicher, daß die AfD nur eine einzige Chance erhält, um es richtig zu machen. Was er deshalb fürchtet, ist Harmlosigkeit und eine zu große Kompromißbereitschaft gegenüber der von Linken jahrzehntelang domestizierten Mitte – namentlich gegenüber CDU und CSU. Diese Sorge ist berechtigt, solange sich die AfD schwer damit tut, eigene Visionen für die Zukunft zu formulieren. Ideologische Sackgassen, die den ökonomischen Niedergang beschleunigen, sind aber mindestens genauso gefährlich für den Erfolg einer Partei.
„Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens“
Was sich von Gramsci lernen läßt, ist die konsequente Ausrichtung an den Nöten der einfachen Bürger und der klare Blick nach vorn. Gramscis „Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens“ ist für den politischen Alltag besser geeignet als Oswald Spenglers „Optimismus ist Feigheit“. Kaiser begibt sich somit in einen Selbstwiderspruch, wenn er an die aus Frankreich stammende „originäre Neue Rechte“ der 1960er- und 70er-Jahre anknüpfen will, um einen „Europäischen Sozialismus“ zu revitalisieren.
Die Suche nach einem Dritten Weg zwischen Globalkapitalismus und Kommunismus kann man übrigens auch etwas deutscher angehen: Jakob Fugger, Rudolf Diesel und Alfred Müller-Armack stehen dafür beispielsweise parat. Sie alle haben gezeigt: Erst muß Wohlstand erwirtschaftet werden. Erst danach lassen sich Maßnahmen des sozialen Ausgleichs überhaupt realisieren.
Zum Stichwortgeber der Rechten konnte Gramsci nur werden, weil ihre Weltanschauung einen entscheidenden Mangel aufwies. Konservative und Rechte glaubten, Gemeinschaftsdenken könne nur aus der Gemeinde heraus organisch gedeihen. Familie und Dorfleben müßten somit bewahrt werden, hieß es richtigerweise, aber eben auch die neuen Realitäten der Massengesellschaft ignorierend. Das postulierte 1887 selbst Ferdinand Tönnies, obwohl er schon das anbrechende „Zeitalter der Gesellschaft“ erkannte, in dem andere Gesetze gelten. Ernst Jünger beschwor dann unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges den „Kampf“ als gemeinschaftsstiftende Kraft und Carl Schmitt erklärte in der Weimarer Republik „Öffentlichkeit und Diskussion“ zu einer „leeren und nichtigen Formalität“.
Die Medien hatten sich aber längst als „vierte Gewalt“ etabliert und die lobbyismusanfällige Zivilgesellschaft läßt sich analog dazu als „fünfte Gewalt“ begreifen. Diese Bereiche jahrzehntelang kampflos dem Gegner zu überlassen, war verheerend. Doch blicken wir – wie von Gramsci gefordert – optimistisch nach vorn: Die Rechte hat diese Lektion verstanden!
Sie sollte deshalb auch darauf achten, die Fehler der linken Hegemonialmächte nicht zu wiederholen. Freiheit und Wohlstand gehören unbedingt zu unserer positiven Vision von Deutschland! Die SPD besitzt zwar weiter beinahe ein komplettes Zeitungsmonopol. Doch mit der Wählerzustimmung geht es trotz der kulturellen Hegemonie genauso steil bergab wie mit dem Wohlstand und der Freiheit.
Benedikt Kaiser: Der Hegemonie entgegen. Gramsci, Metapolitik und Neue Rechte. Dresden 2025. Hier bestellen!
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