Ich lebe in einer Stadt, die zu den sogenannten Karnevalshochburgen zählt. Da ich persönlich mit diesem Fest nicht viel anfangen kann, um es milde auszudrücken, steht für mich alljährlich die Entscheidung an, entweder zu fliehen, das Fest zu ignorieren, oder ein wenig Geld zu verdienen.
Für den 11. November diesen Jahres habe ich mich für Letzteres entschieden und mich als Bedienung in einem Brauhaus eingeteilt. Also laufe ich am entsprechenden Abend nun in einem Dunst aus Bier- und Schweißgeruch hin und her und räume Gläser ab. Aus den Boxen erschallt laute Musik, bei der es völlig unmöglich ist, sie einfach auszublenden.
Aber ich bin aus dem Alter heraus, in dem man sich über alles aufregen muss. Ehrlich gesagt verursacht die Musik bei mir eine gewisse Faszination, vergleichbar mit der, die auch deutscher Hinterhofrap oder so richtig plumper 90er Jahre Rechtsrock bei mir auslösen: Es ist einfach so dämlich, dass man dabei schon wieder Spaß hat.
Trump als Partycrasher
Irgendwann dröhnt ein Lied durch das Brauhaus, bei dem ich später lernen werde, dass es sich um „Et jeilste Land“ der Musikgruppe Brings handelt. Ein ganz harter Brocken. Der musikalische Unterbau soll offenbar den Ohren des etwas jüngeren Publikums „schmeicheln“ und ist auf die denkbar nervigste Art mit Rhythmen und Sounds bestückt, die eher an Dancehall als an klassischen Kölschrock erinnern. Der Text ist wiederum lokalpatriotisches Kölsch-Einerlei. Bis ich plötzlich etwas höre, was mich gelinde gesagt ein wenig aus der Szenerie reißt: Die Stimme Donald Trumps. „America First! America First!“ schallt es für eine geschätzte Minute über die schwitzenden Leiber, während die Melodie des Liedes fröhlich weiterdudelt und irgendwann die Stimme des Sängers wieder dazwischenfährt: „Ey, alda was für’n Spacko ey!“.
Donald Trump als Partycrasher also, sogleich wieder wegexorziert durch den heroischen Einsatz derselben Band, die ihn überhaupt erst in ihr eigenes Lied gesamplet hat. Ich bin ein wenig verwirrt. Das Bands versuchen, sich mit virtue signaling und scharfen Schüssen „gegen rechts“ zu profilieren, ist zwar alles andere als neu, aber das hier wirkt so vollkommen willkürlich und hat so offensichtlich nichts mit der Party zu tun, dass es surreal wirkt.
Konsum und Faschismus
Nach mittlerweile drei Stunden an Beschallung mit Liedern über die Freuden des Alkohols und „einmeel im Joar sinnwa Jeck“ braucht mir jedenfalls niemand damit zu kommen, dass Karneval ja ursprünglich mal politisch war. Ich schaue mich um. Die Feiernden scheint die kleine Einlage jedenfalls nicht beeindruckt zu haben. Keine zustimmenden Jubelstürme für den Sänger, keine Irritation angesichts der America First-Rufe. Donald hat als kleiner Störenfried vorbeigeschaut und ist doch nicht wahrgenommen worden.
Das Intermezzo wirkt wie eine politische Aussage, wie eine engagierte Meldung, die darauf hinweist, dass man selbst im Karneval gewisse Wertvorstellungen vertritt und verteidigt, doch werden diese seltsamerweise nicht genannt. Das einzige was verteidigt wird, ist die Party. In sie hinein platzt Donalds Stimme und ihr zugunsten wird er wieder vertrieben. Also ein bisschen so wie in der letzten Kolumne von Sybille Berg, in der sie darüber sinniert, wie toll das westliche Wohlstandsleben doch eigentlich sei, wie angenehm das Herumvegetieren in Konsum und materiellem Reichtum:
„So ein Supermarkt ist schon irre. Haufenweise Nahrung. Schön verpackt, ok, man kann den Plastikmüll hinterfragen, aber was es nicht alles gibt. Vor allem von allem zu viel. 20 Sorten Joghurt, 40 Sorten Obst und so weiter. Auswahlstress. An der Kasse Karte rein, keiner sieht mich an, ich falle nicht auf, ich sehe aus wie die Menschen um mich, pinkfarben.“
Wäre da bloß nicht der böse Faschismus, der, überall und nirgends lauernd, nur darauf wartend ihr all dies streitig zu machen:
„Seit die Faschisten durchmarschieren, gefördert von Medien und viel Geld von Milliardären, Fundamentalchristen und anderem gierigen Kroppzeug, vergesse ich mich mitunter. Oder das, was das Leben ausmacht.“
Die beste aller Welten soll also gerettet werden. Dass diese wunderbar und alternativlos ist, versteht sich von selbst. Alle wissen es, alle stimmen überein und machen mit bei der Party. Wäre da nur nicht der Rechte, der ähnlich dem Schlagen der Uhr in Poes „Die Maske des Roten Todes“ die Feiernden aufschreckt, den Frieden stört und darum vertrieben werden soll.
Was bei Brings und Sybille Berg wie eine politische Stellungnahme wirkt, ist in Wahrheit die völlige Entpolitisierung, bei der alle Inhalte, sowohl die der „besten Welt“ als auch die ihrer politischen Widersacher, in eine quasi-mythische Erzählung verschoben werden. Na dann, Helau!
(Bild: Pixabay)
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