Jahrelang mühte ich mich mit einer Studie über den Faschismus sowie seine wissenschaftliche Rezeption ab, die ich vor einigen Monaten herausbrachte. Von Prof. Paul Gottfried.
Diese Studie vergleicht und bewertet verschiedene, über die Jahrzehnte hinweg erschienene Auffassungen zu dieser Ideologie. Obwohl Nachschlagwerke in Hülle und Fülle vorliegen, konnte ich keines auftreiben, das die wechselnden Behandlungen des faschistischen Zeitphänomens im Verhältnis zu einander jagenden Zeitepochen untersucht. Die Zeitbedingtheit der Auffassungen über den Faschismus wird offensichtlich, da keine steigende Sachlichkeit durchglüht, je weiter der Leser chronologisch voranschreitet.
Es fiel mir bei meinem anfänglichen Stöbern auch auf, dass die westlichen Marxisten, die sich einer Faschismus-Analyse in den 1930er Jahren befleißigten, ihre Arbeit sachlicher ausrichteten als unsere sich gratulierende Intelligenz von heute. Die Altmarxisten kriegten es hin, ein glaubwürdiges Verständnis ihres Forschungsgegenstands herzustellen. Sie wiesen wenigstens ein Quentchen analytischer Wahrheit auf. Dagegen entlädt die heutige Linke ritualisierte Hasstiraden gegen die eigene Nation, die bürgerliche Moralität und das Christentum. Sie verfahren kaum strengmethodisch, sondern eifern gegen ein schablonenhaftes Feindbild. Unter ihrer Leitung wird der Faschismus zu einer flächendeckenden Wendung, wodurch jedwedes Abgleiten von ihrem Wunschbild dem Nazismus zugeordnet wird.
Ideologische und historische Faschismus-Forschung
Inzwischen gehen die Alltagsforscher mit ihrem Fach allerdings beflissener um. Eine Menge Lesewürmer und Elfenbeintürmer sammeln faschismusbezogene Daten und sichten die im Anwachsen befindlichen, ihr Subjekt betreffenden Dokumente. Die Schreiber über den Faschismus sind also aufzuteilen in schürfende Archivforscher und Antifaschisten, die auf die Konjunktur des Themas in den Medien spekulieren. Auch inhaltlich lassen sich Differenzen in der Beurteilung des Faschismus finden.
Die Libertären bezeichnen alles als „faschistisch“, was die Staatlichkeit auf Kosten des Einzelwillens in den eigenen Aufgabenbereich integriert. Die enthemmte Obrigkeit wird also zu einem faschistischen Regime gemacht. Laut dem republikanischen Journalisten Jonah Goldberg, der seine Einfälle in seinem Buch Liberal Fascism vorträgt, sind die Demokraten schon an der Schwelle einer faschistischen Tyrannei angelangt. Wegen ihrer freiheitserstickenden Verwaltung springen demokratische Regierungen wie faschistische Diktaturen mit ihren ratlosen Staatsbürgern rücksichtslos um. Leider gibt Goldberg keine zwingenden Indizien ab, wie die Republikaner von der verworfenen Partei sich unterscheiden. Er kritisiert die Demokraten aufgrund einer Staatspolitik, die beide Nationalparteien fast gleichermaßen betreiben.
Überflüssig zu sagen, dass sowohl in den USA wie auch Westeuropa und insbesondere in Deutschland das Schimpfwort „Faschismus“ beliebig mit jeder Abweichung von einer mustergültigen Politischen Korrektheit gleichgestellt wird. Wenn man den Gestrauchelten den ersten Verstoß nachsieht, dann muss ihre Unverschämtheit doch zu etwas Ärgerem hinübergleiten. Die so eingestellten Faschismus-Schriften tilgen damit jeden merklichen Unterschied zwischen dem Normalfaschismus und der Naziregierung. Sie ordnen jede rechte Bewegung als „faschistisch“ ein und versuchen uns so einzuhämmern, wie man auf dem gutmenschlichen Pfad bleiben kann.
Faschismus ist Kampf: Das ist sowohl sein großer Vorteil als auch sein Nachteil
Gleichlaufend mit dieser Herabsetzung der Faschismus-Problematik zu einem Schmähwort oder einer Keule ist eine Fülle von bahnbrechenden Arbeiten emporgekommen. Da es schwer wäre, sie alle aufzählen, beschränke ich mich hier auf die Autoren, die für mich richtungsweisend waren. Voran war fraglos Ernst Nolte, der den Faschismus als Zeitphänomen kontextualisierte. Nolte zeichnete mir eine methodologische Schneise vor, als ich als Unistudent dessen Faschismus in seiner Epoche verschlang. Wie Nolte versuchte ich die von mir in Augenschein genommenen faschistischen Bewegungen in dementsprechenden Zeitepochen und Nährboden zu beheimaten. Aus einer geteilten geistigen Stammtafel und den aus dem Ersten Weltkrieg entstandenen politischen und sozialwirtschaftlichen Umständen stieg die faschistische Zeitströmung empor.
Nolte warnt aber davor, den von ihm dargelegten Ideenkomplex und die veranlassenden Zustände auf andere Zeiten und Zivilisationen zu verschieben. Die Faschisten taten sich als Kämpfer in einem europäischen Bürgerkrieg mit den linken Internationalisten hervor und der ausgelöste Streitkampf wurde zwischen den zwei Weltkriegen unter gegensätzlichen Zeichen ausgetragen. Wesentlich für die faschistischen Beteiligten war ein fast unheimliches Können, gegenrevolutionäre Absichten in revolutionäre Wahlsprüche einzukleiden. Darin aber steckten eine Schwäche sowie ein zeitweiliger Vorteil. Über den Wettkampf der Stunde hinaus konnten die Faschisten keinen glücklichen oder erheiternden Endpunkt der Geschichte ihren Mitstreitern zum Trost darlegen. Jedes Prinzip der Hoffnung verläuft im Sande oder leitet zum weiteren Kämpfen hinüber.
Gewaltverherrlichung, Entfremdung der Arbeiterschaft und Antisemitismus
Ebenso fördernd für die Herauskristallisierung meiner Faschismus-Vorstellung war meine Berührung mit den Schriften des Historikers Zeev Sternhell, der die französischen und katholischen Grundlagen der faschistischen Ideenwelt erkundete. Aus gewissen in Frankreich während des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts bestehenden Besonderheiten nährte sich die Vorgeschichte der schließlich auf benachbarte Länder übergreifenden Faschismus-Bewegung. Zu den beitragenden Umständen, so Sternhell, zählt die Entfremdung der Arbeiterschaft und des verdrängten Adelstands von der kapitalistischen, bürgerlichen Gesellschaft und der sie untermauernden Dritten Republik. Einer um sich greifenden Oppositionsfront, der sich die mit der Republik zerstrittene Kirche anschloss, standen die herrschenden Schichten gegenüber. In dieses vorfaschistische Ideengemisch fließt ein antisemitisches Grundmotiv ein, als die Antirepublikaner jüdische Spekulanten und Veruntreuer anvisierten.
Die Bereitwilligkeit der damals sich aufbauenden künftigen faschistischen Gruppen Gewalt zu verwenden, um einen Putsch durchzuführen, unterstrich ihre umstürzlerische Neigung darüber hinaus. Das sei, so Sternhell, auf die Einwirkung des anarchistischen Vordenkers Georges Sorel (1847?1922) zurückzuführen. Sorel trieb mit seinem Begriff der „schöpferischen Gewalttätigkeit“ einen Kult, der die Faschisten sowie die Anarchisten tiefgreifend prägte. Der faschistischen Planung lag zugrunde, dass durch einen Staatsstreich die Neuordnung errichtet werden musste.
Stanley Payne und die Unterschiede zwischen Normalfaschismus und NS
Bei seiner Aussonderung von den französischen Vorboten des Faschismus weist Sternhell auf ein Sammelbecken von Antrieben hin, die spätere Faschismen mitgestalteten. Jedoch bringt er nicht nahe, dass alle Empfänger der aus Frankreich übernommenen faschistischen Tradition zum selben ideologischen Ergebnis kamen. Während die italienische oder spanische Nutzbarmachung faschistischer Vorstellungen allerdings wenig Antisemitismus mittrug, war es bei den Nazis anders gelagert.
Nicht zuletzt geziemt es sich, meine Erkenntlichkeit gegenüber einem amerikanischen Lehrvater der Faschismus-Forschung zu bezeugen. Schon jahrzehntelang gibt sich der emeritierte Professor der Zeitgeschichte an der University of Wisconsin, Stanley Payne, mit einer vorurteilsfreien Untersuchung seines Fachgebiets ab. Während sich sein Ruhm vor allem als Geschichtsschreiber über den spanischen Bürgerkrieg und Franco-Biographen eintrug, hat er auch vielerlei über das Wesen des Faschismus als Geschichtserscheinung erforscht. In seinen Erläuterungen liegen treffende Bearbeitungen der bedeutenden Unterschiede zwischen dem Normalfaschismus und dem deutschen Nationalsozialismus. Ebenso einleuchtend sind Paynes Anstrengungen einen musterhaften Faschismus begrifflich zu bestimmen. Klar sollte dabei sein, dass sein Musterfaschismus wie Webers Idealtyp der Realität nur annäherungsweise entsprach.
Der Faschismus existierte nur in seiner Epoche
Wie Nolte weist Payne ebenso schlüssig die Vorstellung ab, Faschismus in Zeiten und Kulturen zu verorten, die mit Europa zwischen den zwei Kriegen nichts zu tun haben. Mit amerikanischen Journalisten, die einen Vergleich zwischen Trump und Mussolini anstellen, treibt er Spott. Er verachtet den Missbrauch von historischen Analogien und insbesondere, wenn diese Unartigkeiten tendenziös begangen werden. Bezeichnend für seine Haltung ist seine brieflich mitgeteilte Wertung meiner Neuerscheinung. Er erwähnt rühmend die Eigenständigkeit meiner Thematisierung, aber besonderes Lob spart er bis zum Abschluss auf. Da bringt er seine Begeisterung vor, wie schonungslos ich mit den antifaschistischen Scheinhistorikern abrechne.
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