Anstoß

Ein schöner Saustall

Nein, die Querdenker sind mir nicht zuwider. Julian Reichelt allerdings sind sie „höchst zuwider“. Jedoch erlaube ich mir, diese Bewegung mit ihrem Plus und Minus kritisch zu betrachten – geradeaus und weder quer noch queer.

Einig bin ich mit Reichelts Verurteilung der öffentlichen, schamlosen Polizei-Lüge, die große Schwulendemo des CSD habe das Hygienekonzept eingehalten. Einig bin ich mit ihm, wenn er über die Querdenker-Demonstranten schreibt: „Ganz offenkundig geht von ihnen nicht mehr und nicht weniger gesundheitliche Bedrohung aus als von einem sonnigen, überfüllten Samstag auf dem Ku‘damm oder auf der Kö. Der Staat sollte nicht das Gegenteil behaupten, um seine Meinung durchzusetzen. Der Staat darf nicht verbieten dürfen, weil er anderer Meinung ist. Und niemals sollte dieser Staat so leichtfertig behaupten, die Meinung der anderen bringe den Tod. Diese furchterregende Behauptung wird immer mehr zur geistigen Pandemie in unserem Land.“

Jeder, der einigermaßen bei Verstand und informiert ist, hält inzwischen trotz vieler kultureller Restbestände und vieler großartiger Einzelpersonen Berlin im Hinblick auf die politische Vegetation und ihre bestimmenden Akteure für einen Saustall. Nur leider ist dies nicht nur ein regionales Phänomen im Mittleren Osten. Auch in Söderanien ist die Welt eher unideal. Wer in die Hauptstadt der Bewegung des Kanzlerkandidaten für später und in spe reist und München per Fahrrad erkunden will, wird beim Mieten per Internet von der Münchener Verkehrsgesellschaft erleben, wie man Kunden das Leben schwer machen kann.

Wer vergeblich versucht, über das städtische Portal eine Eintrittskarte ins Museum zu buchen, erfährt vor Ort von den Angestellten, man wisse das und leide unter dieser Verwaltung, die im digitalen Neuland herumstolpert. Wir Deutschen bewegen uns halt in einer technologischen Abwärtsspirale Richtung Burkina Faso. Das zukünftige Dritte-Welt-Deutschland sammelt schon munter tatendurstige und kräftige dauerarbeitslose Kostgänger aus aller Welt.  Viele schwarze Gesichter weisen in eine schwarze Zukunft. Was mag sich der afrikanische Aufseher im Münchner Museum, der sich seinen Lebensunterhalt verdient und mit der Großfamilie teilt, über diese merkwürdigen teils schon abgestorbenen, teils ihr Aussterben begeistert feiernden weißen Genderistas denken?

Zu den Krankheitssymptomen jener Deutschen, die teils keine Deutschen mehr sein wollen, teils es längst nur noch auf dem Papier sind, gehört die Verfälschung der deutschen Geschichte zum  „Verbrecheralbum“ (Helmut Schmidt). Angesichts dessen wird es voll überall dort, wo der Schuldkult abgefeiert wird, aber ein leeres totes Schweigen grassiert, sobald es um die an Deutschland und den Deutschen verübten Verbrechen im Bombenkrieg und in den Vertreibungen geht.

In der Nachkriegszeit wurden die Vertriebenen nur als Stimmvieh und politische Manövriermasse gesehen, bis man in den siebziger Jahren glaubte, ganz auf sie verzichten zu können und ihnen die Quittung erteilte für allzulange Naivität und Passivität mit dem Deutsch-Tschechoslowakischen Verhöhnungsvertrag von 1992 und dem EU-Beitritt Tschechiens 2004 ohne jede Aufhebung der Mord-Dekrete des faschistoiden Staatspräsidenten Edvard Beneš  (an der Macht 1935-1938 und von 1945 bis zu seinem Tod 1948).

Diesen Kriegshetzer und Massenmörder, der offen erklärte, die Deutschen in Böhmen und Mähren „liquidieren“ zu wollen, haben die Tschechen ausgerechnet nach der sogenannten „Samtenen Revolution“ 1989 begonnen, als Helden zu feiern, u. a. mit einem überlebensgroßen Bronzestandbild 2005 auf dem Prager Loretoplatz am Außenministerium.

Manövriermasse waren auch die nach Bayern vertriebenen Sudetendeutschen. Aus machttaktischen Gründen übernahm die CSU-Regierung, kurz bevor sie im November 1954 für drei Jahre von einer Viererkoalition in die Opposition geschickt wurde, die Schirmherrschaft über sie als „Vierter Stamm“ Bayerns. Immerhin wurde mit dem allerdings erst 2020 eröffneten architektonisch reizvollen Neubau eines Sudetendeutschen Museums in München ein Zeichen gesetzt, sich der Vergangenheit zu stellen. Geboten wird mit einer vorbildlichen durchgängigen Beschriftung auf Deutsch, Tschechisch und Englisch und noch bis Oktober bei freiem Eintritt eine reichhaltige, sehr differenzierte Übersicht über die Geschichte durch die Jahrhunderte, über die wirtschaftlich-technischen und kulturellen Leistungen der großen deutschen Minderheit – von Ferdinand Porsche bis Franz Kafka.

Aber was erlebte ich dort am vergangenen Freitag? Ich war der einzige Besucher in dem großen Museum. Wo waren die tschechischen Touristen, um die Wahrheit über ihre glorreiche Nachkriegsgeschichte zu erfahren, wo waren Engländer und Amerikaner, um festzustellen, welche Verbrechen die Churchill, Roosevelt und Truman mit ihrer Zustimmung zur angeblich „geordneten und humanen“ Vertreibung der Deutschen begangen haben? Aber wo waren zuallererst die Deutschen, um zu lernen, nachzudenken, zu gedenken?

In Sachen Schuld gilt, was der Prophet Hesekiel gesagt hat: „Aber der Sohn soll nicht die Schuld des Vaters tragen und der Vater nicht die Schuld seines Sohnes tragen.“ Das verbietet Schuldkult und Rache, aber es verpflichtet auch dazu, Amnesie und Verdrängung entgegenzutreten. Wer die Ermordeten verleugnet und vergißt, tötet sie erneut und verdammt sich mit dieser zweiten Schuld zu ewiger Erbärmlichkeit.

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