Gesichtet

Amor Fati: Gedanken zur wahren Bedeutung von Romantik und Liebe

Es gibt keinen Begriff, der im Gefühlsleben mehr verherrlicht wird, als der Begriff der Romantik oder romantischen Liebe. Einige Leute verlassen ihre Partner sogar, weil die „Romantik“ verschwunden sei. Diese Formulierung kannte ich schon seit Kindestagen.

Irgendwann hatte ich dann aber gelernt, woher die Romantik kommt. Die Romantik war eine Literatur- und Kunstströmung, die Gefühle betont hat und insbesondere auch Liebesgeschichten hervorbrachte. Bei der Art dieser romantischen Liebesgeschichten wurde ich als Schüler aber stutzig. Und zwar aus zwei Gründen.

Tragödien der Liebe

Erstens zeigen romantische Liebesgeschichten – und deren Vorgänger wie Shakespeares Romeo und Julia – keine „normalen“ Menschen, sondern meist Personen, die offensichtlich geisteskrank waren und deshalb besonders stark geliebt haben, weil sie wortwörtlich an einem selbstdestruktivem Liebeswahn litten. Träumen die meisten Leute davon, also jemanden wie ein Wahnsinniger zu lieben? Kann das gut sein?

Der andere Grund ist, romantische Liebesgeschichten gingen nie gut aus. Romeo und Julia ist das klassische Beispiel, aber auch auf „Die Leiden des jungen Werther“ aus dem Sturm und Drang trifft dies zu. Und selbst heute eher als Horrorgeschichten bekannte Werke wie Frankenstein und Dracula werden zur Romantik gezählt, und haben zumindest in Aspekten das Thema tragischer und unerfüllter Liebe. Auch Wagners Opern beinhalten allesamt tragische Liebesgeschichten.

Also, warum wünschen sich Leute eine Liebe wie in einer romantischen Liebesgeschichte, wenn dort die Liebe so gut wie immer tragisch endet? Wäre das Verlangen, „romantisch“ zu lieben, nicht das paradoxe Verlangen, durch seine Liebe zu leiden?

Auf den ersten Blick schien das keinen Sinn zu machen. Vielleicht war die Erklärung auch eine andere. Vielleicht kann man das Katharsis nennen? Die Leute sehen, was für Unglück andere Liebespaare erleiden können und sind deshalb glücklich, dass es ihnen wenigstens nicht so schlecht ergeht wie denen.

Eros und das Mysterium der Liebe

Diese Erklärung schien für mich trotzdem nicht ganz schlüssig zu sein. Dann griff ich zu den Werken des Kulturphilosophen Julius Evola. Er widmete der Liebe und der Sexualität ein eigenes Werk namens Eros und das Mysterium der Liebe, auch bekannt als Die Metaphysik des Sexus. Da beschreibt Evola alle Formen traditioneller Sexualität. Von der Orgie bis hin zur Züchtigkeit und dem Minnegesang.

Die Romantik bringt Evola dort in Verbindung mit dem Minnegesang und stellt sie damit als Unterart des Rittertums und des „Weg des Kriegers“ dar. Dies macht auch viel Sinn, da viele der großen romantischen Werke auch Ritterepen wie Parzival sind. Und selbst heute werden große Liebesgeschichten gerne vor dem Hintergrund eines Krieges erzählt.

Der „springende Punkt“ ist aber ein anderer. Der zentrale Aspekt des Kriegers ist ein Leben in Selbstaufopferung. Der Ritter lebt dadurch ein gutes und „heiliges“ Leben, indem er sich ein Ziel sucht, was größer ist, als er selbst und für das er bis an die Grenzen seiner Belastung geht. Er ist bereit, alle Schmerzen auszuhalten und alles zu opfern, um selbst in die „höchsten Höhen“ aufsteigen zu können.

Bereitschaft für eine höhere Sache

Die Essenz der Ritterlichkeit ist nicht, gut kämpfen zu können, sondern die Bereitschaft, für eine höhere Sache zu leiden. Oder wie Evola es umschreibt: „Der Kampf des Heiligen in einem selbst, gegen alles, was bloß menschlich ist“. Deshalb haben auch viele Armeen Mottos wie „per aspera ad astra“, was „durch Elend zu den Sternen“ bedeutet.

Und damit löst sich das scheinbare Paradoxon auf. Die romantische Liebe ist nicht der Wunsch nach dem Elend, sondern sie ist der Stern, der das Elend erträglich, akzeptabel oder sogar erstrebenswert macht. Eine romantische Liebe ist das „heilige“ Ideal, die Hoffnung, die einen Menschen dazu bringen kann, sich von allem „bloß Menschlichen“ zu trennen.

Dies erklärt auch, warum der Islam, an dem Evola den „Weg des Kriegers“ am ausführlichsten erklärt hatte, ausgerechnet den Sufismus hervorbrachte, der die Nähe zu Gott im Ausleben der (auch romantisch gemeinten) Liebe sucht, weshalb z.B. Ayatollah Khomeini eine riesige Sammlung an Liebesgedichten verfasste. Das sind zwei Seiten einer Medaille.

Der Sinn des Leidens

Interessanterweise hat der Psychologe Jordan Peterson auch die Existenzialisten als Romantiker bezeichnet, und bei denen besonders Viktor Frankl und Alexander Solchenizyn hervorgehoben. Einer von beiden war im KZ, der andere im Gulag. Beide suchten ihr Leben lang nach einem Grund, der diesem Schicksal einen höheren Sinn gibt. Und Frankl sah diesen Sinn des Lebens darin, Verantwortung für etwas oder jemanden zu übernehmen und bereit zu sein, für dieses Ziel der eigenen Verantwortung alle Schmerzen auf sich zu nehmen. Dies ist wieder exakt dieselbe Idee.

Und um auf meinen eigenen Artikel vom 27. November 2018 zurückzukommen: Sigmund Freud erklärte, das Gegenteil des Eros, also auch der „Liebe“ sei das Verlangen, einen möglichst „anspannungsfreien“ Zustand zu erreichen. Also das Verlangen, vor Belastung und Gefahr direkt zu fliehen, und den „Weg des geringsten Widerstands“ zu gehen.

Wenn dies nun das Gegenteil der Liebe ist, bedeutet dies eigentlich, Liebe ist das Verlangen, nicht weg zu laufen, und im Namen der Liebe jede Form von Anspannung und Härte über sich ergehen zu lassen. Oder anders ausgedrückt, das Verlangen, nicht weg zu gehen, egal welche Härten auf einen warten.

Im Zuge des Albigenser Kreuzzugs wurde von Minnesängern eine Geschichte überliefert, bei der ein Ritter mit Hilfe einer magischen Höhle den Fall der Burg Montsegur verhindern will. Er kämpft immer und immer wieder dagegen an. Währenddessen verliebt er sich unsterblich in eine Frau. Und durch seine Liebe kann er am Ende akzeptieren, dass er das Schicksal nicht aufhalten kann und ihn immer großes Leid erwartet. Er erkennt aber auch, dass die Qual nicht umsonst ist, sondern das Fortbestehen der Albigenser als Idee sichert. Diese Geschichte klingt auf den ersten Blick wie eine Geschichte der Resignation. Aber nach den bisherigen Überlegungen fällt auf, dass das eine Geschichte des Triumphs ist, da die wahre Liebe der absoluten Katastrophe ihren Schrecken nahm.

Eine romantikfeindliche Zeit

Die in diesem Kreuzzug ausgelöschten Ketzer, Katharer oder Albigenser genannt, hatten auch „zufällig“ den Leitspruch, dass Liebe, „amor“ eigentlich „a mor“ heißt, was „ohne Tod“ bedeuten würde. Damit sei gemeint, dass mit der Liebe der weltliche Tod, also der ultimative Verlust, seinen Schrecken verlieren würde.

Durch diese Überlegungen, was Romantik bedeutet, fällt auch auf, die heutige Zeit ist eine „romantikfeindliche“ Zeit. Und das ironischerweise nicht (nur), weil man die Liebe vernachlässigt.

Man lehrt, dass Liebe nichts Lebensnotwendiges, sondern nur Luxus und „Privileg“ sei, und dass andere Dinge wie Arbeit, Essen, Sicherheit und eigene Gesundheit angeblich wichtiger seien. Damit wird komplett ignoriert, dass gerade die Liebe, auch durch diese romantische Opferbereitschaft, dem Menschen etwas geben kann, für das es sich zu leben und zu leiden lohnt. Und dass der Mensch halt nicht „vom Brot allein“ lebt.

Sexuelle Vielfalt statt Liebe

Dann wird dieser Aspekt der Liebe als harte Arbeit und Opferbereitschaft heute fast vollkommen unter den Teppich gekehrt. Stattdessen redet man von „sexueller Vielfalt“ und „sexueller Selbstverwirklichung“. Der individuelle Hedonismus, Spaß haben und „ordentlich die Sau rauslassen“ sind die einzigen Werte, die in der Öffentlichkeit vermittelt werden.

Besonders Frauen bringt man bei, dass sie sich nicht „zu schnell binden“, sondern lieber zuerst „Spaß haben“ und „sich ausprobieren“ und sich nur mit dem „Besten vom Besten“ zufrieden geben sollen, bevor sie sich dann damit „niederlassen“. Dass zur realen Liebe gehört, dass es meistens nicht perfekt läuft, wird zu gerne unter den Teppich gekehrt.

Und wird es mal schwierig in der Liebe oder Ehe kann man sich ja ruhig trennen oder scheiden lassen. Dass man eigentlich auch, wenn es schwierig wird, zusammen bleiben und seine Differenzen aushalten sollte, wird zu gerne vergessen. Hauptsache man hat Spaß.

Diese moderne „freizügige“ Einstellung zu Liebe und Sexualität zerstört aber alles Sinnstiftende an der Liebe und verwandelt die Liebe in ein Produkt, das man sich zur eigenen Unterhaltung im „zwischenmenschlichen Supermarkt“ kauft und danach wegwirft. In gewisser Weise wird so die Partnerschaft auch nur zur anderen Art der Prostitution.

Viele Konservative denken jetzt wahrscheinlich, da haben wahrscheinlich die 68er mit ihren Fantasien von Polygamie und „Gruppenehe“ Schuld. Dies ist aber nicht zwingend so. So lange jemand ehrlich und aufrichtig ist und Verantwortung und Opfer aufbringen will, kann jemand auch problemlos zwei oder mehr Menschen lieben. Einen einzigen zu lieben, ist vielleicht einfacher, aber das andere ist nicht unmöglich. Und mehrere Menschen zeitgleich zu lieben, ist immer noch besser als „einmal ficken, weiterschicken“.

Das, was wirklich die Romantik ruiniert hat, ist stattdessen, wie bei so vielem anderen auch, die Illusion, ein unabhängiges, freies und wurzelloses Individuum sein zu können, das keine anderen Menschen braucht. Und die Vorstellung, gutes Leben würde nur darin bestehen, Schwierigkeiten zu vermeiden und den eigenen Spaß möglichst ungehemmt auszukosten.

In so einem Leben erwartet einen aber nur, bis ans jämmerliche Ende, sein Leben damit zu verbringen, wie ein Tier nach dem nächsten Futter nachzurennen. Menschlich ist das nicht mehr.

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