Gesichtet

Begriff des Politischen – Politik des Begrifflichen

Carl Schmitt prägte mit seinem Werk „Begriff des Politischen“ eine völlig neue Denkweise innerhalb der Begriffsbestimmung von Politik. Schließlich gab es schon seit Aristoteles die anthropologische Bestimmung des zoonpolitikon (politisches Lebewesen/ Tier).  In seiner Schrift Politik liefert uns Aristoteles sein Hauptargument: „Wenn man sieht, wie, aus dem Anfang die Dinge wachsen, dürfte man, wie sonst, so auch hier zur besten Sichtweise gelangen.“

Aristoteles argumentiert hier, wie so oft, teleologisch. Der Mensch strebt zum Staate. Hier ist das Primat des Staates eindeutig. Von Aristoteles her wurde nahezu immer, die Politik als Art Subdisziplin oder Subkategorie anderer Kategorien verstanden, wie z.B. als Unterbegriff des Staates – oder um es mit Heideggers hermeneutischen „als“ zu sagen – ein gleichzeitiges Verständnis von Politik als Staat und Staat als Politik. Ein Zirkel, der laut Schmitt unbefriedigend ist.

Eine gängige, weitere gehäufte Verwendung des Begriffs war die Antithese wie z.B. Politik und Moral et cetera. Dass Politik jedoch eine Eigendynamik und Eigenleben hat und dies auch von kriteriologischer Natur, ist einer der wichtigsten Erkenntnisse aus Carl Schmitts Werk Begriff des Politischen.

Das Politische ist eben nicht als Staat zu verstehen, vielmehr setzt der Staat den Begriff des Politischen voraus. Es ist, so verstehe ich Schmitt, die Aufgabe seines diesbezüglichen Werkes den Kern, die binnensystematische Struktur von Politik freizulegen bzw. offenzulegen, welche laut ihm aus Freund und Feind besteht.

Politik wird hier nicht substantiell bestimmt, sondern als Relation mindestens zweier Substanzen, welche sich gegenseitig innerhalb des Freund-Feindbegriffs, entweder zum Freund oder zum Feind erklären. Es geht jedoch expressis verbis nicht unbedingt um die Substanzen selbst, diese sind austauschbar. Es geht um eine Art Beziehungsgeflecht, welches durchaus tödlich enden kann.

Schließlich sagt Carl Schmitt, dass bei jeglichem wahren Feindbegriff zumindest die Möglichkeit der physischen Vernichtung möglich sein muss. Innerhalb dieses Beziehungsgeflechts geht es jedoch nicht um den persönlichen Feind (inimicus) oder um den Konkurrenten, sondern vielmehr um den Anderen, den politischen Feind (hostis). Für Schmitt ist der mögliche Kriegsfall der mögliche Referenzpunkt für jegliche Politik. Das heißt nicht unbedingt, dass sich dieser ereignet, aber es muss – so Schmitt – die Möglichkeit dazu gegeben sein.

Ohne diese Möglichkeit wäre unsere Welt, eine Welt ohne Politik. „Der Krieg als das extremste politische Mittel offenbart die jeder politischen Vorstellung zugrunde liegende Möglichkeit dieser Unterscheidung von Freund und Feind und ist deshalb nur so lange sinnvoll, als diese Unterscheidung in der Menschheit real vorhanden oder wenigstens real möglich ist.“ (Schmitt, Carl, Begriff des Politischen, Text von 1932, Duncker & Humblot, 9. korrigierte Auflage, Berlin 2015, S. 34.)

Tatsächlich ist dieses Bonmot, so hart dies klingen mag, eine Entidealisierung des Politischen des Hobbes des 20. Jahrhunderts, dieser ist m.E. nämlich Carl Schmitt. Der Kriegszustand lauert in dem Begriff des Politischen und formiert oder – besser gesagt – sollte von dort aus den Begriff des Politischen im Sinne einer möglichen Vermeidung des Krieges formieren. Dies kann jedoch nur geschehen, wenn der Krieg als etwas Mögliches nicht schon im Vorhinein wegignoriert wird, wie es in der heutigen Zeit doch lange der Fall in Europa war.

Es kann jedoch auch etwas völlig Unpolitisches laut Schmitt zum Politischen werden, sofern diese Einheit einen Gegensatz schaffe, der „stark genug ist, die Menschen nach Freund und Feind zu gruppieren“. Die Möglichkeit zum Kriege lauert im Politischen und kann, wie schon gesagt, so ist es nun mal, schnell reaktiviert werden. Es ist sehr wichtig, sich dessen bewusst zu sein.

Es ist jedoch bei Weitem nicht nur der Krieg, der den Begriff des Politischen als extremer Referenzpunkt formiert, vielmehr finden sehr viele politische Prozesse statt, welche zu einem politischen Ereignis führen. Dieses Ereignis finden wir bei Schmitt, außerhalb des für Schmitt megapolitischen Ereignisses des Krieges, nicht wirklich. Politik ist zwar stets die Möglichkeit eines realen Krieges, jedoch spielen ökonomische Ereignisse, Wahlen und die vorgehenden und nachgehenden möglichen Absprachen usw. statt, welche ebenfalls jegliches politische Verhalten stark beeinflussen.

Dies geschieht sowohl im Makro- als auch im Mikrokosmos des Politischen, d.h. sowohl im Großen wie im Kleinen. Für Schmitt wären diese jedoch nur dann politisch, wenn sie eine starke Freund-Freund-Gruppierung aufweisen. Politik ist also bei Weitem nicht nur der Zustand eines möglichen Krieges oder Kampfes, sondern vielmehr ereignisorientiert zu betrachten. Gerade bei diesem ereignisorientierten Denken spielt wiederum die Politik des Begrifflichen eine hervorzuhebende Rolle. Die Mittel um Einflussnahme auf diese besagten politischen Ereignisse zu nehmen, sind vor allem sprachlicher Natur.

Der Carl Schmitt Schüler Reinhart Koselleck, bekannt geworden durch seine damalige und geniale Schrift „Kritik und Krise“ und einer der wohl größten Historiker des 20. Jahrhunderts, fasste das, was ich unter der Politik des Begrifflichen bezeichne, folgenderweise zusammen:

„Auch hier lassen sich wie bei der Relation von Sprechen und Handeln im Vollzug des Geschehens Synchronie und Diachronie empirisch nicht trennen. Die Bedingungen und Determinationen, die zeitlich verschieden tief gestaffelt aus der sogenannten Vergangenheit in die Gegenwart reichen, greifen ebenso in das jeweilige Geschehen ein wie die Handelnden ‚gleichzeitig‘ von ihren jeweiligen Zukunftsentwürfen her agieren.“ (Koselleck, Reinhart, Begriffsgeschichten, Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache, 5. Auflage 2021, Suhrkamp, Frankfurt am Main, S. 21.)

Begriffe und politische Sprache sind aufgrund der Zukunftsentwürfe für das politische Geschehen bzw. für das zukünftige politische Ereignis stark prägend. Koselleck, der eine Übertönung der Sozialgeschichte über die Begriffsgeschichte bemängelt, sagt mit anderen Worten, dass diese stark verwandt sind, und das sowohl Begriffsgeschichte wie Sozialgeschichte nicht voneinander zu trennen sind. Dabei sind bei der Verstrickung von den beiden und für das Wirken der Begriffe auf die Gesellschaft, laut Koselleck, zwei Methoden zu unterscheiden:

  1. Der Begriff als politische Quelle der Sozialgeschichte
  2. Die langfristige Wirkung von Begriffen

Erstens: Es gibt Phänomene und Ereignisse, welche durch und durch singulär sind und Geschichte machen. Koselleck nennt als Beispiel einen fürstlichen Eheschluss. Alle politischen Motive und Gründe für diese Ehe sind im Begriff und zwar im spezifischen Begriff dieser Ehe, vorhanden, da die Ehe ein „kulturelles Phänomen“ darstellt, welches in jeder kulturellen Geschichte der Menschheit zu finden ist. Die Ehe, welche es nahezu überall im Laufe der Geschichte gibt, sichtet wortwörtlich die politischen Motive, Zeremonien, vertragliche Bedingungen, welche wiederum nur durch weitere Begriffe ablesbar sind. Dies ist noch kein bestes Beispiel für eine Determination der Begriffe auf die zukünftige Geschichte, wobei politische Ereignisse allein schon durch das Reden von möglichen Eheschlüssen stark in früheren Königshäusern beeinflusst worden sind. Vielmehr ist dies eine Quelle, aber auch Verkörperung der Sozialgeschichte durch Begriffe.

Zweitens: Das eigentliche Interesse der Sozial- und Begriffsgeschichte, so Koselleck, wobei hier unklar ist, wer hier das Subjekt des Interesses in concreto sein soll, ist die langfristige Wirkung der Begriffe auf die Gesellschaft oder mit den Worten Kosellecks:

„Anders gewendet, sie [Sozialgeschichte und Begriffsgeschichte] fragen nach Strukturen und deren Wandel, und sie fragen nach den sprachlichen Vorgaben, unter denen solche Strukturen in das gesellschaftliche Bewußtsein eingegangen, begriffen und verändert worden sind.“ (A.a.O., S. 24.)

Es ist daher gerade in unserer Zeit sehr wichtig, und die geht über Koselleck hinaus, politische Begriffe zu prägen, vor allem um diese von der linken Hegemonie zu befreien, aber auch um Strukturen und Denkwege und sprachliche Vorgaben zu prägen, denn schließlich wird das gesellschaftliche Bewusstsein nur dadurch geprägt, es findet eine Art Erweiterung und Änderung des anthropologischen Horizontes statt, eine Erweiterung der Denkwege, welche die Bahnen des heutigen Denkens aufbrechen und die Widersprüche des linken Denkens aufzeigen.

Hier geht es darum, das kollektive Gedächtnis so zu prägen, dass es die linken Dogmen z.B. der Gleichmacherei aufbricht, und auch für die Zukunft gegen solche absichert. Dabei geht es nicht um geschichtliche Ereignisse in der Vergangenheit, sondern vielmehr um Ereignisse in der Zukunft. Dabei war es Aristoteles, wie es Koselleck in Vom Sinn und Unsinn der Geschichte (vgl., Koselleck, Reinhart, Vom Sinn und Unsinn der Geschichte, 2. Auflage 2022, Suhrkamp, Frankfurt am Main, S. 82 ff.) schreibt, der die Dichtung der Geschichte vorzog, schließlich bezog sich die Dichtung bzw. Poetik auf Sachen, die noch eintreffen konnten, wobei man die „Geschichtsschreibung“ der Griechen (Thukydides und Herodot) bei Weitem nicht als historisch-klassisch verstehen kann, wie wir es aus der Moderne kennen.

Dies zeigt die Struktur von Sprache auf: Sie kann horizonterweiternd wirken. Sie kann mit dem modern-linken Denken brechen, indem sie eine Art Riss in den Lebens- und Weltentwurf des verbreiteten linken Bewusstseins durch Sprache auftut. Dies geschieht aber auch durch Sprüche, also generell Sprache, welche das zugrundeliegende Phänomen bzw. die politische Situation, welche der Begriff ausdrücken will und den heutigen Menschen in seiner Situation abholt, so dass man am Begriff die Situation ablesen kann. Wenn somit Begriffe geprägt werden, welche Phänomene vorwegnehmen und/oder bestimmen und somit das sich dahinterstehende Phänomen oder Situation wortwörtlich treffen, dann kann dies zu einem völligen Neubesinnen innerhalb der Gesellschaft führen und eine langfristige Erhaltung dieser Neubesinnung wäre somit möglich und die Prägung wäre somit erfolgreich.

Dennoch ist die Wahl der Begriffe limitiert, oder wie es John Stuart Mill schrieb: Die Menschheit hat viele Ideen, aber nur wenig Worte. Das ist auch der Punkt, wo sich der Begriff des Politischen mit der Politik des Begrifflichen verbindet. Jegliche politische Aussage hat einen Antagonismus in sich. Das heißt, dass jegliche politische Aussage bzw. jeder politische Begriff stellen eine Gegenbehauptung zu anderen politischen Begriffen und Aussagen dar.

Eine politische Aussage, die sich spezifisch-politischen Begriffen bedient, ist nie neutral. Obwohl Schmitt diesen Antagonismus eigentlich expressis verbis nicht meint, denn dieser hat nicht die Möglichkeit zum Kriege, ist es faktisch, dass politische Aussagen und Begriffe diesen Effekt mit sich bringen. Die politische Sprache gliedert sich somit automatisch in eine abgeschwächte Form von Freund und Feind.

(Bild: Carl Schmitt)

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