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Bekenntnisse und Irrationalitäten von Fußballfans

BN-Autor Gregor Burchardt hat sich eindeutig positioniert. In der schwarz-rot-goldenen Flut sieht er die „Einheitsfarbe einer unpolitischen Party-Generation“:

Ganz ohne irgendein Bekenntnis, ganz ohne irgendeinen Wunsch, eine Forderung, ein Ideal wurden diese Farben zu einem billig kaufbaren Fan-Artikel degradiert.

Nun, sicherlich ist die derzeitige Zukleisterung mit den Nationalfarben allerorten nur schwer zu ertragen. Aber haben wir es hier tatsächlich nur mit Party-Patriotismus zu tun? Ein Interview in der taz lässt daran zumindest ein wenig zweifeln. Dort wurde die Soziologin Dagmar Schediwy befragt, die im April ein Buch zum „Fußballpatriotismus“ veröffentlicht hat. Sie hat die Fans beim „Rudelgucken“ gefragt, was für sie am wichtigsten ist.

Das Ergebnis: Die Party und der Fußball stehen gar nicht so im Vordergrund:

Viel wichtiger war das Gemeinschaftserlebnis.

Das seien „Gefühle von Zusammenhalt und Zugehörigkeit“, die viele „offenbar im Alltag vermissen.“ Der Spaßfaktor und die Sinnentleerung des Flaggezeigens habe erst ab der EM 2008 eingesetzt.

Gregor stellt die Nationalfarben in den Zusammenhang mit einer „politischen Meinung, einem Ausdruck des Begehrens, einer Idee“. Schediwy erklärt, dass auch ihre Interviewpartner das offene Zeigen der deutschen Flagge als Befreiung empfunden hätten. Besonders junge Menschen hätten sich damit vehement gegen „eine Festschreibung des Deutschlandbildes auf den Nationalsozialismus“ gewehrt:

Der 2006 aufflammende Fußballpatriotismus trug Züge einer Revolte gegen ein Geschichtsverständnis, das sich auf den Holocaust fokussiert. […] Ich habe die Fans dazu befragt, was es für sie bedeutet, Schwarz-Rot-Gold zu tragen und Deutschlandfahnen zu schwenken. Der „Spaßnationalismus“ landete bei den Motiven auf dem letzten Platz! Die meisten wollten damit ihre Zugehörigkeit zum Land und zur Mannschaft ausdrücken.

Und die Soziologin kratzt gar am Multikulti-Friede-Freude-Eierkuchen-Bild der Nationalmannschaft als Integrationsmotor:

taz: Wie war das Verhältnis zu den Nationalspielern mit Migrationshintergrund?

Schidewy: Die wurden von den meisten akzeptiert. Diese Zustimmung war aber oft mit Nützlichkeitsmotiven verbunden. Nationalspieler mit Migrationshintergrund wurden deshalb akzeptiert, weil sie das Image Deutschlands als weltoffenes Landes verbreiten, um die ’schlechte Vergangenheit des Landes‘ aufzubessern und weil ’sie uns weiterbringen‘.

Außerdem scheint der Großteil der Fußballbegeisterten nicht auf den Hype um die letztjährige Frauen-WM eingegangen zu sein:

Die Einführung des Themas hat fast regelmäßig zu einer atmosphärischen Störung geführt. Ich hatte den Eindruck, dass die Gefühle meiner InterviewpartnerInnen förmlich einfroren. Das Überschwängliche, Euphorische, das die Interviews auf der Fanmeile prägte, war schlagartig weg. […] Fußball und Weiblichkeit scheinen im Bewusstsein vieler Menschen, Männer wie Frauen, noch immer einen Gegensatz zu bilden.“

Es gibt also Dinge im Leben, die man einfach nicht ändern kann. Niemals ändern wird sich sicherlich auch Dany „le Rouge“ Cohn-Bendit. Und auch nicht sein „alter Oppositionsgeist, inzwischen ohne Grund“, wie er der gleichen Zeitung erklärt. Deswegen ist er bei der EM „irrational für Frankreich und rational für Spanien. Und irrational gegen Deutschland.“

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