Es ist kein Geheimnis, dass sich politische Bewegungen eher um symbolische Kämpfe drehen. Ein klassisches Beispiel war der Hambacher Forst. Egal, wie wichtig uns der Umweltschutz ist, ob der Hambacher Forst stehen bleibt oder abgeholzt wird, ist im großen Ganzen irrelevant. Wer das noch nicht verstanden hat, sollte sich auf einer Karte anschauen, wie winzig und isolierte dieser Forst ist. Dass es dort irgendeine Art von Ur-Ökosystem gibt, ist für mich nichts anders als ein Märchen.
Nichtsdestotrotz blieb dieser Streit wochenlang in den Medien. Zeit, die dazu hätte benutzt werden können, um über tatsächliche Umweltprobleme zu diskutieren: Wie viel Wald darf im Namen der Windenergie gerodet werden? Was ist mit dem Insektensterben, gibt es das wirklich? Wie viele Wölfe dürfen in Deutschland leben? Wie werden die Landwirte gegen sie geschützt? Aber nein, nichts davon wird diskutiert.
Also warum der ganze Streit? Warum geben sich Aktivisten die Mühe das Wäldchen zu besetzen? Ok, sie mögen zwar verrückte Hippies sein, aber warum fahren Menschen aus ganz Deutschland dorthin zum Protestieren? Der Umwelt hilft das nicht, denn solange es eine Nachfrage gibt, wird die Kohle anderswo abgebaut. Wie können diejenigen, die sich am meisten für das Thema engagieren, in der Ausführung des Protests so falsch liegen? Die Antwort auf diese Frage liefert Jonathan Smucker, selbst ein erfahrener Linksradikaler.
Symbolische Taten
Um zu verstehen, warum diese symbolischen Taten so wichtig sind, müssen wir uns vor Auge führen, wie unbequem das alles ist. Wer will schon sein Leben, mit allen gewohnten Annehmlichkeiten zurücklassen, um in einem Wald zu wohnen? Dort gibt’s kein Wasser, keine Elektrizität und das Leben in jenen Kommunen ist selten so friedlich, wie man meint. Dazu kommt der Streit mit der Polizei und es ist nicht, als wäre der Protest marktwirtschaftlich nachhaltig, irgendwann läuft das Geld aus.
Die Menschen, die etwas derartiges tun, müssen hochmotiviert sein. Sie sagen, sie wollen die Welt retten, aber wichtiger ist es ihnen, dass sie ihr eigenes Selbstbild, ihre Identität bedienen. Diejenigen, die nur für einen Tag zum Protest gehen, legen kein großes Opfer dar, aber ihnen ist es genauso wichtig, das Gefühl zu haben, etwas Richtiges zu tun. Wenn das Ziel unerreichbar scheint, dann ist die Selbstgerechtigkeit alles, was man übrig hat.
Das ist jedoch eine Falle, nur weil eine Aktion dem Aktivist gut gefällt, heißt es nicht, dass sie auch etwas bewirkt. Noch wichtiger, je stärker sich das Mitglied mit der Gruppe identifiziert, desto mehr wird es versuchen, die Gruppe von äußeren Einflüssen zu schützen. Auch, wenn diese von Unterstützern kommen. Gleichzeitig werden Aktionen, die den Aktivisten nicht persönlich ansprechen, niemanden motivieren.
Folgendes ist also das Identitätsparadox: Politische Bewegung brauchen eine starke Identität, um die Einsatzbereitschaft zu fördern, die für ihre Handlungsfähigkeit nötig ist. Aber je stärker jene Identität, desto wahrscheinlicher wird die Gruppe sich von Unterstützern und der Gesellschaft absondern.
Gefahr der Isolierung
Diese Tendenz ist nicht nur in politischen Bewegungen zu finden, sondern in verschiedensten Gruppen, von Fußballvereinen bis zu Kirchen. Sie ist jedoch viel gefährlicher für Gruppierungen, die unterdrückt werden. Bevor ein Staat überhaupt eine Bewegung verbietet oder seine Mitglieder verfolgt, wird er versuchen sie politisch zu isolieren. Eine Bewegung, die sich selbst ausgrenzt, liefert sich selbst zur Schlachtbank. Deshalb ist es nötig, ein Spektrum von Unterstützern zu pflegen.
Die Gesellschaft teilt sich aus der Sicht einer Bewegung in fünf Kategorien: Aktive Unterstützer, die für die Bewegung arbeiten. Passive Unterstützer, die zwar der Bewegung positiv gegenüber stehen, aber nicht bereit sind ihr tatsächlich zu helfen. Neutrale Bürger, die jene Bewegung nicht kennen oder indifferent sind. Passive Gegner, die dagegen sprechen, aber nichts tun. Und zu guter Letzt Gegner, die die Bewegung aktiv bekämpfen.
Um politisch erfolgreich zu sein, muss jede Bewegung versuchen Menschen und Organisationen von links nach rechts zu bewegen. Das heißt passive Unterstützer zu aktivieren, Neutrale für sich zu gewinnen, passive Gegner zu neutralisieren und aktive Gegner zu demotivieren und schließlich zu deaktivieren.
Wie viele andere Patrioten, bin ich gegenüber der CDU sehr enttäuscht. Was sind das für Konservative, die uns Vollgas Richtung Untergang führen? CDU-Feindlichkeit wird aber nicht helfen. Ohne eine CDU wird keine patriotische Regierung zustande kommen. Ja, ich freue mich, wenn CDU-Politiker zur AfD wechseln, aber wäre es nicht vielleicht besser, wenn anders herum Patrioten zur CDU wechseln? Im Osten mag das unnötig sein, aber im Westen, hauptsächlich in Baden-Württemberg, wäre das wichtig. Irgendwann sollten wir mal eine Reconquista-Aktion CDU starten.
Identitäre Bewegung
Ich habe in diesem Beitrag schon über Identität, über Bewegungen und über staatliche Repression geschrieben. Es ist also nur natürlich, dass ich auch etwas über die Identitäre Bewegung sagen möchte. Da es sich hier nicht um eine große Partei, sondern eine kleine Gruppe von hochmotivierte Aktivisten handelt, sind die Tendenzen, die ich oben angesprochen habe, bei ihr umso sichtbarer.
Noch besser, hier ist die Frage noch nicht geklärt: Was ist die Identität der Identitären Bewegung? Ist es eine metapolitische Organisation der Neuen Rechten à la Martin Sellner aus Wien? Oder ist es die Interessenvertretung der deutschen Jugend, wie es in der Kontra-Kultur in Halle aufscheint? Wien und Halle*? Geht das überhaupt zusammen? Ohne Wien läuft die Bewegung Gefahr sich abzukapseln und einen Großteil von möglichen Unterstützern zu verlieren. Ohne Halle wiederum wird die Bewegung nicht genug Aktivisten finden können, die ihre gesamte Freizeit in die Bewegung investieren und das Risiko eingehen.
Zum Glück bringt Smucker eine Lösung für das Identitätsparadox, eine Lösung, die selbst paradox ist. Gruppen organisieren sich in einer Hierarchie mit einem oder mehreren Anführern. Jedes Glied in der Hierarchie orientiert sich nach oben und möchte so wie „die tollen Jungs da oben“ sein. Wenn der Anführer der Versuchung nachgibt, in seinem Elfenbeinturm nur mit denen zu sprechen, die auch hoch in der Hierarchie sitzen, dann wird die ganze Gruppe sich auch abkapseln.
Wenn er aber das Gegenteil tut und sich nach außen wendet, der Gesellschaft und den Randmitgliedern Aufmerksamkeit schenkt, dann wird es ihm die Gruppe gleichtun. Das heißt, wenn der Oberste zu den Niedrigsten kommt, dann bleibt die Bewegung heil.
Parteielite und Bewegungselite
Der Erfolg der Identitären Bewegung im deutschsprachigen Raum lässt sich im Großteil darauf zurückführen, dass ihr bekanntestes Mitglied, Martin Sellner, genau das beschriebene tut. Gleichzeitig kann die Stagnation der AfD und FPÖ ebenfalls durch das Identitätsparadox erklärt werden. Das Paradox, welches die Parteileitungen nicht zu begreifen scheinen und alles unternehmen, um aktive Unterstützer zu entfremden.
Diese Parteielite wird meinen Text nicht lesen, aber es ist wichtig, dass jedem Mitglied der patriotischen Bewegung dieses Paradox bewusst ist. Nur so lässt sich die goldene Mitte treffen. Es ist in Ordnung, an der Wurzel aller Übel anzusetzen, neue Wege gehen zu wollen, aber die Beziehung mit der breiten Basis darf nicht verloren gehen. Eine Bewegung, so wie eine Partei, braucht zwei Flügel. Wie es ein Volkslied sagt: willst du Glück haben im Leben, brauchst du von beiden Seiten einen Segen.
Fußnote:
* Verstehen Sie bitte die Wien-Halle-Dichotomie als rhetorisches Mittel. Mir ist durchaus bewusst, dass beide Richtungen in beiden Städten vertreten sind. Tatsächlich sowie bei Solschenizyn, dieser Streit ist nicht zwischen Bewegungen oder Personen, sondern geht quer durch jedes Aktivistenherz.
(Bild: Pixabay)
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