Anstoß

Italien: Das Spiel mit dem Feuer

Die GroKo war mit letzten Kraftreserven in Amt und Würden gehoben worden. Der Brexit war aus Ermangelung des prophezeiten Weltuntergangs in den Schubladen der Redakteure verschwunden und der französische Präsident erzeugte pünktlich zum Frühlingsbeginn finanzpolitische Glücksgefühle in ganz Europa. Ganz Europa?

Nein, mit Italien schickt sich nun auch die drittgrößte Wirtschaftsnation der EU an, die Mauer der Alternativlosigkeit zu durchbrechen. Hat das von inneren Gräben durchzogene Volk ultra montes doch tatsächlich die politische Situation aus der eigenen Perspektive heraus analysiert, die Prioritäten nach eigenem Interesse geordnet und schließlich eine Wahlentscheidung nach eigenem Ermessen getroffen. So viel Populismus auf einmal lässt in Paris, Brüssel und Berlin natürlich die Alarmglocken schrillen.

Italien kennt sich mit politischen Instabilitäten aus

Zu groß war die Hoffnung, dass die PD (italienische Sozialdemokratie) einen Regierungsauftrag ergattern würde. Sie gilt als stützende Kraft der Europäischen Union, der es nicht schnell genug gehen kann, die Institutionen in Brüssel weiter auszubauen. Insbesondere der Franzose Emmanuel Macron braucht Italien für seine Pläne bezüglich eines europäischen Finanzministers.

War es nach den Wahlen Anfang März gelungen, eine Koalition zwischen Lega und M5S (Fünf Sterne Bewegung) zu schließen, so überschlagen sich nun die Ereignisse. Im politischen System Italiens hat der Staatspräsident einen großen Einfluss und den hat Sergio Mattarella nun genutzt um die Regierungsbildung auf den letzten Metern zu verhindern. Paolo Savona werde er nicht zum Finanzminister ernennen, da dieser eurokritisch sei. Die Ablehnung eines vorgeschlagenen Ministers durch den Präsidenten und die darauf folgende kommentarlose Rücknahme des Vorschlags ist in Italien sicher nichts Ungewöhnliches. Das ist in den letzten Jahrzehnten immer wieder vorgekommen und taugte nie wirklich zur politischen Auseinandersetzung.

Regierung ohne demokratische Legitimation

Neu ist allerdings die Kompromisslosigkeit der Lega, deren Wunschkandidat für das Amt des Finanzministers Savona ist. Dass wohl der Präsident in diesem Konflikt das Nachsehen haben wird, liegt zuerst an seinem Vorschlag für eine Übergangsregierung. Diese soll von keinem geringeren, als dem ehemaligen Direktor beim Internationalen Währungsfonds, Carlo Cottarelli, geleitet werden, welche bis zum Neuwahltermin zwar mit verfassungsrechtlicher aber ohne demokratische Legitimation regieren wird. Auch das allerdings nur, wenn dieser mit seinem Übergangskabinett eine Parlamentsbestätigung erhält. Von welcher Mehrheit die kommen soll, ist aktuell völlig unklar.

Die Botschaft aus dem Präsidentenpalast ist indes eindeutig: Der Wähler hat falsch gewählt und soll nun in den kommenden Monaten mit EU-freundlichen Kräften wieder auf Linie gebracht werden. Dieser Vorgang ist selbst in Italien, das in den letzten 72 Jahren 65 Regierungen hatte, einmalig.

Bei genauerer Betrachtung erkennt man aber vielmehr noch ein gefährliches Spiel mit dem Feuer, welches der Staatspräsident hier treibt.

Zehn Jahre wirtschaftlicher Stillstand

Die Wähler von Lega und M5S stehen der Europäischen Union und dem Euro seit Jahren mehr als kritisch gegenüber. Die Argumente der Bewegungen zu diesen Themen sind inzwischen ganz offenkundig mehrheitsfähig. Die zu starke Währung und die nicht abreißen wollende Flut von Verordnungen aus Brüssel werden von Bozen bis Neapel als Belastung betrachtet, die man nicht mehr zu tragen bereit ist.

Darüber hinaus gelten die großen politischen Bewegungen PD und Forza Italia (Bewegung von Silvio Berlusconi) nicht nur als unfähig, die politischen Probleme zu lösen, sondern auch als so sehr miteinander verfilzt, dass der Unterschied kaum noch wahrnehmbar ist. Da das Land seit nunmehr zehn Jahren im wirtschaftlichen Stillstand verharrt, hat sich für eine ganze Generation eine feste Decke aus politischer und wirtschaftlicher Aussichtslosigkeit gebildet, unter der es gewaltig brodelt.

Die gescheiterten Riesenbabies

Die Generation der „Bamboccioni“ (sinngemäß: Riesenbabies), welche mit 35 noch im Elternhaus wohnt und weit davon entfernt ist, den gleichen wirtschaftlichen Fortschritt zu realisieren, der ihren Eltern gelang, wird sich im Zuge der Neuwahl für ein „Weiter so“ mehrheitlich nicht zurückgewinnen lassen. Ganz im Gegenteil ist davon auszugehen, dass der Druck unter der Decke noch einmal ansteigt.

Verschärfend kommt hier das weiter anschwellende Konkurrenzgefühl zwischen den europäischen Völkern hinzu. Nicht nur in Italien ist man es leid, sich der als deutschem Zwang empfundenen Wirtschaftspolitik zu unterwerfen. Ebenso wie man in Deutschland kaum noch bereit ist, das als Schlendrian empfundene Verhalten der südlichen EU-Staaten zu subventionieren.

Abstimmung über den Euro

Damit dürfte Mattarella nicht nur der Demokratie einen Bärendienst erwiesen haben, sondern auch der eigenen politischen Agenda. Die Wahlentscheidung der Italiener zielte auf ein ganzes Bündel von Problemen. Die überfällige Steuer- und Arbeitsrechtreform spielten ebenso eine Rolle wie die Frage nach der Zukunftsfähigkeit der Infrastruktur des Landes. Eine kompromissbereite  Entwicklung politischer Alternativen zum bisherigen Stillstand wäre mit der geplanten Regierung trotz aller Unkenrufe möglich gewesen.

Die Verkürzung seiner Entscheidung auf die Währungsfrage dürfte die nächste Wahl zur Abstimmung über den Euro mutieren lassen. Damit spitzt sich die Lage in Italien zu einem offenen Konflikt zwischen der Wählermehrheit und den Brüssel-treuen Kräften zu.

Als einziges demokratisches Lösungsmittel steht den Italienern die Teilnahme an den Wahlen zur Verfügung. Doch wie lange wird man sich über deren Ergebnisse hinwegsetzen können? Die nächsten Monate werden zeigen, ob Draghis „whatever it takes“ auch den politischen Flächenbrand in seiner Heimat bedeuten soll.

(Bild: Sergio Mattarella, Presidency of the Italian Republic)

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