Gesichtet

Kommt jetzt der Kurdenstaat?

Mit 25 bis 30 Millionen Volksangehörigen sind die Kurden das größte Volk ohne eigenen Staat. Viele von ihnen wohnen in Europa oder Amerika im Exil.

Allein in Deutschland soll es bereits mehr als eine Million Kurden geben. Die meisten von ihnen leben aber immer noch in den angestammten Gebieten dieser Volksgruppe, das sich unglücklicherweise im Grenzgebiet von vier nichtkurdischen Staaten befindet. Es erstreckt sich vom Südosten der Türkei über den Norden Syriens, den Nordosten des Irak bis in den Nordwesten des Irans und damit quer durch eine der gefährlichsten Konfliktzonen der Gegenwart.

Den Kurden in der Türkei hat vor allem die PKK geschadet

In den verschiedenen Staaten sind auch die Lebensbedingungen der Kurden unterschiedlich: Mit mehr als zehn Millionen lebt ein Großteil von ihnen im Südosten der Türkei und stellt dort 18 Prozent der Gesamtbevölkerung. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts lebten Türken und Kurden weitestgehend friedlich zusammen, was auch am Autonomie gewährenden Fürstensystem lag.

Im 19. Jahrhundert begannen die von dem Wunsch nach Unabhängigkeit getragenen kurdischen Aufstände und setzten sich im 20. Jahrhundert insbesondere nach der Machtübernahme von Atatürk fort. Die Kurden empfanden die fortschrittlichen Reformen des Laizismus und der Säkularisierung nämlich als genauso inakzeptabel wie den Wunsch nach einer Homogenisierung der Türkei. Ihre Aufstände wurden blutig niedergeschlagen und die Türken reagierten mit Umsiedlungen, Umbenennung von Ortschaften und sogar mit der Einführung türkischer Nachnamen, um die kurdische Identität im Keim zu ersticken.

1978 wurde schließlich die PKK gegründet, die größte, illegale und terroristische Kurdenpartei, die für die Bestrebungen des internationalen Kurdentums das wohl verheerendste Unglück bedeuten sollte. Lehnten die Kurden einst noch die fortschrittlichen Reformen Atatürks auch aufgrund ihrer eigenen archaischen religiösen und sozialen Strukturen ab, machten sie nun eine 180-Gradwendung hin zum personenkultbehafteten Marxismus. Die vielen legalen Kurdenparteien und Interessenvertretungen haben es bis heute nicht geschafft, aus dem Schatten der Terrororganisation zu treten, die insbesondere den türkischen Kurden vor allem Leid und Misserfolg bescherte.

Den Kurden ging es unter Assad recht gut

In Syrien hingegen hatten sich die Kurden mit dem Regime der Baath-Partei über die Jahrzehnte hinweg arrangiert. Sie wurden weitestgehend in Ruhe gelassen und nur 1986 und 2004 kam es zu kleineren Zusammenstößen. Dementsprechend beteiligten sich die Kurden auch lange Zeit nicht an der gegen Assad gerichteten Revolution ab dem Jahr 2011. Assad wiederum versuchte die Kurden durch rege genutzte Einbürgerungsangebote für Staatenlose und ein Recht auf Arbeit auch für staatenlose Kurden milde zu stimmen.

Erst als im Laufe des Konflikts das Chaos zunahm und die Bedrohung durch den IS zunahm, organisierten die Kurden ihre Selbstverteidigung und -verwaltung und waren dabei erstaunlich erfolgreich. Die direkte Nachbarschaft der syrischen Kurdengebiete zur Türkei wirkt sich jedoch immer wieder negativ aus, da die PKK mit ihrem militanten Flügel versucht, die syrischen Kurden für ihre Zwecke zu vereinnahmen und den recht erfolgreichen syrischen Kurden ihre gescheiterte Strategie aufzudrücken.

Die irakischen Kurden sind am erfolgreichsten

Wie es heute um die türkischen Kurden bestellt sein könnte, wenn nicht die linksterroristische PKK ihr Anliegen okkupiert hätte, lässt sich schön am Beispiel des Irak erkennen. Dort wird die kurdische Sache nicht von Kommunisten, sondern von Nationalkonservativen vertreten.

Diese forderten nie einen geeinten Kurdenstaat, sondern lediglich die Autonomie, für die sie bis 1990 nahezu ein Jahrhundert ununterbrochen militärisch kämpfen mussten. Deportationen und Giftgas-Attacken auf die Zivilbevölkerung durch den irakischen Schlächter Saddam Hussein gehören zu den Leiden, die sie auf diesem Weg ertragen mussten.

Die beiden Bushs waren für die irakischen Kurden ein Segen

1991 verhalfen die Amerikaner im Golfkrieg den Kurden schließlich zur langersehnten Autonomie, die diese allerdings nicht besser zu nutzen wussten, als einen kurdeninternen Bürgerkrieg zwischen der nationalkonservativen Demokratischen Partei Kurdistans und der sozialdemokratischen aber nicht kommunistischen Patriotischen Union Kurdistans anzuzetteln.

Kraftvolle und geeinte Autonomie entstand schließlich erst mit dem Irakkrieg unter George W. Bush. 2007 sollten allerdings auch die irakischen Kurden für die Torheit bezahlen müssen, ihr Land den PKK-Terroristen als Rückzugsgebiet zur Verfügung zu stellen. Türkische Truppen marschierten bis zu 200 Kilometer weit in den Irak ein.

Im Irak kommt jetzt wohl tatsächlich der Kurdenstaat

Ein Glück im Unglück war für die nordirakischen Kurden schließlich das Aufkommen des Islamischen Staates (IS), waren sie mit ihren berühmten Peschmerga-Streitkräften nun auf einmal mit der wichtigste Partner der Anti-IS-Koalition in der Region. Der Konflikt wurde genutzt, um auch die eigene Autonomiezone im Irak auf weitere Gebiete zu vergrößern.

Nun, da die irakische Regierung immer noch am Boden liegt, während die irakischen Kurden vor Kraft kaum laufen können, hat die Führung der von der im Land allerdings umstrittenen Demokratischen Partei Kurdistans gestellten Autonomieregierung eine Volksabstimmung über die Loslösung vom Zentralstaat Irak angeregt. Die Volksabstimmung, die am 25. September 2017 stattfinden soll, könnte tatsächlich zur Entstehung eines unabhängigen Kurdenstaates führen. Ihm würden über 100.000 Peschmerga-Soldaten zur Verteidigung zur Seite stehen.

Spannungen auch im Iran

Doch nicht nur von der Türkei könnte Ungemach drohen. Auch der Iran hat in den letzten Jahren kein sonderlich gutes Verhältnis zum Kurdentum mehr. Im Ersten Golfkrieg unterstütze das Land, in dessen Nordwesten immerhin fünf Millionen Kurden leben, noch die Autonomiebestrebungen der irakischen Kurden, um den verhassten Nachbarn zu schwächen.

Doch auch im eigenen Land kam es im 20. Jahrhundert immer wieder zu Streitigkeiten mit den Kurden, die Autonomie forderten. Diese unterstützten etwa auch die islamische Revolution des Ayatollah Khomeini, der ihnen vollmundig Autonomie versprach, um ihre Dörfer anschließend zu bombardieren. Heute kämpfen die iranischen Kurden nicht mehr an der Waffe, wollen aber mit der iranischen Regierung über Autonomie für ihre Gebiete verhandeln.

Alle sind gegen das Referendum

Ein irakischer Kurdenstaat dürfte ihre Verhandlungsposition nicht gerade stärken und eher zu mehr Repressionen für Kurden in der Türkei, in Syrien und eben im Iran führen. Schon jetzt sprechen sich nicht nur die Zentralregierung im Irak, sondern auch die USA, die Türkei und der Iran einhellig gegen das Referendum aus, das die ganze Region destabilisieren könnte.

Bedenkt man, dass die irakischen Kurden mit ihren zurückhaltenden Forderungen eine so weitreichende Autonomie erreicht haben, dass bis heute kein irakischer Soldat das Autonomiegebiet ohne Zustimmung der kurdischen Autonomieregierung betreten darf, erscheint der Strategiewechsel nun fragwürdig. Die Kurden setzen all das aufs Spiel, was sie sich erarbeitet haben, um ihren Traum zu verwirklichen: Das Entstehen eines echten Kurdenstaates.

(Bild: Kurdishstruggle, flickr, CC BY 2.0)

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