Anstoß

Krieg, Kredite, Katastrophe

Wenn man vom Völkerball kommend unsanft und taumelnd auf einmal in einer anderen Welt erwacht, dann sollte man weder um Verständnis und Mitleid betteln, noch ein Sonderlob erwarten. Dann ist Selbstkritik, der Rücktritt und eine mehrmonatige Reha mit Führungstraining und Rückgratstärkung fällig.

Denn dummerweise war die andere Welt schon vorher und schon immer da: Die Welt der harten Tatsachen, der Geopolitik, der Nationen und ihrer Interessen. Also all das, was weder durch ideologische Beschwörungen noch durch amtliches Wunschdenken beeinflußbar ist. Erst recht hilft es nichts, die vielfältige Widersprüchlichkeit des Wirklichen mit seinen zahllosen Grau-Abstufungen aufzulösen in das platte Schwarz-Weiß-Bild der Politpropaganda: Hier wir die Guten, die immer alles richtig gemacht haben, dort der teuflische Feind.

Als Enkel von Nazigegnern, als Kind von Eltern, die nun einmal nicht Adolf Hitler, sondern Josef Stalin mit seinem Fußvolk aus ihrer angestammten Heimat vertrieben hat, wird niemand von mir erwarten, daß ich Rußland blind verherrliche. Ich weiß genau, daß dieses Land ebenso wie all die Chauvinisten in Polen, Tschechien oder Slowenien es noch vor sich hat, sich so der eigenen Geschichte zu stellen, wie die allermeisten Deutschen es getan haben.

Für die Annexionen deutscher Gebiete, für die Vertreibungen, Morde und Vergewaltigungen gilt keine ewige Erbschuld, aber eine bleibende Verantwortung zu Einsicht und Gedächtnis. Hinzu kommt: Gerade Rußland muß die Massenmorde am eigenen Volk unter Lenin, Trotzki und Stalin geistig aufarbeiten, die Denkmäler der Schlächter schleifen, Städte wie „Kaliningrad“ endlich umbenennen. Daher ist das Vorgehen gegen MEMORIAL und die gerichtlich verfügte Auflösung dieser Organisation fatal und auch mit einer eventuellen Annahme von Soros-Geldern nicht zu rechtfertigen.

Alle Kriege sind furchtbar – zerstörend und verstörend. Auch ein von außen aufgezwungener Verteidigungs- oder Befreiungskrieg ist allenfalls ein unumgängliches Übel, aber jenseits eines kurzen Rausches keineswegs ein Hauptgewinn. Auch der Einmarsch in die Ukraine ist kein Anlaß zu jubeln. Aber er erinnert uns mit allem Nachdruck daran, daß es einmal eine Friedens- und Unabhängigkeitspartei in Deutschland gab: die frühen GRÜNEN der achtziger Jahre.

Ehe die Stahlhelm-Fraktion des Joseph Fischer, sekundiert von den „Realo“-Spießbürgern und amerikahörigen Russenfressern, am Ende der achtziger Jahre die Partei in die Hand bekam, dominierten der Pazifismus einer Petra Kelly und der Neutralismus, für den August Haußleiter schon in den fünfziger Jahren gegen einen nach Atomwaffen gierenden Franz Josef Strauß gekämpft hatte.

Die weiterhin unbedingt richtigen Forderungen „heraus aus der NATO“, „keine Atomwaffen auf deutschem Boden“, „keine fremden Soldaten hier, keine deutschen Soldaten im Ausland“ waren damals grüne Programmatik. Das würde heute bedeuten: Durch Nordstream 1 und 2 kommt russisches Gas, wir beziehen ukrainischen Weizen, liefern weder hierhin noch dorthin Waffen, sanktionieren niemanden, versuchen zu vermitteln. Das wäre im deutschen Interesse und würde helfen, einen Kompromiß zu finden.

Keinen Frieden und kein Vertreten deutscher Interessen will jene obskure Große Koalition der Mitte und der Mittelmäßigen, die sich heute im Reichstag zusammengerottet hat – von den Neostalinisten bis zu den brutalst möglichen Rüstungs- und Finanzlobbyisten der CDU/CSU. Für die durchaus rußlandkritische AfD haben diese Leute, die Wort und Wesen der Demokratie in den Dreck treten, nur Haß und Hetze, erst recht für Rußland, das sie als Kettenhund der Amerikaner – geschützt unter dem Atomschirm des Großen Bruders – wild ankläffen.

Trotz 45 Jahren Besatzungsregime in der SBZ/DDR, trotz ihrer Niederschlagung des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 – die UdSSR hat der Wiedervereinigung Restdeutschlands 1990 zugestimmt, als Thatcher, Mitterand und Polen sie noch verhindern wollten. Die russischen Soldaten sind abgezogen, die amerikanischen geblieben …

Die große Chance, daß ein deutschstämmiger und jedenfalls nicht deutschlandfeindlicher US-Präsident zumindest einen Teilabzug wollte, wurde von dumpfbackigen Linksliberalen und antinationalen Masochisten aktiv bekämpft. Was den Ukraine-Konflikt betrifft: Wer will denn ernsthaft Alice Weidel von der AfD widersprechen, wenn sie sagt, es seien „unzählige Gelegenheiten“ versäumt worden, einen „Status gesicherter Neutralität für die Ukraine auszuhandeln“? Als das „historische Versagen des Westens“ sieht sie zu Recht die „Kränkung Russlands“, die seit den Tagen des von Dummdeutschen bejubelten kolorierten Messias Obama betrieben wurde.

Ein Sozialdemokrat müßte sich in Grund und Boden schämen, wenn er erlebt, wie die SPD-Oberbonzen einen Gerhard Schröder heruntermachen, der über sein privates Interesse hinaus viel für die deutsch-russische Kooperation getan hat. Oder wenn ein Kulturbarbar wie der Münchner SPD-Stadtchef Reiter dem großartigen Musiker Waleri Gergijew die Entlassung androht, falls er nicht Putin geißelt. „Von Hitler und Honecker lernen, heißt siegen lernen“, ist die Parole dieser Leute.

Als dissidentischer Grüner kann man sich nur schämen für grüne Minister, die Aufrüstung fordern und nach amerikanischem Flüssiggas schreien, das mit dem umweltzerstörenden Fracking gefördert wird. Die Rüstungsmilliarden auf Pump, dito die Corona-Milliarden, die All-Inclusive-Versorgung der Wirtschaftsflüchtlinge und allzu vieler Arbeitsallergiker, die uferlos steigenden Preise für Energie … diese Regierung treibt unser ohnehin kinder- und innovationsarmes und zu wenig Fachkräfte ausbildendes Land in Krise und Ruin. Man kann nur hoffen, daß die Altparteien möglichst bald unter die 5%-Klausel rutschen und Platz machen für eine wirkliche Alternative.

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