Rezension

„Was, wenn die Sintflut vor meinem eigenen Tod käme?“

Nur 1,92 Millionen Deutsche schauten gestern im Ersten den Film „Unterwerfung“ nach dem gleichnamigen Roman von Michel Houellebecq, der die Islamisierung Frankreichs in dystopischer Weise antizipiert.

Verwunderlich: Das betreute Denken nach dem Film, die Quasselsendung „Maischberger“, erreichte mehr Leute (2,41 Millionen). Zeitgleich kam der Abenteuerfilm „Jurassic World“ (ZDF) auf fast fünf Millionen Zuschauer. Wie ausgeprägt das politische Problembewußtsein der Deutschen ist, dürfte damit bereits beantwortet sein. Genau das ist auch ein entscheidender Ausgangspunkt sowohl des Romans als auch des Films, in dem es über den Protagonisten, den langweiligen und einsamen Literaturprofessor  François, heißt, dieser sei so „politisiert wie ein Handtuch“.

Ausländergewalt und Linksextremismus in Deutschland angeschnitten

Diese Apathie ist es, die den linksliberalen Mainstream schließlich dazu verleitet, die islamische Unterwerfung Frankreichs achselzuckend in Kauf zu nehmen, nur um zu verhindern, daß der rechte Front National das Präsidentenamt erobert. Bei der Schilderung, wie es dazu kommt, orientiert sich der Film penibel am Buch und fügt lediglich eine deutsche Umrandung hinzu, die allerdings erstaunlich politisch inkorrekt geraten ist, da in ihr Probleme wie Ausländergewalt und Linksextremismus angeschnitten werden. Im deutschen, mit Zwangsgebühren finanzierten öffentlich-rechtlichen Staatsfernsehen ist so etwas fast schon eine Sensation, obwohl es natürlich nur der Realität entspricht.

Aber zurück zum Film: Mit Edgar Selge, Matthias Brandt und Alina Levshin wurden einige der besten Schauspieler, die Deutschland aktuell zu bieten hat, gewonnen. Zudem wurde Houellebecqs Sound sehr gut eingefangen – gerade in jenen Szenen, wo aus seinen thesenromanartigen Abschnitten lange Monologe über Gott und die Welt entstanden. Das alles ist stimmig und erhielt die nötige Prise Selbstreferentialität, indem Edgar Selge sich selbst in einem Theaterstück in Hamburg während linksextremer Ausschreitungen (G 20) spielt, währenddessen Ausländer ihn vor der Aufführung auch noch bestehlen, um das bundesdeutsche Panorama abzurunden.

Audiovisuelle Möglichkeiten nicht ausgeschöpft

Dennoch fehlt dem Film etwas. Mit der Zeit wird er langatmig, weil er seine audiovisuellen Möglichkeiten nicht einmal ansatzweise ausschöpft, sondern sich darauf beschränkt, das Buch solide nachzuerzählen, was zweifellos in seltener Objektivität gelingt. Was bleibt somit von diesem Fernsehabend? Der Film ist kein Kunstwerk, sondern eine gute Handwerksarbeit, die unserer Gesellschaft und Westeuropa den Spiegel vorhält.

Die Schlaffheit des Universitätsbetriebs und demgegenüber die brutale, kompromißlose Vitalität des Islam ziehen sich wie ein roter Faden durch den Film, so wie von Houellebecq selbst zu Papier gebracht. Der französische „Skandalautor“ glaubt nicht an eine Renaissance des Christentums, das saft- und kraftlos, ja „weiblich“ (Nietzsche) geworden sei. Es bleibe deshalb nur die Unterwerfung unter eine spirituelle Kraft, so Houellebecq, der in Interviews immer wieder damit kokettiert, daß er das tatsächlich ernst meint.

Wer ihm dies abnimmt, fällt jedoch auf seinen Humor rein. Houellebecq ist ein Meister darin, über die schmutzige Oberfläche des Sexuellen tiefgreifende Sachverhalte zu schildern. Dies kommt auch im Film zum Ausdruck, der hin und wieder ins Vulgäre abdriftet. Allerdings hat das gute Gründe: Die Sehnsucht des in der Bildungsoberschicht der anonymen Massengesellschaft gefangenen Protagonisten François nach der Rückkehr des Patriarchats trifft einen wunden Punkt der westlichen Zivilisation. Sie ist mit ihrer Emanzipation und ihrem bindungslosen Freiheitsbegriff unfähig zur Selbsterhaltung geworden, für die es funktionierende soziale Gebilde wie die Familie braucht. Daran führt kein Weg vorbei und deshalb ist das zur Unterdrückung neigende Patriarchat eben tatsächlich viel eher gesellschaftlich praktikabel als die Atomisierung.

Der drohende Bürgerkrieg

Vielleicht ist es dem Film gelungen, einige Gutmenschen von der Tragödie ihres Lebensstils zu überzeugen. Indes ist anzunehmen, daß Argumente, die das langfristige Überleben des eigenen Volkes zur Sprache bringen, wenig Überzeugungskraft besitzen. Vermutlich beginnt ein Umdenken erst dann, wenn wir vor der Frage stehen: „Was, wenn die Sintflut vor meinem eigenen Tod käme?“  Diese innere Auseinandersetzung um ein baldiges Unheil, das jeden Einzelnen erfassen wird, hat Michel Houellebecq in unnachahmlicher Weise zugespitzt.

Die Masse wacht dennoch nicht aus ihrer Betäubung auf. Dies wäre auch illusorisch. Durch ihre Gleichgültigkeit stimmt sie der Politik des Verschleppens und Vertagens von Problemen sogar noch zu, die im schlimmsten Fall zum Bürgerkrieg führen könnten. Trotzdem muß Houellebecq mit seinem Roman irgendeinen Nerv getroffen haben und durch die real existierende Asylkrise samt immer neuer Vergewaltigungen und Morde wird der Schmerz der wenigen Sensiblen immer unerträglicher. Wo führt das hin? Bücher und Filme wie „Unterwerfung“ oder „Die kommenden Tage“ (2010) nehmen es vorweg.

2015 haben wir eine Druckausgabe über Michel Houellebecq herausgebracht. Die letzten Exemplare davon gibt es hier.

(Bild: Michel Houellebecq, Fronteiras do Pensamento, flickr, CC BY-SA 2.0)

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