Gesichtet

Wie kann man heute noch links sein wollen?

Typisch „Spiegel“ kommt einem zuerst in den Sinn, da sich deren Märchen-Autoren im Zweifelsfall schön links einordnen wollen oder sollen. Da wurden zu Beginn des Jahres 2018 von einem adligen Journalisten aus durchaus gutem Hause fünf Dissidenten und Bürgerrechtler skizzenhaft porträtiert und im Untertitel schon voll abgestempelt: „In der DDR stritten sie als Bürgerrechtler für Demokratie – jetzt triften Freiheitskämpfer von einst nach rechts ab. Warum?“

Vor dem Untertitel wurde in rot noch eine Ortsangabe gesetzt: „Ostdeutschland“. Keiner der Beschriebenen stammt aus den ehemaligen Ostgebieten, sondern alle wuchsen im Sendebereich des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) auf. Schon mit solch einer Manipulation oder Geistlosigkeit beginnt es. Doch es kommt ja leider noch schlimmer. Wenn es in einer Demokratie, die sich ja gern mit Sir Popper als „offene Gesellschaft“ versteht, nur gestattet ist, links zu sein, dann kann das nur eine Diktatur sein, im harmlosesten Fall eine Demokratur.

Die moralische Unterweisung des Volkes

Im Alten Testament hieß es noch: „Der Verstand des Gebildeten wählt den rechten Weg, der Verstand des Ungebildeten den linken …“ (Kohelet 10,2) Der „Fortschritt“ brachte es jedoch mit sich, dass es heute genau andersherum gültig sein soll. In kritischen Leserbriefen gegen den Kurs der BILD-Zeitung hieß es im Februar 2018: „Es gibt nicht mehr links und rechts, es gibt nur noch ein oben und unten, wobei die ‚oben‘ die Systemlinge, die Abhängigen sind. Hochgelobt, weil sie ganz brav und artig Tag für Tag die Agenda durchboxen, hoch gekommen durch Beziehungen, aber auch gut bezahlt und in der Scheinwelt glitzernd. Wie nennt man Leute, die für Geld alles machen?“

Dazu passt auch eine weitere Zuschrift: „Die BILD geht den Leidensweg der SPD, man verlässt die Welt des kleinen Mannes und versucht sich stattdessen in moralischer Unterweisung des Volkes. Das kann nicht funktionieren und endet in der Bedeutungslosigkeit!“

Ja, „oben“ und „unten“ ist ebenso ein vor allem politisch auslegbares Gegensatzpaar, das in jeder Zeit und Ordnung mehr oder weniger präsent ist, doch es ist politisch nicht mehr so dominant wie der modernere Spannungsbogen zwischen rechts und links. Doch was verstehen wir heute eigentlich unter „links“ und „rechts“? Diese politische Einteilung entstand bekanntlich Anfang des 19. Jahrhunderts in Frankreich mit der Sitzordnung der Nationalversammlung.

In der damaligen Deputiertenkammer saßen links die „Bewegungsparteien“, deren Ziel es war, die politisch-sozialen Verhältnisse zu verändern, rechts die „Ordnungsparteien“, die mehr auf die Bewahrung der politisch-sozialen Verhältnisse hinwirkten. Auch in vielen anderen Parlamenten setzte sich diese Sitzordnung durch. Das ist bis heute so, und auch bei der Sitzverteilung der Parteien im Bundestag sitzt die SED-Linkspartei, deren politische Ausrichtung sogar auf ihrem Namensschild steht, links vom Bundestagspräsidium und auf der rechten Seite sitzen gegenwärtig die Abgeordneten der AfD.

Der uns alle beherrschende Dualismus

Möge die Einteilung der Parteien in das Links-Rechts-Schema heutzutage für viele immer unübersichtlicher und damit entbehrlich geworden sein, so wird man trotzdem auch in Zukunft nicht ohne diese Klischeebegriffe auskommen, denn nirgendwo lässt sich die auf Erden und im materiellen Universum herrschende Polarität, also der uns alle beherrschende Dualismus aufheben. Ohne Gegensätze ließe sich auch gar nichts erkennen. Dabei muss man sich vordergründig selber nicht zum Dualisten abstempeln lassen, nur weil man als zur Transzendenz neigender Zeitgenosse im Sinne Christian Wolffs „die Existenz materieller und immaterieller Substanzen“ anerkennt oder sich an Luthers Zwei-Reiche-Lehre orientiert.

Bei allem Respekt vor dem antiken Philosophen Plotin, der in seiner monistischen Philosophie alles, was geistig oder physisch existiert, auf das Eine zurückzuführen suchte. Falls sich das auf Gott bezieht – stimme ich zu, falls damit aber die Gegensätze in der Welt und in der Natur gemeint sein sollen, dann nicht.

Was wäre denn die Literatur, von den Liebes- oder Kriminalromanen mal ganz abgesehen, ohne solch ein dualistisches Figurenpaar der Dichtung wie Faust und Mephisto? Deutlicher wird vieles, wenn Parteien und Menschen besonders radikale Ansichten vertreten oder antagonistische Gegensätze verkörpern. Normalerweise verträgt eine stabile Demokratie auch radikale, also bis zur Wurzel reichende Ansichten, Forderungen oder Bestrebungen.

Doch in jeder Gesellschaftsordnung gibt es auch durch Gesetze vorgegebene „rote Linien“. Wer sie überschreitet, sei er ein besonders aktiver „Freund des Fortschritts“ oder ein sogenannter „Reaktionär“, wird zumeist und zurecht als „Extremist“ bezeichnet. Diese wollen entweder als frustrierte oder sonstwie abgehängte Links- oder Rechtsextremisten das bestehende Staats- und Gesellschaftssystem verändern, nicht selten auch mittels Putsch oder Revolution, also durch Gewaltanwendung. Das rechtfertigt den Verfassungsschutz, aber nur, wenn er nicht auf einem Auge blind ist.

Recht auf Widerstand

Luthers Anerkennung der weltlichen Obrigkeit und seine Forderung, sich ihr in irdisch-politischen Fragen unterzuordnen, bereitete den Boden für das oft zu enge Bündnis von Thron und Altar im deutschen Protestantismus. Erst die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts führte bei dem Theologen Dietrich Bonhoeffer zu einer kritischen Interpretation von Luthers Lehre, denn er postulierte im Nazi-Regime, wenn der Staat in seiner Recht und Ordnung schaffenden Funktion versagt, ein Recht auf Widerstand. Das ist dann auch in den Artikel 20 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland eingeflochten worden.

Ich nehme wie der ehemalige sächsische Justizminister und Bundespräsidentschaftskandidat Steffen Heitmann an, dass sich hinter den Begriffen rechts und links unterschiedliche Wirklichkeitsverständnisse verbergen, unterschiedliche geistige Ansätze, die dann jeweils auch unterschiedliche politische Akzente nach sich ziehen. Wollte man nun genau die eigentlichen Unterschiede zwischen den politisch linken oder rechten Überzeugungen analysieren, dann käme am Ende ein dickes Buch heraus.

Deshalb können hier nur skizzenhaft die Unterschiede angedeutet werden: Rechts eingestellte Menschen und Parteien haben ein konservatives Menschenbild, das sich aus der Tradition bis hin zur biblischen Geschichte speist, also auch vom Sündenfall des ersten Menschenpaares weiß. Für sie steht, um es aktuell auszudrücken, das Wohl der eigenen Familie und Nation samt ihrer Staatsbürger im Vordergrund, während bei links eingestellten Menschen und Parteien weltweit die soziale Gerechtigkeit und die Gleichheit aller Menschen im Vordergrund stehen. In der Theorie.

Doch wie sieht die Wirklichkeit aus? Davon kann der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß folgendes Lied singen: Er war mit einer Bundestagsabgeordneten der Linken mal auf Auslandsreise. Er bekam mit, dass sich diese Dame beim Rückflug auf First Class umbuchen ließ. „Ich war überrascht und fragte, ob die Linken nicht eher Holzklasse fliegen müssen.“ Die Linke erklärte ihm daraufhin, dass er da etwas falsch verstanden habe: „Im Sozialismus fliegen alle First Class.“ Tja, so fliegen die Vertreter der Armen, Ausgebeuteten und Benachteiligten schon mal ihrer Zeit etwas voraus.

Denn die Avantgarde muss schon etwas früher im Sozialismus ankommen, um dann die Masse der Entrechteten dort gebührend empfangen zu können. Das kennen wir schon aus dem Verhalten der einst regierenden Bonzen in den sogenannten sozialistischen Ländern, die ebenfalls Wasser predigten und heimlich guten Wein vom Klassenfeind soffen, um wieder in Anlehnung an ein Bibelzitat deutlich zu machen, dass die Technik sich zwar wahnsinnig schnell fortentwickelt, aber der Charakter, das Wesen des Menschen bleibt unverändert: der alte Adam.

Siegmar Faust hat uns diesen Beitrag freundlicherweise angeboten. In einer noch deutlich längeren, ähnlichen Fassung ist er erschienen auf TheEuropean.

(Bild: Pixabay)

3 Kommentare zu “Wie kann man heute noch links sein wollen?

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