Rezension

Christian Kracht: Die Toten

Benjamin Jahn Zschocke hat für uns Christian Krachts neuen Roman „Die Toten“ gelesen. Was ist übrig von der Kunst des Pop-Literaten der späten Neunziger?

So hat nun unser Lieblingschristiankracht eine Schreibblockade und muß sich trotzdem sein nobles Leben in den USA finanzieren. Folglich beläßt er es nicht beim Ruhm seiner Roman-Trilogie aus Faserland – 1979 – Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten. Folglich ergibt er sich dem vertraglich-finanziellen Druck seines Verlages Kiepenheuer &Witsch, doch zumindest im Vierjahresrhythmus irgendetwas zu veröffentlichen. Und folglich tut das seinem bisherigen Werk alles andere als gut.

Staatstragende Phrasenmaschine

Ganz vorsichtig sollte man bei Autoren sein, bei etablierten insbesondere, die sich a) „rar machen“ und „publikumsscheu“ sind und dann doch beim Staatsfernsehen ein „exklusives“ Interview in konspirativer Optik (siehe unten) geben, und die b) in einem solchen Interview dann auch noch von sich behaupten, nichts anderes zu können als zu schreiben (und folglich bis an ihr Lebensende auch nichts anderes mehr tun wollen). Kracht gehört seit Imperium und spätestens seit seinem brandaktuellen Roman Die Toten zu dieser zweifelhaften Gattung. Und das kam so:

Der Roman Die Toten soll, glaubt man dem staatstragenden Medienbetrieb, einer der ganz großen Meisterwerke Krachts sein. Es wird da von staatsjournalistischer Seite zwei– bis dreimal gegoogelt, das Gefundene fast wortgetreu abgepinselt und dreimal pro Dreizeilenabsatz nach dem Randomverfahren wahlweise die Begriffe „Meisterwerk“ oder „Opus Magnum“ per Copy and Paste eingefügt und fertig sind die Vorabrezensionen, für den natürlich exakt knapp vor der Buchmesse erscheinenden Bestseller. Zufall natürlich. Und so ist es auch diesmal kein Wunder, daß man von der FAZ bis Welt, von Süddeutsche über 3sat bis zum Deutschlandfunk wieder nur Lobeshymnen oder gar Heiligsprechungen liest und hört.

Doch es ist ein alter Hut, daß man Büchern nicht über den Weg trauen soll, die schon zur Buchmesse in der dritten Auflage erscheinen, weil die ersten beiden bereits vergriffen oder vorbestellt sind, und damit schon ein Bestseller, ehe der Autor den ersten Satz überhaupt geschrieben hat. Man kann mit einigem mathematischen Grundverständnis sogar soweit polemisieren, daß a) der Grad an Belanglosigkeit eines Buches direkt proportional ist zu den das Buch begleitenden Lobhudeleien des Feuilletons und b) die Halbwertszeit eines solchen Buches umgekehrt proportional ist zur Frühzeitigkeit der inszenierten „Diskurse“ im Feuilleton, vor dessen eigentlichem Veröffentlichungstermin.

Im Klartext also: Je früher das Feuilleton ein Buch euphorisch und einmütig in den Himmel hebt (der obligatorische Georg Diez gehört zur Dramaturgie der Ausnahme von der Regel), desto belangloser ist es und desto schneller vergessen – obwohl – und das ist das eigentlich Perverse an dieser Systematik, es im rein kommerziellen Sinne natürlich ein Best-, wenn nicht gar Megaseller wird.

Wenig Futter für einen Roman

So. Doch darf man natürlich bei einem Autor wie Christian Kracht Belanglosigkeit nicht mit fehlendem Können verwechseln. Selbstverständlich ist Kracht ein Stilist höchsten Ranges. Die Toten ist demnach natürlich kein schlechtes oder gar peinliches Buch; nur hätte sein Plot bestenfalls zwei gute Erzählungen ergeben dürfen (Benn: Oh Künstler, produziere außerordentliches oder schweige!).

Da ist einerseits der Schweizer Regisseur Emil Nägeli, der mit Die Windmühle einmal einen Welterfolg verzeichnete. Seine Verlobte (in Wirklichkeit eine versnobte Schlampe) Ida von Üxküll lebt aus irgendeinem Grund in Japan. Sie ist dann auch das zu erwartende Bindeglied zum zweiten Handlungsstrang, nämlich zu Masahiko Amakasus Leben und Wirken, der ebenfalls ein genialer Regisseur sein soll und natürlich auch, unter vielen anderen, Nägelis verlobte Ida häufig und fröhlich nägelt.

Aus Amakasus Kindheit wird auch was berichtet, einmal ejakuliert er darin an einen Baum. Mit Nägeli verbindet ihn, neben der Lochschwagerschaft noch sein künstlerischer Anspruch als Regisseur oder auch Filmemacher, so richtig unterschieden wird das bei Kracht nicht. Ansonsten knaubeln etliche Protagonisten viel und langwierig beschrieben an den Fingern. Diese Vorgänge sind von Kracht mehr lässig als gekonnt vor den Hintergrund der frühen 30er-Jahre drapiert.

Verschwunden im inhaltsleeren Nirwana

Was früher Krachts Stärke und Können bewies, nämlich seine luftigen Kompositionen, in denen er verschiedenste Erzählstränge, hochgradig eingedampft aneinander montierte, wird im aktuellen Roman, einmal ganz sachlich festgestellt, zu einer der vielen Sollbruchstellen. Seine Kompositiondie totenist hier so luftig und durchlässig, daß praktisch alles und nichts dazwischenpaßt. Außerdem endet vieles unerklärt im Nichts. Wie auf der Facebook-Startseite werden Themen und Leben angerissen und verlieren sich dann nach zwei kurzen weiteren Erwähnungen im Nirwana des ewigen Scrollens.

Da sind beispielsweise die im Roman auftretenden Realpersonen Siegfried Kracauer, Lotte Eisner, Heinz Rühmann und der Hitlerfreund Putzi Hanfstaengl, deren Leben kurz gestreift wird und deren dünne Erzählstränge sich dann wie beschrieben verlieren. Zwar begründet Christian Kracht diese Art der Komposition damit, daß er sich bei der Romankonzeption (drei Teile) an der Form des Japanischen N?-Theaters orientiert habe, doch wirklich überzeugen kann das Ergebnis auch mit dieser Zurechtrückung nicht.

NS-Taste drücken, dick mitverdienen

Zurück zur Polemik: Am allerallerbeschissendsten und beim Lobesgesang des Staatsfeuilletons natürlich auch nicht weiter verwunderlich, ist der Plot Nägelis, der natürlich im Dritten Reich spielen muß (und wahrscheinlich auch nur deshalb im Roman angelegt ist). Der Leser fragt sich, falls er noch zum Denken fähig ist, ob dieser gottverdammte, staatstragende Medienbetrieb denn kein anderes beschissenes Thema mehr kennt als dieses gottverdammt, staatstragend-beschissene Dritte Reich. Die wirklichen Ereignisse im Nägeli-Handlungsstrang sind dann so dünn, daß sich tatsächlich der Verdacht aufdrängt (wie auch kürzlich bei Helmut Kraussers neuem Roman), daß hier schlicht die NS-Taste gedrückt wurde und zack: Bestseller!

Kracht führt dann den unbedeutenden Nägeli-Europa-Erzählstrang mit dem etwas besseren Amakasu-Asien-Erzählstrang über die Schlampe Ida von Üxküll und einen Filmauftrag der UFA zusammen und dann geht es wie bei Facebook weiter: Scrollen und Vergessen. Amakasu wird vom ebenfalls auftretenden Charlie Chaplin auf der Flucht ins Exil ins Meer gestürzt, zack, tot. Die Schlampe Ida, die auch flüchtet, bringt es im amerikanischen Exil wider Erwarten nicht zu Ruhm und begeht Selbstmord, zack, tot. Der peinliche Nägeli, der Ida zu Beziehungszeiten mit einem feschen Zweithaarscheitel bezirzt, macht eine Hape-Kerkeling-Rundreise durch Japan, selbstverständlich ohne daß Kracht die letzte Option für eine positive Wendung seines Romans nutzt und wenigstens eine gute Reisebeschreibung verfaßt. Dabei dreht Nägeli nebenbei einen Film. Nach einem Jahr (ohne Geld, irgendwie) in die Schweiz zurückgekehrt, wird ihm sofort klar, daß dieser Film ein neues Meisterwerk geworden ist, wahlweise auch ein Opus Magnum. Und das wars im Grunde.

Der Lieblingschristiankracht hätte eine schöne Japan-Erzählung schreiben können, ab Seite 150 flackert diese Möglichkeit kurz auf, man fühlt sich dann auch sprachlich wieder ein paar Seiten bei ihm zuhause. Zumal er mit seinen Reiseerzählungen Der gelbe Bleistift bewiesen hat, daß er zu derlei in der Lage wäre. Aber Kracht hat seine paar Ideechen zum Roman Die Toten aufgeblasen und viel NS dazwischengeschmiert und sich damit wieder ein paar sorgenlose Jährchen im amerikanischen Exil mit neuen, tollen Bartpflegeprodukten erschrieben.

(Bild: Center for the Study of Europe Boston University, flickr, CC BY-SA 2.0)

Christian Kracht: Die Toten. 224 Seiten, Kiepenheuer & Witsch. 20 Euro.

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