Anstoß

Das arme Ex-Reich

Dank Corona bestens maskengerüstet, von allen nationalen Infektionen frei, europäisch geeint im Glauben an den heiligen eisernen Euro und dank durchfallartig flotter Gelddruckpressen unendlich reich und mächtig jubeln unsere Regierenden aus dem Mund des eifrig herumrollenden Wolfgang Schäuble über die Corona-Krise als „große Chance“ für Europa: „Wir können die Wirtschafts- und Finanzunion, die wir politisch bisher nicht zustande gebracht haben, jetzt hinbekommen.“

Wie das Krisen so an sich haben: Neben wenigen Krisengewinnlern gibt es viele Verlierer. Die Gastronomen und Kleinhändler haben die Chance, Pleite zu gehen. Die Armen und Alten haben die Chance, in Depression, Einsamkeit und Isolation zu versinken. Und daneben gibt es noch die Kollateralschäden, die nicht mit Corona, aber umso mehr mit einem rapiden Demokratieabbau zu tun haben. Ein kaltblütiger Freigeist, der von oben her nichts Gutes erwartet, wird nicht überrascht sein, wenn Vater Staat wie der Horrorclown aus dem Gully auftritt.

Selbstmord nach Denunziation

Für einen biederen Staatsdiener allerdings, der sein Leben lang an die Amtseide der Regierenden und an die im Grundgesetz verbrieften Rechte geglaubt hat, bricht ein Weltbild zusammen. Etwa so muß es Eugen W. aus Krumbach, einem dreiundsechzigjährigen Dienststellenleiter in der technischen Bundeswehrverwaltung in Ulm, ergangen sein. Denunzianten schwärzten ihn und sieben weitere Mitarbeiter als rechtsextreme Reichsbürger an. Dieser beliebte, lebensfrohe und bürgerschaftlich engagierte Mensch sah nach den Verhören durch die Bundeswehr-Stasi MAD für sich keinen anderen Ausweg als den Selbstmord.

Wahrscheinlich hatte man ihm auch eine seiner Äußerungen vorgehalten: „Leute, glaubt nicht alles. Vieles ist nicht so, wie es an die Öffentlichkeit kommuniziert wird.“ Das reicht im heutigen Deutschland, um als rechtsradikaler Verfassungsfeind zu gelten.

Wer mich kennt, sollte wissen, daß ich weder ein Reichsbürger bin noch Spielchen mit selbstgefertigten Ausweisen für zielführend halte. Aber ich halte auch die strikt staatsfeindlichen Zeugen Jehovas nicht gerade für das Sahnehäubchen der Welterkenntnis und werde mich doch stets dafür einsetzen, daß ihnen nicht noch einmal das geschieht, was ihnen nach 1933 widerfuhr.

Nationale Frage und Frieden

Außerdem ekelt mich das dümmliche verabsolutierende Hetzen der Hirn- und Geschichtslosen gegen das Reich an – als hätte es nur die Verbrecherherrschaft der zwölf Jahre und ihre zeitweise Okkupation der Reichsflagge gegeben und nie das Alte Reich von den Ottonen bis 1806, nie das durchaus moderne und teildemokratische Kaiserreich von 1871 bis 1918, nie das demokratische Reich der Weimarer Republik.

Die Bremer SPD-Katzenmusiker etwa, die gegen alle Reichsflaggen wüten, treten das Erbe Weimars in den Dreck. Und neben manchen Irrtümern der Reichsbürger haben sie zu Recht daran erinnert, daß Deutschland nach 1945 keinen Friedensvertrag erhalten hat. Ich war 1985 einer der Gründer der KOORDINATION FRIEDENSVERTRAG, die – unterstützt von Grünen wie Petra Kelly, Gert Bastian oder August Haußleiter und demokratischen Sozialisten wie Peter Brandt und Herbert Ammon – den engen Zusammenhang von nationaler Frage und Friedensfrage in die Öffentlichkeit trug.

Selbst die sowjetische und die amerikanische Botschaft sowie die Ständige Vertretung der DDR in Bonn waren damals immerhin zu einem offiziellen Gespräch bereit. Selbst in der Endphase des Kalten Krieges war die Atmosphäre also nicht so vergiftet wie heute! Auch wenn eher obskure Völkerrechtler den Friedensvertrag durch den Zwei-Plus-Vier-Vertrag von 1990 erledigt sehen – jene ungeheure historische Wunde, die Krieg, Massenmord in den Lagern und aus der Luft, Annexionen und Vertreibung gerissen haben, ist nicht mit einem aufgedrängten Papier („ohne Vertrag keine Wiedervereinigung“) zu beseitigen, sondern nur durch eine gemeinsame freie Aufarbeitung der Geschichte durch die betroffenen Völker, Nationen und Staaten.

Abgrenzung: Ja! Platzverweis: Nein!

Selbst wenn die Reichsbürger in allem Unrecht hätten – die Meinungsfreiheit gilt auch für sie. Genausowenig, wie im Grundgesetz steht, daß NPD-Mitgliedern die Teilnahme an fremden Versammlungen und Demonstrationen verboten ist. Eine Demokratie, die nur für selbsternannte Demokraten gelten soll, ist keine. Eine klare Abgrenzung von der Programmatik der NPD ist notwendig, aber nicht der Platzverweis für sich friedlich verhaltende NPDler oder die permanente Distanzeritis.

Der Vertrag von Versailles bleibt ein Raubfrieden, obwohl auch die Nazis dagegen waren. Eine NATO inklusive Türkei bleibt ebenso wie die Stationierung fremder Truppen und Atomwaffen in Deutschland ein Anschlag auf den Weltfrieden und wird nicht dadurch geheiligt, daß die NPD dagegen ist und die Berliner Fast-Allparteien-Koalition dafür.

An die erste Stelle der deutschen Politik müssen die Lebensinteressen des deutschen Volkes: Frieden, Freiheit, geistiges Leben, wirtschaftliche Selbstbehauptung.

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