Gesichtet

Schlechte Nachrichten aus Tikitukaland

In dem kleinen Land, von dem nur sehr wenige wissen, wo es liegt, ist heftiger Streit um das Essen ausgebrochen. Nicht, daß es da Mangel gibt, ganz im Gegenteil: Es geht darum, wie man mit dem Überfluß umgeht.

Der weisen Königin kommt die Auseinandersetzung sehr ungelegen. Obwohl sie es sich nicht anmerken läßt. Sie ist nach sehr langer Regierungszeit amtsmüde und will abdanken. Aber die Nachfolge ist nicht geregelt. Die von ihr auserkorenen Thronfolgerinnen mußten verzichten. Die eine hatte die Königin gerade noch vor dem Scharfrichter retten können, dem sie wohl wegen ihrer Geldverschwendung und Mißwirtschaft überantwortet worden wäre, indem sie ins Ausland abgeschoben wurde.

Die andere hatte schließlich selbst ihre Unfähigkeit eingesehen und designiert. Nun streiten sich ein Dorfhäuptling, ein Herold und ein aus dem Ausland zurückgekehrter reicher Händler um das höchste Amt im Staate – in anderen Ländern würde man wohl sagen, „wie die Kesselflicker“, aber Kesselflicker haben im kleinen Tikitukanland nichts zu sagen.

Und dann noch dies: Von der Königin im Tikitukaland
Dacht‘ man, die regiert vom Ende denkend mit Verstand.
Corona kam,
da wurd‘ sie lahm.
Ihr Land ist ziemlich abgebrannt.

Ungemach überall und die Königin kann es nicht mehr richten, wie sie das sonst schon öfters getan hat, mit einem mütterlich-mildem „nicht hilfreich“ oder auch schonmal mit einem energischen „Das muß rückgängig gemacht werden!“ oder „Keine Diskussionsorgien!“.

Und nun auch das noch: Man hatte vor vielen Jahren, als es dem Land wirklich nicht gut ging und die Nahrungsversorgung dürftig war, ein gutes System eingeführt, das jetzt auch in der Kritik steht. Die Dorfhäuplinge hatten mit einem Vertrag eine Allgemeine Speisenanstalt Tikitukaland (AST) gegründet, die allen Bürgen eine Grundversorgung sichern sollte.

Nun aber wurde der Ärger damit immer größer. Durch die gute Königin läßt sich das Problem nicht beheben, denn sie ist da nicht zuständig – ja tatsächlich: Es gibt dort Regelungen, wofür der Monarch nicht zuständig ist. Weil es vor vielen Jahren die Dorfhäuptlinge waren, die die AST geschaffen hatten, darf die Königin sich da nicht – zumindest nicht öffentlich – einmischen.

Auch sonst sind die Dorfgewaltigen sehr bedacht darauf, daß ihnen ihre Entscheidungsmacht nicht bestritten wird. Aber allmächtig sind sie auch nicht: Immer wieder müssen sie die Dorfräte fragen, die ihnen auch die Gefolgschaft verweigern, ja sie sogar absetzen können. Und so nörgelten in einem Dorf einige Räte am Speisenvertrag herum. Die AST will mehr Geld haben und das ist auch von einer Kommission geprüft und bestätigt worden, aber mehr Geld gibt es nur, wenn alle Dorfräte dem zustimmen. Da sich einer halt verweigert, gibt es erstmal nix.

„Wenn es zu keiner weiteren Beitragserhöhung kommt, wird man das an den Speisen deutlich sehen und alle werden darben“, drohte einer der Vorturner der AST. Und viele Arbeitsplätze würden wegfallen, wenn man diese Gemeinwirtschaft beendet.

Ja wirklich, es ist ein so schönes System. Die Anbieter, die Speisen und deren Verteilung werden genehmigt und kontrolliert, eine Kommission, ermittelt den Finanzbedarf, ein Service zieht die Nahrungsgebühr – neuerdings Gute-Essen-Abgabe genannt – ein und verteilt die Gelder.

Ja, bedauerlicherweise muß es auch Verurteilungen und Gefängnis für Essensleugner geben, aber das schafft ja auch Arbeitsplätze für Richter, Gerichtsbüttel, Gefängnisaufseher. Die in der AST führend Beschäftigten verdienen gut und sind auch als Rentner gut versorgt. Ja, manchmal hat man danebengegriffen, etwa indem Omas, die zu den besten Klienten der AST gehören, als Freßsäue bezeichnet wurden. Man könnte sagen, so sägt die AST an dem, auf dem sie sitzt. Aber das war doch nett gemeinte Satire! Das muß doch wohl erlaubt sein!

Streit und Proteste kommt zunehmen vor allem von jenen, die das Essen – aus welchen Gründen auch immer – nicht haben wollen und sich auf dem freien Speisenmarkt – da gibt es auch Stimmen, den ganz abzuschaffen – versorgen.

Aber diese Essensleugner  sind doch vor allem für die Lebensmittelverschwendung verantwortlich, indem sie das AST-Essen wegwerfen. Die Essensgemeinschaft ist ein Bollwerk gegen ungesunde und verschwenderische Speisen, die von den unabhängigen Anbietern produziert werden. Analysen beweisen, daß die Essensprogramme ausgewogen sind und jeden Geschmack berücksichtigen. Umfragen belegen, eine Mehrheit der Bürger ist mit der AST sehr zufrieden.

Man kann da jetzt nur auf die obersten Friedensrichter hoffen, daß die AST bei den vielen anderen Problemen, die es im Lande gibt, nicht unbemerkt und aus Versehen zerschreddert wird.

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