Ernst Jüngers bekanntestes Spätwerk widmet sich Drogentrips und Rauscherfahrungen. Vom leichten Bier bis zu LSD und Opium gibt Jünger einen Einblick in parallele Welten.
„Die Lichter werden greller, die Farben lebhafter. Die Begierden treten nackt hervor. Die Glut war tief unter der Asche versteckt. Jetzt schlägt, wie mit dem Blasebalg angefeuert, die Flamme hervor. Das Herz, die Lunge antworten.“
Viel treffender dürfte in der deutschen Sprache ein Drogenrausch nicht beschrieben worden sein. 1970 erschien im Klett-Verlag ein merkwürdiges Buch. Annäherungen: Drogen und Rausch von Ernst Jünger. Der rote Faden: Der persönliche Drogenkonsum eines fast 80-jährigen Intellektuellen. Es fällt schwer das Buch zu fassen, zu kategorisieren. Aufgebaut in fast 300 kleine Kapitel, steigert sich Jünger durch die Welt der Bewusstseinserweiterungen, reist in die Vergangenheit zu seinen ersten Rauscherfahrungen, kleinen Anekdoten und Capriccios, aber sinniert auch tiefphilosophisch über den Mensch und die Droge.
Jünger würde sagen: Er nähert sich an. Ebenfalls wie seine „Strahlungen“ zählen die „Annäherungen“ zu Jüngers leicht kryptischem Wortschatz. Ernst Jünger nähert sich an. Ja an was denn eigentlich, möchte man fragen. Doch dafür sollte man das Buch lesen. Gesagt werden muss aber: Die „Annäherung“ zeugt von Jüngers Bescheidenheit, der niemals behaupten würde, ein Ding in seinem Kern zu treffen, die Wahrheit zu ermitteln. Doch sein Ziel ist es, sich dieser totalen Wahrheit, falls es sie überhaupt gibt, anzuschmiegen, die Dinge im Kern zu begreifen ohne in den Kern vorzudringen.
Asiatische Welten und deutscher Suff
Die lockere Form, die teilweise zusammenhanglose Aneinanderreihung kleiner Kapitel, lassen das Buch kurzweilig erscheinen, an manchen Stellen auch konfus. Doch gehört dergleichen wohl zum rauschhaften Lesevergnügen dazu. Zu Beginn fokussiert sich Jünger auf die verschiedenen Drogenkulturen. Wo liegt der Unterschied zwischen den düsteren Schnapstrinkern des Nordens und den legeren Genießern der mediterranen Zonen?
Er streift religiöses Brauchtum, Botanik, Geographie und Klima, aber auch die Wirtschaftlichkeit des Genießens im Vergleich zwischen Bier und Wein. Gerade in nördlichen Gefilden wird das übermäßige Trinken als normal, oder sogar positiv eingestuft. In den Weingebieten, und das bezieht sich sogar auf Regionen innerhalb Deutschlands, wird der übermäßige Konsum häufiger abgelehnt. Insgesamt eröffnet Jünger drei Kategorien der Drogen: Die europäische, die asiatische und die mexikanische.
Während des ersten Krieges begann Jünger bereits mit dem Experimentieren. Dazu zählt auch der Fund uralten Haschischextraktes, den er natürlich direkt ausprobieren musste. Es folgt ein Horrortrip mit Arztbesuch. Aber auch härteren Drogen ist Jünger nicht abgeneigt. Äther und Opium schalten jeweils vollkommen unterschiedliches Erleben und Wahrnehmungen frei. Hier greift Jünger auch teilweise Ideen seines „Sanduhrbuchs“ auf, in dem er bereits eine längere Abhandlung über die Zeit abfasste. Berauscht verschiebt sich diese Wahrnehmung, ähnlich wie durch die Einführung der Uhren. Zeit kann gleichzeitig schneller und langsamer vergehen. Die Opiumnächte dauern tausende Stunden an, während in der Realität nicht einmal die Nacht vorüberzieht.
Trippen mit dem Vater des LSD
Die Erzählung gipfelt in den zwei LSD-Räuschen mit seinem Freund und Entdecker der Lysergsäurediethylamid, dem Schweizer Chemiker Albert Hofmann. Dieser konsumierte, damals noch ohne Jünger, versehentlich eine hohe Dosis des Halluzinogen. In einem späten Interview beschreibt er den Schrecken, der durch das stählerne Labor, die kalte Atmosphäre und die riesigen Apparaturen auf ihn wirkten. Ein passendes Setting musste her. Und Ernst Jünger. Gemeinsam betraten sie kurz nach der Entdeckung durch Hofmann die Welt des LSD. Jünger war enttäuscht, kannte er doch schon Ausflüge mit den „mexikanischen Drogen“, also starke Halluzinogene generell, und im Besonderen das Meskalin. Das war der erste geplante LSD-Rausch der Geschichte und von den Beteiligten aus Respekt vor dem Unbekannten stark unterdosiert.
Leider gibt es keine zeitnahen Aufzeichnungen. Bei einem zweiten Trip Jahre später hielten sie sich nicht zurück. Es existiert sogar die Mitschrift Ernst Jüngers über den Versuch. Dergleichen ist beinahe unmöglich zu verstehen. In welchen Sphären sich die beiden bewegten, zeigt ein kleiner Ausschnitt aus Jüngers Protokoll:
11:50 Verschärft sich unsere Wahrnehmung oder wird die Materie offensiver? Das werden wir nie ausloten.
13:00 Hofmann: „Das Blau wird jetzt transparent.“
Jünger: „Der Name Hofmann auch.“
13:30 Wieder: Die Adlerstellung – Der Adlerflug. Drei Mal: Die Schwingen.
Der Rausch hielt bis zum Abend an. Eine Erklärung fügte Jünger nicht hinzu.
Nazi auf Pilzen oder Drogenjunkie?
Wer Interesse am „Erfinder“ der Psychonautik Gefallen gefunden hat, sollte unbedingt auch auf Besuch auf Godenholm (1952) zurückgreifen, in dem Jünger seinen ersten LSD-Rausch verarbeitete. Jünger wusste, wie er später beschrieb, dass das Buch ein Flop werden würde. Selbst die belesensten der damaligen Literaten lehnten das Buch ab und bewerteten den abstrakten Seelenexpressionismus Jüngers als befremdlich und unverständlich.
Das führt auch zur schwierigen Einordnung Jüngers Schaffen in Bezug auf Drogen. Der Autor, sicherlich unmöglich mit politischen Etiketten zu bekleben, ist aber alles andere als ein Linker, also ein Hippie der 60er und 70er Jahre. Er hörte Wagner und nicht Jimi Hendrix. Kurz gefasst: Die eigentliche Leserschaft Jüngers, das wären konservative, rechte, reaktionäre und elitäre Zeitgenossen, konnten und können mit Drogen einfach nichts mehr anfangen. Stattdessen wanderte der Konsum, der meist mit der gesellschaftlichen Avantgarde einhergeht, zu den Linken, die aber Jüngers Denken verabscheuen. Hier entsteht ein intellektuelles Vakuum. Ein luftleerer Raum, der die geistige Potenz hätte, tausende von Lesern zu erreichen, zu beeinflussen, zu beglücken. Stattdessen interessierten sich nur Wenige für seine Drogentrips.
Spaßkonsument und kontrollierter Drogenkonsum
Dieses Problem stellt sich noch heute. Die Jünger-Leser haben kaum Erfahrungen mit „starken“ Drogen. Die Leute, die heutzutage dergleichen konsumieren, sind hingegen zu beschränkt um einen intellektuellen Mehrwert aus ihren Reisen zu ziehen. Für sie ist der Konsum meist nihilistisches Erleben oder Dauerparty. Zudem kommt die Verwandlung der Drogenszene in den letzten zehn bis 15 Jahren. Die rein chemische Droge, dadurch leicht zu kontrollieren, überflügelt den organischen Konsum. Das Ziel des Rausches ist kein Selbstzweck mehr, stattdessen geht es nur noch um den Kampf gegen den Alltag.
Betäubung ist hier das Stichwort. Sein Gegenspieler, der Aufputscher, ist ebenso häufig anzutreffen. Man will stark sein, fähig sein, Energie haben, am Wochenende abschalten vom anstrengenden Trott. Doch dazu entsteht noch eine weitere Differenzierung. Der Konsument will die Wirkung haargenau kontrollieren, egal ob im gesundheitlichen oder hedonistischen Sinn. Die ansteigenden Medikamentenabhängigkeiten in der westlichen Welt sind einer der Indikatoren.
Aber auch die Optimierung der eigenen Fähigkeiten durch Drogen kommt immer häufiger vor. Das nimmt mittlerweile groteske Züge an. Teilweise konsumieren Jugendliche Ritalin und andere „Smart Drugs“ um gezielt bessere Leistungen zu vollbringen und für Klausuren zu lernen. Der Zeitgeist bestimmt die Drogen, der Geist wird schwächer und ist nur noch anstrengendes Beiwerk zur erwünschten Leistung. Wir entfremden uns immer weiter von den nicht-realen Portalen, die Ernst Jünger und viele andere durchschritten haben und verlernen dabei, dass derartige Annäherungen realer sein können als die nüchterne Wirklichkeit.
Bild: Ernst Jünger in seiner Dienstvilla in Bad Godesberg (links) mit dem damaligen Präsident des Deutschen Bundestages, Philipp Jenninger (rechts). Bundesarchiv, B 145 Bild-F073370-0003 / Wegmann, Ludwig / CC-BY-SA 3.0
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