Rezension

„Silence“: Der Kampf um den eigenen Glauben

Mit „Silence“ wagt sich Martin Scorsese nach „Die letzte Versuchung Christi“ und „Kundun“ wieder einmal auf das schwierige Terrain des religiösen Films.

Leuten, denen das Christentum schlecht bekommt, seien vorgewarnt: die erste Filmhälfte breitet schonungslos die Glaubenswelt eines portugiesischen Jesuiten des 17. Jahrhunderts aus. Die Kämpfe, inneren Konflikte und religiösen Gefühle Sebastião Rodrigues´ (Andrew Garfield) sind auch wirklich ein harter Brocken. Freilich, wer das über eine Stunde währende eigene sowie das Martyrium Pater Rodrigues´ aushält, der wird mit ganz anderen Aussichten belohnt: Sinn, Unsinn – vielleicht sogar Wahnsinn –, schließlich, Scheitern der christlichen Mission in Japan, die sich bei Rodrigues in die beiden Rinnsale von praktischer Menschlichkeit und extremster Innerlichkeit verläuft.

Eine Mission der besonderen Art: den Mentor zurückholen

In der portugiesischen Kolonie Macau sind Rodrigues und sein Freund und Ordensbruder Garupe (Adam Driver) bestürzt über das, was sie über ihren Mentor Pater Ferreira (Liam Neeson) erfahren haben. Dieser sei in Japan vom Glauben abgekommen. Offiziell gilt die Missionierung Japans längst als gescheitert. Eine eigene japanische Inquisition ist damit beauftragt, die letzten Christen zur Abkehr von ihrem Glauben zu bewegen oder sie hinzurichten.

Rodrigues´ eigener Glaube, sowohl an den Mentor als auch an Jesus Christus, drängt ihn dazu, die Wahrheit über das Schicksal Ferreiras herauszufinden. Nach einigen Widerständen gelingt es Rodrigues gemeinsam mit Garupe, ihren Macauer Vorgesetzten Pater Valignano von ihrer besonderen Mission zu überzeugen. Ein in Macau gestrandeter japanischer Fischer namens Kichijiro soll die beiden unbemerkt nach Japan bringen. Von Anfang an wirkt Kichijiro wenig Vertrauen einflössend. Er ist schmutzig, dauernd betrunken und, wenn er mal nicht betrunken ist, überdreht und verängstigt.

Später stellt sich heraus, dass Kichijiro selbst Christ ist, aber gezwungen wurde, von Gott abzuschwören. Seine Familie starb den Märtyrertod, ein Schicksal, dem Kichijiro wegen seiner Willensschwäche entkommen ist. Seitdem ist er ein gebrochener Mann, ein Angsthase dem sein eigenes elendes Leben, an dem er nichtsdestotrotz über alles hängt, zur Hölle geworden ist: von seinen Landsleuten verachtet, von seinen Glaubensgenossen mit Misstrauen beäugt, von den Autoritäten verspottet, wird er Rodrigues zum genauso treuen wie verräterischen ständigen Begleiter, ein Albtraum, der Rodrigues dadurch, dass er ihn immer wieder bittet, ihm nach jedem Verrat erneut die Beichte abzunehmen, zur Verzweiflung bringt.

Überhaupt ist die Figur des Kichijiro der Running Gag des ganzen Filmes. Als Gracioso-Figur ist er ein gelungenes Gegengewicht, sowohl zum Glaubens- und Missionseifer der beiden Jesuitenpatres wie auch zum Ernst der jeweiligen Situation, ja, sogar noch zu den Finessen japanischer Grausamkeit.

Fanatischer Glaube trifft auf synkretisches Heidenchristentum

Rodrigues ist der Mann, dessen Glauben so fest ist, dass er Berge zu versetzen vermag. In seiner Festigkeit lässt sich dieser Glaube jedoch kaum von Fanatismus unterscheiden, so dass Rodrigues immer wieder in Konflikt, nicht nur mit seinen rein menschlichen, sondern vor allem mit seinen ureigensten Glaubensüberzeugungen gerät. Die Mission, d.h. den Mentor Ferreira aufzuspüren, ist wichtig, aber es gibt da noch die eigentlich christliche Mission: den bedrängten japanischen Christen Beistand leisten sowie Gott und der Welt bedeuten: hier triumphiert, trotz aller Verfolgung, die Kirche.

Im Kontakt mit den armseligen Fischern eröffnen sich Rodrigues und Garupe Perspektiven, die sie siegestrunken sowie ihre ursprüngliche Absicht, Pater Ferreira zu finden, beinahe vergessen machen. Dass es sich mit dieser „japanischen Christenheit“ um eine Selbsttäuschung handelt, wird dem Zuschauer schneller klar als den beiden Jesuiten.

Bald schon werden sie als Heilige verehrt. Von ihnen gefertigte Kreuze nehmen unter den Fischern sofort den Stellenwert kultischer Objekte ein. Die einheimischen „Christen“ verbinden das Sakrament der Taufe direkt mit dem Eintritt ins Paradies. Wie nicht anders zu erwarten, währt die Idylle nicht lang: die für die Unterdrückung und Ausrottung des Christentums zuständige Behörde – im Film „Inquisition“ genannt – hat von den Aktivitäten der zwei fremden Patres erfahren. Mit dem Erscheinen des Inquisitors Masashige nimmt der Film eine entscheidende Wende: Er schwenkt von der inneren Welt Rodrigues´ auf die äußere, in der ein Kampf der Kulturen stattfindet: Das Christentum ist nicht „bloß eine Religion“, es droht, die japanische Gesellschaftsordnung zu zersetzen. Es zu verfolgen, ist daher kein Gebot eines ihm etwa entgegen gesetzten Fanatismus, sondern geboten nach einer genauso eingehenden wie sorgfältigen Prüfung seitens der höchsten Autorität.

Pragmatische Christenverfolgung oder: Grausamkeit aus sachlichen Gründen

Die Tatsache, dass es in Japan eine Inquisition gibt, die die Christen verfolgt, foltert und hinrichtet, wie in Europa die iberische Inquisition die Häretiker und Ketzer verfolgt, foltert und hinrichtet, lässt beim Zuschauer, nicht aber bei den beiden Jesuiten, ein Licht aufgehen. Auch ist der japanische Inquisitor in seinen Maßregeln vielleicht grausamer als seine iberischen Amtskollegen, dafür aber verständiger und aufgeklärter: Es reicht für ihn vollkommen aus, dass jemand rein äußerlich vom Christentum abschwört.

Längst ist ihm und seinen Leuten Ichijiro als Christ bekannt, und dass ihn seine immer wiederkehrende Rolle als Apostat vor der Hinrichtung bewahrt hat. Der Zuschauer kann sich einer gewissen Sympathie für den Inquisitor nicht erwehren. Auch sein aus Samurai bestehender Verwaltungsstab ist nicht grausam aus Sadismus, sondern weil der Opfer- bzw. Starrsinn der Christen sie dazu zwingt. Es sind betont ruhige und gelassene Typen, die schlimmste Gräueltaten begehen, nicht aus Lust sondern von Amtswegen sozusagen, aus Pflichtbewusstsein, um Japan vor zerstörenden fremden Einflüssen zu bewahren.

Die Christen haben bis zuletzt ihre gerechte Chance. Erst die Anwesenheit der beiden Patres zwingt den Inquisitor, härter durchzugreifen, um die unsinnige Hoffnung der abergläubischen japanischen Christen zu zerstören. Dazu muss er Druck auf die beiden Missionare ausüben. Druck lässt sich aber bei diesen Männern des gefestigten Glaubens nur durch Folter und Hinrichtung Unschuldiger erzeugen.

Prüfung Rodrigues´

Um Rodrigues zur Abschwur vom Christentum zu bewegen, lässt der Inquisitor eine Gruppe japanischer Christen ertränken. Überraschenderweise erscheint dabei Garupe, der während einer der Strafaktionen gegen die Fischer von Rodrigues getrennt wurde. Beim Versuch, seine Schützlinge vorm Ertrinken zu retten, ertrinkt Garupe selbst. Erschüttert vom Opfertod Garupes und unter dem Eindruck der Hinrichtungen leidet Rodrigues Höllenqualen, die noch dazu durch die ständige Nähe Ichijiros verschlimmert werden.

Der Inquisitor ist klassischer Machiavellist, nur dann grausam, wenn es unbedingt nötig ist. Dazu gehört auch, dass er Rodrigues in Gefangenschaft – im Gegensatz zu den japanischen Christen – außerordentlich gut behandeln lässt, um dadurch sein geistiges Leiden noch zu vergrößern und Zweifel an seinem Glauben zu erzeugen. Sofort wird klar, die Japaner wissen mehr über das Christentum und mehr über die Missionare als diese über Japan, die Japaner und den Buddhismus. Auch haben die Japaner aus ihren ersten Christenverfolgungen gelernt: Es reicht nicht aus, die Leute durch Hinrichtungen und Folter abzuschrecken. Viel besser ist es, mit dem Prestige der Priester aufzuräumen, d.h. diese selbst vom Glauben abzubringen.

Die Missionare kamen um zu lehren, selbst aber wollten sie nicht lernen

Ein zum Geleit des Inquisitors gehöriger Samurai erzählt Rodrigues von der Eitelkeit, dem Hochmut und der Unwissenheit der fremden Missionare und mit welcher Voreingenommenheit sie in Japan eingetroffen sind. Zu dieser Sorte gehöre auch Rodrigues mit seiner Behauptung, die Missionare hätten den Japanern die universelle Wahrheit bringen wollen. Wie auch Rodrigues waren die meisten Missionare nicht einmal der japanischen Sprache mächtig, erläutert der Samurai in perfektem Portugiesisch.

Zu guter Letzt wird von den Behörden der ehemalige Pater Ferreira herangezogen, der nun als Buddhist eine eins zu eins Widerlegung des christlichen Glaubens verfasst. Er soll Rodrigues endgültig davon überzeugen, dass das Christentum in Japan keinen geeigneten Boden findet und er selbst bitte davon abschwören möge. Um Menschenleben zu retten, tut er es schließlich, indem er Christus vor aller Augen öffentlich verleugnet. Die entscheidende Aufforderung dazu kam jedoch von Jesus selbst, dessen Stimme Rodrigues zu hören meint. Den Rest seines Lebens arbeitet Rodrigues, der inzwischen einen japanischen Namen angenommen hat und, genau wie Ferreira vor ihm, mit einer Japanerin verheiratet wurde, für Masashiges: im Hafen von Nagasaki identifiziert er christliche Glaubensartikel zwecks ihrer Konfiskation und hilft auch sonst eifrig der Zensurbehörde.

Trotz alledem bleibt bei Masashige und seinen Leuten das Misstrauen, Rodrigues könnte sich seinen Glauben bewahrt haben. Zwar hat dieser seinen Glauben, wenigstens äußerlich, verraten, geopfert. Aber gerade dadurch kam Rodrigues paradoxerweise Christi so nah wie nie, erst dadurch wurde das Schweigen gebrochen. Als Rodrigues nach seinem Tod eingeäschert werden soll, hat ihm jemand, trotz strengster Bewachung, ein kleines Kreuz mitgegeben.

Filmstart in Deutschland für „Silence“ ist der 2. März 2017.

(Bild: sbclick, flickr, CC BY 2.0)

5 Kommentare zu “„Silence“: Der Kampf um den eigenen Glauben

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