Gesichtet

Der Verlust der „Schule der Nation“

Im deutschen Kaiserreich wurden jährlich bis zu 300.000 junge Männer zum Wehrdienst herangezogen und die meisten von ihnen stammten aus Kleinstädten und vom Lande, während man die Städte mied.

Der Grund? Vermeintlich linkes Territorium, von wo aus zu viele Sozialdemokraten den Geist der Truppe verwässern würden. Damals rekrutierte die Armee noch aus eigenen Ersatzbezirken und dem Umland, während heute die Bundeswehr in der ganzen Republik das Personal verschieben muss und kann. Die soziale Hierarchie des Reiches blieb auch im Militär fortbestehen und es dauerte bis zum Anbruch des Ersten Weltkrieges, ehe auch Soldaten niederer Schichten sich durch Verschleiß und Hingabe nach oben dienen konnten.

„Leutnantdienst tun heißt, seinen Leuten vorsterben.“ (Walter Flex)

Aber 300.000 neue Rekruten jedes Jahr? Zahlen, von denen die heutigen Militärs in Westeuropa und Nordamerika nur träumen können. Sie wirken regelrecht absurd, wenn man nach Deutschland schaut, das mit einer Bevölkerung von ca. 81 Millionen Menschen eine Armee unterhält, die nur knapp zwei Drittel der oben genannten Zahl als Gesamtstärke aufweisen kann.

Sicherlich kann man argumentieren, dass die Epoche der Volksheere und Massenschlachten vorbei ist. Aber der Hauptgrund ist eher, dass die Alterspyramide in Deutschland und Westeuropa heutzutage auf den Kopf gestellt wurde, so dass die Alten überwiegen und die jungen Jahrgänge weiter schrumpfen. Deutschland hat die Wehrpflicht auch ausgesetzt, was die neu aufgelegte Werbekampagne für Freiwillige befeuerte. Die Truppe sucht Soldaten und ärgert sich dann, wenn sich junge Leute entweder aus monetären oder aus idealistischen Gründen für die Armee melden.

Putzzwang in der Armee gegen Patrioten

Im Zweifelsfall ist es der heutigen Bundeswehr auch lieber, wenn sich die neuen Rekruten nur wegen dem ersten Grund einfinden. Mit Idealisten und Patrioten ist heute nicht mehr viel anzufangen in der klinisch und chemisch gereinigten Armee unserer Zeit. Und dabei war das Militär einst die sogenannte „Schule der Nation“ und ein Dienst an der Gesellschaft galt als ehrenhaft, tugendhaft und männlich.

Heutzutage im Gespräch mit dem Einplaner zu sagen, dass man dem Vaterland dienen will, könnte aber schon für Stirnrunzeln sorgen. Auf einer Kreuzberger Studentenparty fallen zu lassen, dass man Soldat ist oder war, führt meist zu Ausbrüchen von Wut oder Ekel. Dienen, und Dienst am Land, das sind keine Ideen mehr, welche bei der Jugend von heute zünden und immer weniger Menschen aus den heranwachsenden und herangewachsenen Generationen haben überhaupt noch Kontakt mit dem Militär.

Die Aussetzung der Wehrpflicht liegt schon mehrere Jahre zurück und selbst 2011 waren die Jahrgänge schon maßgeblich geschrumpft, so dass sich die Zahl derer reduziert hat, welche noch Bindungen und Vorstellungen davon haben, was Wehrdienst überhaupt ist. Dass man den Wehrdienst als charakterbildend, staatstragend und bürgerlich verstehen kann, wird heute in der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert oder gewünscht.

Bundeswehr als Resteposten

Dazu reicht es, wenn man sich die Meinungsmacher im Rundfunk, bei Spiegel-TV oder anderen Medien anschaut, welche maßgeblich zum Meinungsbild über die Bundeswehr beitragen dürften. Tendenziöse Dokumentationen und Kommentare sind an der Tagesordnung, wenn der Salongutmensch mit gut bezahlter Position im Medienapparat über die stumpfen Ossi-Mädels und Jungs herziehen kann, die sich aus Chemnitz und Brandenburg-Stadt für den Dienst bei der Bundeswehr melden und dann irgendwo in westdeutschen Kasernen landen. „Absteiger, Aussteiger, Außenseiter“ – Bundeswehr als Resteposten, statt Schmelztiegel der Nation.

Dabei fehlt seit Aussetzung von Wehrpflicht und Zivildienst überall Personal, welches vor allem in Krisenzeiten enorm wichtig für einen funktionierenden Staat wäre. Das Technische Hilfswerk beispielsweise kann mancherorts kaum noch den Regelbetrieb gewährleisten, noch in Notfällen effektiv handeln. Es fehlt an Personal, an Menschen, die bereit sind Gesellschaftsdienst zu tun und in ihrer Region und ihrem Bundesland zu helfen und damit in letzter Konsequenz auch ihrem Heimatland zu dienen.

Militär und Zivildienst hatten eine Funktion in der alten Bundesrepublik. Sie trugen zur Wertebildung bei, zum Verständnis für das republikanische Prinzip und den Sinn hinter der Idee der Nation als Gesellschaft von solidarischen Menschen, die ein Schicksal teilen und gemeinsam in einem Land zusammenleben wollen. In unserer entsolidarisierten und national entkernten post-heroischen Gesellschaft fehlt den jungen Menschen das Verständnis dafür größtenteils. Der Verlust des Militärischen in unserem Wertesystem heißt auch, dass wir wie Martin van Creveld es beschreibt, verweichlichen.

Mit islamistischen Kriegern über Gender-Toiletten debattieren?

Juristen, Journalisten, Sozialarbeiter, Ärzte und Instagram-Models (scheint ein gut bezahlter Job zu sein mittlerweile): Von den zivilen Berufen gibt es heute mehr als früher. Der Soldat, selbst der ehemalige Wehrdienstleistende, ist größtenteils aus der Öffentlichkeit verschwunden und stirbt bei der Generation 75+ der alten Bundesrepublik langsam weg. Und so löst sich die Beziehung von Volk zu Vaterland und von Mensch zu Staat, und letztendlich auch Nation. Ideologischer und physischer Abstand zwischen der Zivilgesellschaft und dem Militär wächst, was nur noch mehr Unverständnis, Ablehnung und Kopfschütteln hervorruft.

Da werden die normalsten Ereignisse und kleinsten Skandale plötzlich zu großen Fauxpas der Armee, während das Bewusstsein um die Notwendigkeit von Verteidigung bei jenen abhanden kommt, die sich noch nie tödlichen und gefährlichen Dingen ausgesetzt sahen, bei denen Argumente nicht ziehen. Mit islamistischen Kriegern ist nicht gut über Gender-Toiletten diskutieren oder darüber, warum man lieber doch nicht enthauptet werden will.

Die Abschaffung der Armee an sich zu fordern, wie das die Linke beispielsweise tut, ist hochgradig dumm und auch im 21. Jahrhundert ziemlich naiv. Eine Naivität, die man sich nur hier im wohlstandsverblödeten Westen leisten kann, wo (noch) keine Islamisten mit dem Pickup Toyota durch das Dorf fahren und die Menschen mit Kalaschnikows massakrieren.

Migrant nach Grundausbildung: „Ich bin stolz, deutscher Soldat zu sein.“

Und zuletzt führe ich noch einen sehr wichtigen Punkt an: nämlich die Armee als großen Gleichmacher in der Gesellschaft. In der Grundausbildungskompanie sitzen Jungs und heute auch Mädels aus allen sozialen Schichten, aller Religionen und mittlerweile auch Ethnien zusammen im selben Boot und da gibt es am Ende der Grundausbildung auch den türkischstämmigen Rekruten, der beim Gelöbnis plötzlich Tränen in den Augen kriegt und sagt: „Ich bin so stolz, deutscher Soldat zu sein.“ Obwohl er eigentlich ursprünglich nur zum Bund ging, um Zeit totzuschlagen und Geld zu kassieren, verließ er die Armee als veränderte Persönlichkeit und besserer Bürger. Ein Einzelschicksal, welches sicherlich keine Seltenheit ist, aber dessen Grundlagen heute nicht mehr gefördert werden.

Alle halten den Marsch durch, alle strengen sich an, keiner wird zurückgelassen und die Gruppe ist immer nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Diese kleine Weisheit aus der Armee kann auch für Staat und Volk Gültigkeit haben.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog Young German.

(Bild: Wir. Dienen. Deutschland., flickr, CC BY-ND 2.0)

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