Die Meldung war eine Überraschung: Angela Merkel will auf dem kommenden Bundesparteitag der CDU nicht mehr für das Amt des Parteivorsitzenden kandidieren.
Das ist das erste Mal seit dem Antritt ihrer Kanzlerschaft im November 2005, dass Merkel einen Schritt weg von der Macht beschreitet. Dass sie noch bis zum Ende der Legislaturperiode Kanzlerin bleiben will, ist geschenkt: Der Abschied von der Macht ist eingeleitet und unumkehrbar.
Die CDU steht nun vor etwas, was die Partei seit Langem nicht mehr gesehen hat: Sie steht vor einem Scheideweg. Will sie das Erbe Merkels, die die Partei sozialdemokratisiert und weit nach links gerückt hat, verteidigen und strategische Mehrheiten mit den Grünen generieren oder will sie der gerade auch durch Merkel entstandenen Rechtspartei AfD die Hand reichen und nach dem Vorbild Österreich agieren?
Linksliberaler Pol und nationaler Pol
Die Union steht also, bei näherer Betrachtung, endgültig zwischen den beiden Polen, die Deutschland in ihren Bann ziehen und bewegen: Dem linksliberalen Pol der Grünen und dem nationalen Pol AfD. Dies ist auch das elende Schicksal der Partei, die das Heft des Handelns längst verloren hat und trotz ihrer Position als noch stärkster Kraft doch nur Steigbügelhalter für eine der beiden zeitgenössischen Richtungen des frühen 21. Jahrhunderts sein wird.
Eins vorneweg: Alle drei aussichtsreichen Kandidaten für den Parteivorsitz stehen recht eindeutig für ersteren Weg der Aufrechterhaltung von Merkels Erbe. Annegret Kramp-Karrenbauer, ersichtlich als Generalsekretärin bereits von Merkel als ihre eigene Wunschnachfolgerin in Stellung gebracht, stünde für eine exakte Fortsetzung ihrer Politik. Ihre Chancen stehen gut, als Generalsekretärin wurde sie mit einem 90-Prozent-Ergebnis gewählt und auch in den letzten Jahren hat sich die CDU stets bis zur Selbstaufgabe für Stabilität statt für Veränderung oder gar Rebellion entschieden.
Spahn ist ebenso ein Wendehals
Jens Spahn, Gesundheitsminister, gilt parteiintern als Kritiker Merkels und wird vor allem von der Jungen Union gestützt. Ihn hat Merkel geschickt durch die Ernennung zum Gesundheitsminister beschädigt. Seine Glaubwürdigkeit ist ebenso gering wie seine Beliebtheit: In Umfragen liegt er von den drei aussichtsreicheren Kandidaten weit abgeschlagen auf Platz drei im einstelligen Prozentbereich.
Spahn bespielt zwar aktuell die Migrationsproblematik und dennoch ist der bekennende Homosexuelle eigentlich dem linksliberalen Lager zuzuordnen: Er leitete schon vor Jahren gemeinsam mit Omid Nouripour (Grüne) die „Pizza-Connection“, die es sich schon damals zum Ziel gemacht hatte, durch Treffen von Unions- und Grünen-Abgeordneten die beiden Parteien auf künftige Koalitionen vorzubereiten.
Spahn war zunächst gegen die Homo-Ehe, um anschließend doch seinen Partner zu heiraten; er war zunächst Abtreibungsgegner und ruderte dann eilig zurück, als es seiner Karriere schadete. Und auch in Hochzeiten der Asylkrise traute er sich nicht zu, Merkel offen die Unterstützung zu kündigen. Nein, Spahn hat dieses Mal noch keine Aussichten auf Erfolg, auch wenn seine Personalie innerhalb der Union spannend bleiben wird.
Der Auftritt des Dritten, Friedrich Merz, hat mich offen gestanden hochgradig überrascht. Zwar gab es durchaus kleinere Anzeichen in Nordrhein-Westfalen, dass Merz vorsichtig den Wiederanschluss an die Politik suchte, wo er in der neuen Landesregierung zum „Brexit-Beauftragten“ ernannt wurde. Ich deutete dies als langsames Herantasten – mit einer Kandidatur ausgerechnet als Bundesvorsitzender der CDU hätte ich nicht gerechnet.
BILD unterstützt Merz
Mittlerweile lässt sich erahnen, dass diese Position für ihn jedoch geschaffen wurde, um ihn gezielt in Stellung zu bringen. Eine Anfrage der Grünen über seine Tätigkeit in dieser Position musste die Landesregierung dergestalt beantworten, dass ein paar Gespräche mit Staatssekretären und Ministern geführt wurden und er an einem Workshop teilnahm. Das war es auch schon.
Bereits kurz nach seiner jedenfalls für Außenstehende überraschenden Kandidatur, outeten sich erstaunlich viele Unterstützer aus nahezu allen relevanten CDU-Kreisen. Bedeutender ist jedoch, dass Merz ganz offensichtlich die Springer-Presse und insbesondere die BILD-Zeitung voll hinter sich hat: Der Messias-Hype um den Kapitalmarkt-Advokaten nimmt in diesen Blättern Züge an, die allenfalls mit der Obamamanie 2008 zu vergleichen sind.
Merz mit seinem radikal liberalen und zumindest scheinkonservativen Profil ist natürlich gerade für die AfD eine Herausforderung. Laut Forsa-Umfrage bevorzugt die Hälfte der AfD-Wähler Merz als neuen CDU-Parteivorsitzenden. Auch bei den CDU-Wählern und der Gesamtbevölkerung liegt Merz, wohl auch aufgrund der Berichterstattung, recht deutlich vorne, wenn auch weniger stark. Der Abschied Merkels und der absehbare Aufstieg von Merz – obgleich sein Sieg gegen Kramp-Karrenbauer noch nicht ausgemacht ist – könnte der AfD mithin mittelfristig Schaden zufügen, womöglich bei den so wichtigen anstehenden Landtagswahlen im Osten die entscheidenden Prozentpunkte kosten.
Merz war in den 2000er-Jahren äußerst unbeliebt im Volk
Und doch macht mir der Aufstieg von Friedrich Merz langfristig keine Sorgen: Merz bietet nämlich nicht nur gigantische Angriffsflächen, er war in der Zeit um die Jahrtausendwende, als er noch in den Medien nicht als Messias sondern als einfacher Politiker wahrgenommen wurde, im Volk ausgesprochen unbeliebt. „2002 trauten ihm nur vier, 2005 nur sieben Prozent eine erfolgreiche Kanzlerkandidatur zu“, dozierte etwa der linkslastige Forsa-Chef Manfred Güllner gegenüber der Mediengruppe RTL, um noch nachzuschieben, dass er 2002 bei einem Politiker-Ranking sogar nur Vorletzter wurde.
Kein Wunder: Merz verkörpert letzten Endes bis in die letzte Faser diejenige FDP, die 2013 mit lautem Knall aus dem Bundestag geflogen ist. Kein Wunder, dass er in der FDP auch mit Zwei-Drittel-Zustimmung mit Abstand am besten abschneidet. Er steht durch seine anwaltliche Tätigkeit für Finanzhaie, internationale Heuschrecken und eiskalte Lobbypolitik. Auf diesbezügliche Skandale zum Beispiel im Cum-Ex-Bereich braucht man wohl nur zu warten. Er ist ein Globalist, wie er im Buche steht und radikaler EU-Anhänger.
Schon in seiner jüngsten Pressekonferenz zu seiner Kandidatur antwortete Merz, er bedaure, dass Deutschland auf die Avancen des ihm in verschiedener Hinsicht ähnelnden Macron nicht geantwortet habe. Wohin die Reise mit ihm gehen soll, zeigt ein im Oktober von ihm unterschriebenes Manifest mit folgenden Forderungen: Abschaffung nationaler Armeen, Einführung einer europäischen Arbeitslosenversicherung, Transferunion und eine „Überwindung von Nationalismus“. Kein Wunder, dass nun auch der besonders EU-radikale Günther Oettinger seine Unterstützung für Merz ausgesprochen hat.
Ein CDU-Bundesvorsitzender und künftiger Kanzlerkandidat Friedrich Merz böte der AfD also zahlreiche mögliche Angriffspunkte etwa in der Sozialpolitik, in der Europapolitik und sicherlich auch in der Migrationspolitik. Dafür darf sich die Partei aber nicht intern aus Angst vor einer VS-Beobachtung bekriegen, sondern muss sich auf den politischen Gegner konzentrieren, der sich gerade neu formiert.
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