Gesichtet

Eduard Limonow und seine Vision eines anderen Russlands

Die Mehrheit der Neuen Rechten kennt die Philosophie Alexander Dugins zumindest rudimentär. Eduard Limonow, der jahrzehntelang mit Dugin zusammenarbeitete, taucht in der deutschen Diskussion dagegen fast gar nicht auf. Jedoch entwickelte er ebenso eine interessante Philosophie, die durchaus einen Blick Wert ist.

Das erste Grundsätzliche, was man über Eduard Limonow sagen kann, ist, bei ihm sind Mode, Jugendkultur, Politik und Philosophie nicht zu trennen. Seine Nationalbolschewistische Partei sollte deshalb auch keine Partei, wie die AfD werden, sondern eine Mischung aus Partei, „Punkgruppe“ und Avantgarde. Dies schwappte teilweise auch in die ersten Texte Alexander Dugins über und ist z.B. eine Erklärung, warum in seinem „Arktogea Manifest“ die „Liste der bedeutendsten Philosophen“ ausgerechnet mit John Lydon von den Sex Pistols abgeschlossen wird.

Direkter Vorgänger der Identitären

Gerade deshalb muss Limonow wahrscheinlich als direkter Vorgänger der Identitären Bewegung, von Trends wie Vaporwave und von Leuten wie Chris Ares angesehen werden. Überraschenderweise erwähnt Limonow aber den Stanley Kubrik Film Uhrwerk Orange nirgends. Und das, obwohl seine Bewegung oft wirklich wie eine Übertragung der dortigen Jugendbanden in die Realität wirkt.

Das zweite ist: Limonow verwendet einen extrem persönlichen, gefühlsbetonten Stil, der schnell eine Nähe zum Leser aufbauen will und deshalb oft Mittel wie Anekdoten nutzt. Deshalb ist Limonows Stil das komplette Gegenteil zu Alexander Dugin, der oft so extrem akademisch trocken schreibt, dass man erst beim dritten Lesen kapiert, was er meint.

Die Schattenseite davon ist aber, dass Limonow vieles von dem, was er fordert, nicht wirklich durchdacht hat. Besonders beim Thema Wirtschaft fällt das sehr auf. Er regt sich z.B. zu Recht darüber auf, dass Arbeit prinzipiell „Mist“ ist und die Arbeiter ein tristes Leben als „Lohnsklaven“ zu führen haben. Das Thema Automatisierung erwähnt er aber nicht, sondern schlägt stattdessen an einer Stelle vor, dass man, damit die Leute weniger arbeiten müssen, freiwillig vereinbaren solle, weniger zu konsumieren.

Freiheitlicher Totalitarismus?

Der dritte Punkt: Auf den ersten Blick klingt Nationalbolschewismus natürlich sehr antifreiheitlich, autoritär und totalitär. Das täuscht gewaltig. Limonow schafft es, die freiheitlichsten Aspekte der Linken, der Rechten und ein paar wenigen Libertären zu einer Mischung zu kombinieren, die näher am Anarchismus als am Totalitarismus steht. Als Haupteinflüsse müssen der Anarchismus, der Traditionalismus (Evola etc.), die 68er-Studentenrevolution (besonders in Form der Hippie-Kommunen und der Werke Herbert Marcuses), amerikanische Milizkultur, die „Chaotentruppe“ des Baron Roman von Ungern Sternberg und das „linkshändige Christentum“, wie es z.B. von den sogenannten Täufern, den Chlysten und Grigori Rasputin vertreten wurde, genannt werden.

Limonows Grundthese kann so beschrieben werden, dass er ähnlich wie Ted Kaczynski, René Guénon, Theodor Adorno und Martin Heidegger die Moderne als einen Prozess sieht, bei dem die Welt immer mehr technisiert, quantifiziert und in ein regelmäßiges Raster gebracht wird, was von oben herab leicht kontrolliert werden kann. Dieser Prozess macht die Welt zwar effizienter und sicherer. Er sorgt aber gleichzeitig dafür, dass die Welt „langweiliger“ wird, der Mensch sich von seinem Leben und von anderen immer mehr entfremdet, und traditionelle Systeme wie die Familie entwertet, unterhöhlt, und zu reinen Machtinstrumenten des Staates degeneriert werden. Direkt spürbare Auswirkungen dieses Prozesses seien vor allem die Ausbeutung der Arbeiter, sowie das moderne Schulsystem, das die Kinder nur noch auf Gehorsam drillen würde.

Die Entscheidung zwischen Kapitalismus und Kommunismus spielt deshalb eine untergeordnete Rolle. Kapitalistische Staaten würden den freien Markt predigen, aber diesen nicht leben. Stattdessen hätten sich im Westen dieselben „Kontrollstrukturen“ etabliert wie im Kommunismus. Mit dem Unterschied, dass der Westen statt dem Staat einige internationale Megakonzerne bevorzugen und zu deren Gunsten die wirtschaftliche Freiheit aller Anderen zerstören würde.

Eine Folge davon sei, dass es im Westen zwar private Unternehmen gibt, aber bis auf wenige Ausnahmen keine visionären Unternehmer, die durch ihren eigenen Geist das Unternehmen prägen. Stattdessen seien Unternehmen zu Aktiengesellschaften verkommen, deren Eigentumsverhältnisse so zersplittert seien, dass gar nicht mehr klar sei, zu wessen Nutzen ein Unternehmen noch existiert.

Diktat der wirtschaftlichen Effizienz

Diese Entwicklung würde auch versuchen, jede andere Kultur und Lebensweise zu zerstören und alle Menschen unter das Diktat der wirtschaftlichen Effizienz zu stellen. Dieses Phänomen sei der Kern der Globalisierung. Der Gegenpol dieser Entwicklung sei die Kulturentwicklung. Limonow ist hier vor allem Anhänger der geschichtsphilosophischen „Theorie der großen Männer“. Diese Theorie ist die Antithese zur marxistischen Geschichtsphilosophie, die den Lauf der Geschichte in Gruppendynamiken verordnet.

Die Theorie der großen Männer geht hingegen davon aus, dass einige herausragende Menschen durch ihre Ideen und ihre Taten den Lauf der Geschichte beeinflussen, während die Masse nur ein „träger Haufen desinteressierter Deppen“ sind, die nur als Mitläufer auf einen „Zug“ aufspringen.

Dieser besondere Mensch, der die Geschichte lenkt, ist der Radikale abseits der Masse, der sich nicht darum schert, was das gemeine Volk von ihm denkt, und stattdessen nur nach dem lebt, was er für richtig hält. Der Bezug zu Nietzsches Übermensch ist hier offensichtlich.

Kulturschaffende Genies

Da die Moderne den Menschen jedoch nur als Zahnrad im Getriebe haben will, bekämpft sie diese „kulturschaffenden Genies“ besonders stark. Deshalb leben solche Leute heute als „Ausgestoßene“ am Rand der Gesellschaft. Und hier kommt nun Herbert Marcuse ins Spiel. Dieser hatte beschrieben, dass die „Ausgestoßenen“ einer Gesellschaft die wahre revolutionäre Klasse seien, mit deren Hilfe man eine neue Gesellschaft errichten könne.

Laut Limonow repräsentieren diese Leute die Vorstufe dieses eben beschriebenen nietzscheanischen Übermenschen. Und eine solche Gruppe von Verfemten sind laut Limonow halt die Punks, an die er sich besonders wandte. Aber gleichzeitig auch alle Art von Radikalismus, egal ob links, rechts, religiös oder anarchistisch motiviert.

Dies könnte man jetzt sehr individualistisch deuten. Dies stimmt aber nicht ganz. Der Individualismus, wie er heute typisch für die westlichen Staaten ist, stellt für Limonow eine kranke Folge der Moderne dar, geboren aus Angst vor Syphilis und anderen Seuchen. Stattdessen brauche der Mensch die Gemeinschaft, um sein Potenzial und seine Freiheit zu entfalten. Limonow entwickelt dabei ein Konzept, das grob an den typisch neurechten Kommunitarismus und an Kommunen von linken Anarchisten und Hippies sowie an Jack Donovans Idee der „neuen Barbarenstämme“ erinnert. Man muss sich die ideale Kommune im Limonowschen Sinne auch in etwa als eine Art große Familie vorstellen, wo jeder entweder miteinander verwandt oder verheiratet ist.

Jeder soll mit jedem verheiratet sein

Dies meint Limonow übrigens nicht so „metaphorisch“, wie es sich vielleicht anhören mag. In Das andere Russland fordert Limonow, dass die Bewohner einer solchen Kommune tatsächlich freiwillig den Besitz und die Ehepartner teilen sollen, sodass tatsächlich wörtlich jeder mit jedem verheiratet sein soll. Er geht dabei sogar so weit, dass man andere Mitglieder der Kommune, die da Probleme anmelden, auf die Sprünge helfen solle.

Diese Forderung nach freier Liebe war ein Hauptgrund, warum Alexander Solschenizyn mit Limonow verfeindet war. Tatsächlich ist dies aus traditionalistischer Sicht unter Umständen heikel. Julius Evola hat aber sowohl die Ehe als auch die Orgie als legitime traditionelle Form von Sexualität und Partnerschaft bezeichnet. Und Terence McKenna, der als Hippie für freie Liebe und Drogen war, hatte ein dem Traditionalismus sehr ähnliches Weltbild.

Als Grundvoraussetzung für eine Gemeinschaft sah Limonow aber die Bereitschaft an, für seine Lieben und seine Familie zu kämpfen und dabei auch möglicherweise zu fallen. Limonow nennt dies formell die Wehrpflicht. Jedoch meint er damit, typisch für seine anarchistische Art, eher die Vorstellung einer Bürgerwehr, wie sie in den USA insbesondere durch das Second Amendment verwirklicht ist. Nach Limonow sorgt es, wenn der Einzelne selbst Waffen besitzen und sich organisieren und verteidigen darf, dafür, dass er ein gesundes Misstrauen gegenüber zentraler Autorität entwickelt.

Der Zusammenbruch des Globalismus

Laut ihm stehen der moderne Staat und der Globalismus kurz vor dem Zusammenbruch. Das liegt daran, weil jedes System von innen heraus mit der Zeit immer korrupter und „verfaulter“ wird und man diesen Prozess höchstens verlangsamen, aber nie aufhalten könne. Man solle diese Zeit nutzen und Kräfte sammeln und eine „Allianz der Separatisten“ bilden. Dies bedeutet, eine Allianz aller Kräfte, die selbst über ihren Lebensstil entscheiden wollen. Das kann vom anarchistischen Freigeist bis hin zum religiösen Sektierer jeder sein. Irgendwann sei dann der richtige Zeitpunkt gekommen und dann könne man das System leicht endgültig in den Abgrund treten.

Dies sei der Endpunkt von Moderne und Zentralstaat. In dem darauf folgenden Chaos würden sich die Menschen in Nomadengruppen und kleinen Dorfgemeinschaften neu organisieren. Es würde eine Vielfalt an freiwilligen Zusammenschlüssen unterschiedlichster Kulturen und Lebensweisen entstehen, die für sich frei leben würden. Und diese würden sich wie frühere Fürstentümer dann zu einem neuen „feudalen“ Russland organisieren.

Man merkt: Limonows Philosophie ist deutlich chaotischer und „zerstörerischer“ als die von Dugin und den meisten Neuen Rechten. Deshalb wird es für viele auch nicht in Frage kommen, sein System eins zu eins zu übernehmen. Jedoch gelang es Limonow, auch von einem traditionalistischen bzw. konservativen Standpunkt aus, eine extrem dynamische Philosophie zu entwickeln. Und gerade weil viele Konservative in Biederkeit, Humorlosigkeit, Spießbürgerlichkeit und Lebensfeindlichkeit versinken, lohnt sich ein Blick auf die Philosophie der extremen, chaotischen Freiheit eines Limonow als Gegenmittel.

(Bild: Svklimkin, Wikipedia, CC BY-SA 4.0; Logo der 2005 verbotenen Nationalbolschewistischen Partei Russlands)

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