Gesichtet

Ehemalige Kolonien oder Partner der Gegenwart?

Während die deutschen Kolonien in Afrika, China und dem Südpazifik zu Kaisers Zeiten ein reines Verlustgeschäft waren, ist die Gegenwart seit den 1960ern von einer durchwegs partnerschaftlichen Zusammenarbeit geprägt. Denn Deutschland tritt bis heute als führender Geber von Entwicklungshilfe auf – trotz seiner vergleichsweise kurzen Kolonialgeschichte.

Spätzünder Kaiserreich

Großbritannien, Frankreich und Portugal begannen bereits am Beginn des 17. Jahrhunderts mit der Aufteilung der Welt. Erste Kolonien entstanden 1605. Erst 1884 beteiligte sich auch das Deutsche Kaiserreich im Wettlauf der europäischen Großmächte um Afrika. Die fehlende Erfahrung schlug sich in der Außenhandelsbilanz nieder: Gerade einmal 0,6 Prozent betrug der Anteil deutscher Kolonien an ihr. 1885 bis 1905 standen Einnahmen von 250 Millionen Reichsmark Ausgaben in Höhe von 7.500 Millionen gegenüber.

Umbau der Kolonialpolitik

Die Verfehlungen in der Behandlung der einheimischen Bevölkerung in den deutschen Kolonien dürfen nicht verharmlost und vergessen werden. Doch 1905 fand ein ganzheitliches Umdenken statt: Ein eigenes Ministerium, das Reichskolonialamt, wurde u.a. zur Verbesserung der Lebensbedingungen gegründet. Medizinische Versorgung für die Einheimischen, der Bau von Schulen und die Investition in Straßennetze waren wichtige Schritte, um den Kolonien zu einem wirtschaftlichen Aufschwung und finanzieller Unabhängigkeit vom Kaiserreich zu verhelfen. Vor Ort wurde an Problemen gearbeitet, so etwa in Togo, wo eine Landkommission die Rechtswidrigkeiten bei Verträgen mit Eingeborenen aufdeckte. Mit der Landreform 1910 wurde dann der Aufbau einer indigenen Wirtschaft gefördert.

Gemeinsamer Widerstand im Ersten Weltkrieg

Mit Ausbruch des Krieges im August 1914 fand diese zaghaft positive Entwicklung ein jähes Ende: Die Ententemächte besetzten die deutschen Kolonien oder schickten Soldaten, um die dortigen deutschen Truppen zu schlagen. Doch anders, als man aus heutiger Perspektive vielleicht annehmen möchte, haben sich im Falle Deutsch-Ostafrikas, die einheimischen Truppen nicht als endlich Befreite gesehen, sondern haben sich dem dortigen Kommandeur Paul von Lettow-Vorbeck angeschlossen – und unter härtesten Entbehrungen den Truppen der Entente über Jahre hinweg Widerstand geleistet.

Mit der Niederlage des Kaiserreichs verwandelte der Völkerbund die deutschen Afrika-Kolonien in Mandatsgebiete und setzte Großbritannien, Frankreich, Belgien und Portugal sowie die Südafrikanische Union zur Verwaltung ein. Die Mandatare waren dabei jedoch de jure und de facto Souverän des jeweiligen Mandatsgebietes. Der Verletzung der Mandatspflichten (z.B. die willkürliche Teilung Syriens durch Frankreich) standen keinerlei Sanktionsmöglichkeiten gegenüber.

Kurze Phase der Kolonialisierung, lange Phase der Zusammenarbeit

Während beispielsweise Tansania 28 Jahre deutsche Kolonie war, stand das Land von 1919 bis zur Unabhängigkeit 1961 unter britischem Mandat. Trotz dieser vergleichsweise kurzen Phase trat Deutschland – geprägt durch die Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg – in ebendiesem Jahr der Gemeinschaft der Entwicklungshilfe-Geberstaaten bei. Wohlgemerkt direkt nach den schweren Wiederaufbaujahren des völlig zerstörten Landes.

In denselben Zeitraum fällt auch die Unabhängigkeit Kameruns. Deutschland zögerte nicht mit der Anerkennung und Unterstützung des jungen Staates, die bis heute andauert (u.a. in den Bereichen Gesundheit, Trinkwasserversorgung und Umweltschutz). Auch Namibia stand man auf dem Weg in die Unabhängigkeit zur Seite und zahlte in den Jahren 1990 bis 1997 mehr als jedes andere Geberland.

Ähnliches lässt sich im Falle von Burundi und Ruanda berichten. Die historischen Bindungen mögen die Kontaktaufnahme erleichtert haben, doch getragen wurde das deutsche Engagement von einer klaren antikolonialen Grundhaltung. Und mit dieser betrachtet man die jungen, afrikanischen Staaten zu Recht nicht als ehemalige Kolonien sondern als Partner auf Augenhöhe.

(Bild aus Ruanda, Pixabay)

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