Rezension

Grautöne der Geschichte und Innere Emigration

In diesem Jahr hat sich Peter Sloterdijk philosophisch mit der Farbe Grau beschäftigt. Natürlich streift er dabei Hegel, der meinte, die Philosophie male „ihr Grau in Grau“.

Darum sollten sich auch Historiker bemühen. Denn selbst die dunkelsten Kapitel der Geschichte werden erst durch ihre Grautöne interessant. Sie können nur dann spannend aufbereitet werden, wenn die Erzähler den Mut aufbringen, vom Schwarz-Weiß- bzw. Gut-Böse-Schema abzuweichen.

„Grau in Grau“ sollte der Anspruch sein. Was heißt das nun für die Zeit des Nationalsozialismus? Der Germanist Prof. Dr. Günter Scholdt zeigt es eindrucksvoll am Beispiel der Literatur. Sein neues, fast 500 Seiten starkes Buch will Schlaglichter auf die „Innere Emigration“ setzen und das gelingt Scholdt wirklich herausragend.

Warum? Zum einen durchbricht er die selbstinszenierte Heroisierung der Exil-Schriftsteller und die damit verbundene Dämonisierung aller Künstler, Dichter und Autoren, die zwischen 1933 und 1945 bewußt in Deutschland blieben. Wer in die innere Emigration geht, nimmt häufig größere Risiken auf sich als jemand, der flieht. Das ist übrigens auch für die Gegenwart eine wichtige Lehre, nachdem die weltoffene Bundesregierung alle (institutionellen) Brücken zur russischen Kultur abbrach, um es Putin so richtig zu zeigen. Wie dumm ist das nur? Wer so handelt, fällt ausgerechnet den Dissidenten am meisten in den Rücken.

Zum anderen überzeugen Scholdts Schlaglichter auf die Innere Emigration, weil sie ein differenziertes Bild von der Zensur im Dritten Reich beinhalten. Wußten Sie, daß Werner Bergengruens „Großtyrann“ über 200.000-mal über die Ladentheke ging? Wußten Sie, daß selbst der Propagandaminister Goebbels die Bücher der inneren Emigration bisweilen mit Genuß las und sich z.B. positiv über Hans Fallada äußerte? Und wußten Sie, daß man selbst nach einem Aufenthalt im Konzentrationslager Bestseller schreiben konnte (Ernst Wiechert: Das einfache Leben, 1939)?

Im Deutsch- und Geschichtsunterricht genauso wie an unseren Universitäten werden solche Details fast immer verschwiegen. Vielleicht käme sonst der eine oder andere Schüler auf zu intelligente Gedanken …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Datenschutzinfo