Anstoß

Halbtote Sieger

Nein, das ist kein Wahlergebnis, das einen Freudentaumel auslösen könnte. Wer sich sicher sein mußte, daß keine Alternative, sondern das eine oder andere Übel zu erwarten war, wird sich nur daran trösten können, daß es noch schlimmer hätte kommen können.

Seine sehr begrenzten Hoffnungen wird er darauf richten, Größe und Entwicklungstendenzen der verschiedenen Übel gegeneinander abzuwägen. Nur ein Narr konnte erwarten, daß eine Regierung zustandekam, die die großen überlebenswichtigen Fragen unseres Landes zumindest anpackt oder vielleicht sogar ein großes Stück löst.

Weiche Sessel mit bester Aussicht sind am Abgrund aufgestellt worden, damit in ihnen all jene Spießbürger ihren Tiefschlaf fortsetzen können, die für ein tatkräftiges WEITER SO plädieren, für Merkelei ad infinitum. Und die Gegenentwürfe? Das Projekt der allwissenden Nachfolgepartei für eine wahrhaft demokratische Neo-DDR findet in ganz Deutschland immer weniger Gefolgschaft und der Parlamentseinzug wird zum Dauer-Drahtseilakt.

Das Projekt einer patriotisch-selbstbewußten Souveränitätspolitik, verfochten zuallererst durch die AfD, hat sogar im Westen seine Anhänger, allerdings in FDP-Dimensionen, aber es steht und fällt mit den mitteldeutschen Wahlergebnissen, mit 20 % plus x und mit den siegreichen Direktkandidaten dort. Immerhin hat es der CDU-Ostbeauftragte Marco W. (genau der, den die „Berliner Zeitung“ zum „Mann der schiefen Töne“ ernannt hat und der im Kreuzworträtsel immer als „herumlatschender Scherz“ gesucht wird), nicht geschafft, nach 19 satten Erbhof-Jahren den Sieg des AfD-Abgeordneten Mike Moncsek zu verhindern.

Und die staatstragenden Parteien? Wer wird als Sargträger bei der Beerdigung der Nation nominiert werden? Mehr und mehr ist der Zuschauer versucht, sich inständig zu befragen, ob er nicht doch das eine oder andere Tröpfchen zu viel getrunken hat, wenn er immer wieder am Fernsehschirm von Doppelbildern geplagt wird. Denn die FDP scheint zweifach aufzutreten. Einmal mit einem Herrn Lindner, zweifelsohne dem begabtesten Staatsschauspieler der Saison, besonders brillant in der Rolle als Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer Versicherung, und dann gleichzeitig noch mit einem Duo, das als grüne FDP 2.0 bereitsteht als allseitig offener Partner für die Ehe auf Zeit.

Aber waren da nicht doch ein paar reale Probleme? Was ist mit den „bis zu 520.0o0 illegalen Einwanderern“, die „im Chaos der Flüchtlingskrise in Deutschland einfach untergetaucht“ sind und vielfach über kriminelle Energie verfügen, von denen der hessische CDU-Landtagsabgeordnete Ismail Tipi, ein laizistischer Reformmuslim, 2019 sprach?

Warum ist die deutliche Asylpolitik Dänemarks, die einen Rückgang von rund 30.000 Asylanträgen 2016 auf noch 2.700 im Jahr 2019 erreichte, kein Vorbild für Deutschland? Wie sollen jene sechs Billionen Euro bzw. 240 Milliarden Euro im Jahr zusammenkommen, die nach einer neuen Studie der Beraterfirma McKinsey nötig sind, um Deutschland bis 2045 „klimaneutral“ zu machen, was große Spieler aus der internationalen Hochfinanz und die Anhänger der Zivil- und Endzeitreligion der „Klimaschützer“ verlangen?

Was soll aus der groß angekündigten Überwindung der gesellschaftlichen Spaltung werden, wenn außer Almosenerhöhung in Sachen Mindestlohn nichts geschieht, statt daß durch Bildungsoffensiven, Leistungsorientierung, Bestenauswahl, Bürokratiebeseitigung der neue Aufschwung einer starken „Deutschland AG“ ermöglicht wird?

Wann werden die Kirchen, statt gegen die politische Opposition zu hetzen, ihre eigentliche Aufgabe erfüllen, so wie Bischof András Veres, der Vorsitzende der ungarischen Bischofskonferenz, es sagte, die christlichen Werte Ehe, Familie und Lebensrecht zu verteidigen? Wann hört es auf, daß alle, die in Sachen Corona offene Diskussionen, faire Information und persönliche Freiheiten fordern, als Staats- und Volksfeinde attackiert werden?

Ich bin kein Coronaleugner, denn ich habe nie die Existenz der Corona-Viren oder von Covid-Kranken bestritten. Ich verlange nicht zu wissen, wer geimpft ist und wer nicht, und ich mache kein ideologisches Glaubensbekenntnis daraus, daß ich geimpft bin und keine Nebenwirkungen verspüre. Meine Haltung ist, daß es wichtigere Fragen für unser Land gibt als die Pandemiebekämpfung und daß es die Aufgabe ist, Menschen zusammenzubringen, die in Sachen Corona uneins sind, aber im Kampf für ein anderes, besseres Deutschland verbunden.

Ich bin kein Klimaleugner. Ich leugne nicht, daß es ein Klima gibt und daß es einem Wandel unterliegt. Ich sehe nur nüchtern: Das Wetter, auch das Starkwetter mit Regenfluten, ist nicht das Klima. Daß das Ahrhochwasser und der Vulkanausbruch auf La Palma Folgen der Klimakrise sind, ist eine leicht steile Hypothese, nicht mehr. Die einen Wissenschaftler sagen so und die anderen anders. Man kann ihnen glauben, aber man kann auch zweifeln und sich fragen, ob sich die kleinen Menschlein nicht wieder einmal überschätzen, wenn sie sich für alles verantwortlich fühlen und glauben, stärker zu sein als Sonne, Mond und Erde zusammen, die vor ihnen da waren und nach ihnen da sein werden.

Fest steht jedenfalls: Die Deutschen, ein Prozent der Weltbevölkerung, können mit ihren allenfalls zwei bis drei Prozent Einfluß auf das Weltklima nichts Wesentliches bewegen – außer im eigenen Land, vom Blackout bis zur Deindustrialisierung. Wieder einmal zeigt sich die deutsche Nationalkrankheit des Schwankens zwischen Totaldepression und Hyperaktivismus, verbunden mit einer ungezügelten Selbstüberschätzung und der idealistischen Erwartung, daß die Wirklichkeit sich zwingen läßt.

Das ist die fatale Gemeinsamkeit zwischen der äußersten Linken und der äußersten Rechten in Deutschland: Die KPD-Aufstände 1918 bis 1923 ebenso wie Kriegsführung und Kriegsbegeisterung 1940 bis 1942 waren geprägt von Maßlosigkeit, Verweigerung kritischer Wahrnehmung, Fehlen langfristiger Voraussicht.

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