Gesichtet

Italien-Reportage: Mauerfall und Ernst Jünger

Am dritten Tag der Konferenz erhofft man sich, daß jemand aufsteht und „Silenzio!“ in den Saal ruft. Aber als einzigem Deutschen steht mir das unmöglich zu – zumal hier im fernen Catania an den Mauerfall in Berlin vor dreißig Jahren in einer Weise erinnert wird, die als würdig und bewegend bezeichnet werden muss und zunächst von deutscher Seite Dank verdient.

Die Partei Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni (Kurzinterview in JF, Nr. 36/2019) widmete die Veranstaltung „MuovitItalia“ am zurückliegenden Wochenende (8.–10. November) dem Mauerfall 1989 und den seither innerhalb der EU mehr und mehr neu errichteten geistigen Mauern. In Italien geht das selbstverständlich in einem eleganten Hotel am Meer und ohne Störung durch staatlich finanzierte Antifa.

Ideenflut von in Deutschland gänzlich unbekannten Personen

Wie stets bei politischen Veranstaltungen in Italien ist das Programm vollgepackt, denn es finden sich für die je gut zweistündigen Vorträge nicht etwa nur ein, sondern zwischen fünf und zwölf Redner auf der Bühne ein, die kaum wirklich diskutieren, sondern nacheinander ihre Meinungen und Ideen zum Thema vorstellen, zumeist in zwei Runden. Dies hat den Nachteil, daß jene, die gerade nicht sprechen, abgelenkt etwa auf ihr Smartphone schauen. Überhaupt ist die Ablenkung auf dem Podium wie im Saal groß. Der Bürgermeister Catanias, Salvo Pogliese, will begrüßt werden. Man will zeigen, daß man anwesend ist, und man erklärt mir, daß ein Großteil vor allem deshalb kommt.

Das aber wäre bedauerlich, denn das von der Jugend der Partei organisierte Programm hatte es in sich. Nahezu jeder Vortragende wäre wert hier vorgestellt zu werden, aber bisher ist außer Giorgia Meloni wohl kaum jemand von ihnen in Deutschland bekannt, und so genügt eine kurze Übersicht der Hauptgedanken jener Tage, während wer des Italienischen fähig ist, einzelne Reden unter „MuovitItalia“ auf Facebook findet.

Am Freitagabend sprach nach der Einführung in das Thema, was der Zusammenbruch des Kommunismus für uns heute bedeutet, Giorgia Meloni vor rund sechshundert – wie stets in Italien gut gekleideten – Gästen. Es war ein Rundumschlag zu allen relevanten Fragen, die heute Italien und Europa bewegen. Von den Steuererhöhungen durch die derzeitige Regierung aus Movimento 5 Stelle und Partito Democratico etwa auf Plastik, über die EU, die sich nicht Merkel und Macron unterwerfen dürfe, bis zur Forderung nach mehr direkter Demokratie etwa bei der Wahl des Staatsoberhauptes.

Tabufreie Diskussionen über Migration

Die Migration aus Afrika wurde – kaum anders zu erwarten – von Meloni wie anderen Vortragenden als die Herausforderung Europas betont, sind die Häfen des Landes doch seit Salvinis Rücktritt wieder offen, wird Italien erneut von der EU alleine gelassen und ist der Versuch der regierenden Linken, den Bevölkerungsaustausch durch zügige Einbürgerung von Migrantenkindern zu fördern, in Italien kein tabuisiertes Thema.

Wurde die Bedeutung der Jugend für die Politik von den bisherigen Rednern hervorgehoben und bedenkt man, daß sich im Anschluß zwölf Jugendliche über das Thema „Gegen die Mauer der Gleichgültigkeit: Jugend und Leidenschaft für die Politik“ unterhielten, so fiel unangenehm auf, daß sich nicht nur der Saal sehr leerte, sondern auch, daß sich die Parteichefin nicht die Mühe machte, ihrer zahlreich anwesenden Jugend zuzuhören, sondern abfuhr. Dabei hatte jeder einzelne dieser sympathischen Jungen etwas zu berichten, aus seiner Stadt, von der Schule und Universität, von der Gleichgültigkeit der Jugend gegenüber der Politik, die es vor allem der Linken leicht mache, sie mit ihren einfachen Themen und Parolen ohne Lösungsansätzen an sich zu ziehen.

Das Hauptthema war die Auswanderung gut ausgebildeter junger Italiener, ein Thema, das die italienische Politik gerne herunterspielt – und hinzuzufügen wäre, daß die deutschen Mainstreammedien dies ebenfalls gerne ausklammern. Dagegen steht die von den „Eliten“ und der EU geförderte Einwanderung aus Afrika mit all ihren ebenfalls verdrängten Folgen. Es muß – so einer der Jungen – aber ein Recht sein, für Italiener wie Afrikaner, im Land der Herkunft und eigenen Kultur seine Zukunft aufbauen zu können.

Umweltschutz steht im Fokus und verhaltenes Lob für Greta-Bewegung

In einer Diskussionsrunde am folgenden Nachmittag wurde „Das politische Engagement“ nochmals thematisiert, nunmehr bezogen auf Umwelt- und Naturschutz. Hier waren vor allem die Anmerkungen zu Greta Thunberg interessant, zumal die Vortragenden aus dem Bereich von Politik, Umweltschutz und Wissenschaft kamen. Der junge konservative Verleger Francesco Giubilei wollte sich auf keinen Fall an der Seite der Fridays for Future-Ideologie sehen und wies darauf hin, dass Greta aus dem sozialistischen und multikulturell-experimentierenden Schweden mit all seinen Verwerfungen komme, hingegen sei der Schutz der Natur von jeher ein konservatives Thema.

Der Umweltschützer, Unternehmer und Weinbauer Riccardo Tomasello empfindet das Phänomen Greta – trotz des dahinterstehenden Apparats – hingegen mehr als beachtenswert, denn es zeige, daß der Naturschutz von tausenden Jugendlichen im Westen ernst genommen wird und sie auf die Straße bringt, was bei anderen politischen Themen nicht der Fall sei. Obwohl sich alle Redner einig waren, daß der Naturschutz keiner politischen Richtung angehöre, war man sich ebenso bewußt, daß man der Linken das Feld nicht überlassen dürfe, denn diese sei – der Blick in den zusammengebrochenen Ostblock mit seinen Umweltzerstörungen genüge – niemals wirklich Verteidiger und Bewahrer der Natur mit allen notwendigen Konsequenzen und Einschränkungen gewesen.

Im Anschluß sprachen verschiedene Politiker, unter denen die Europa-Abgeordnete Elisabetta Gardini zu nennen ist, zum eigentlichen Thema dieses 9. Novembers: „30 Jahre danach. Die einzureißenden Mauern im Europa der Bürokraten“.

Patrioten müssen Freiheit verteidigen

Zu Recht – so wurde betont – kann die Rechte behaupten, daß sie es war, die stets für die Freiheit in Europa und gegen die Mauer stand. Sie war es, die trotz der unbesiegbar scheinenden Sowjetunion an der Einheit Berlins, Deutschlands und Europas festhielt. Aus diesem Grund muß die Linke, die heute versucht, durch die Hintertür ihre Ideologie wieder in Europa einzuführen, daran erinnert werden, daß die Menschen nicht aus dem „Paradies“ flohen, sondern vor Kommunismus und Sozialismus, und auch vor geistiger Zensur, die nunmehr mittels eines angeblich toleranten, friedlichen und humanen pensiero unico (Einheitsgedanken) erneut Stück für Stück durchgesetzt werde. Von allen Rednern wurde betont, daß die Geschichtsdeutung nicht dieser Linken überlassen werden dürfe, und daß die Rechte erneut die Freiheit verteidigen müsse.

Um noch auf einen Themenblock hinzuweisen, der leider im rumore der Gäste unterging: Am Sonntagmorgen befassten sich fünf Literaten mit „Die Freiheit denken, jenseits der Mauern. Konversation zu Ernst Jünger“. Die Weite des Jüngerschen Denkens über alle „Mauern“ und ein Jahrhundert hinweg wurde herausgearbeitet. Michele De Feudis stellte das gerade auf Italienisch unter seiner Beteiligung erschienene Buch von Dominique Venner zu Jünger vor, und Professor Marco Leonardi rief den Zuhören zu: „Lest, lest, lest Ernst Jünger!“.

Der Saal war mittlerweile wieder gefüllt, sprachen doch im Anschluß der Bürgermeister nebst anderen Politikern verschiedener Parteien über die Entwicklung des Centrodestra, jenem Wahlbündnis in Italien, dessen Führung von Berlusconis Forza Italia nunmehr auf Salvinis Lega übergegangen ist und das mit Fratelli d’Italia weiter kräftig angewachsen ist.

An dieser Stelle verlassen wir die italienische Innenpolitik, doch sei noch die kleine Showeinlage seitens der Parteijugend erwähnt: Der symbolische Mauerfall einer Pappmauer mit Direktübertragung zu einigen Jugendlichen, die sich gerade zu den Feierlichkeiten in Berlin aufhielten. Als ich mir danach ansah, wie das alles in der Bundesrepublik begangen wurde und wie die Geschichtsbilder bei uns mehr und mehr verdreht und verwischt werden, wurde mir erst ganz bewußt, daß man den Veranstaltern in Catania ein großes Kompliment und Dank für ihre von wahrer Vielfalt und freiem Denken getragene Veranstaltung aussprechen muß – was hiermit geschieht.

Und was nimmt man als Deutscher noch aus Catania mit? Man erinnert sich wieder an das Glück des Mauerfalls und daran, daß das unbesiegbar scheinende besiegbar ist.

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