Für eine positive Kritik, eine kleine Schrift Dominique Venners, geschrieben während des entscheidenden Wendepunktes seines Lebens, ist jetzt zum erstem Mal auf Deutsch erschienen.
Man muß Verlagsgründer Philip Stein zurechnen, daß er mit dem gerade einmal zweiten Buch seines Jungeuropa Verlages einen Goldgriff getan hat. Mit Venners Pour une critique positive hat er einen jener Schätze für den deutschen Sprachraum geborgen, die seit Jahrzehnten in übersetzter Fassung vorliegen sollten.
Gefängnisschrift
Der 2013 in der Kathedrale Notre Dame de Paris durch Freitod aus dem Leben geschiedene Venner verfaßte Für eine positive Kritik im Gefängnis La Santé, im Trakt für politische Gefangene. Während seiner Jugend schloß sich der 1935 geborene Venner dem Putsch gegen Charles de Gaulle und der Untergrundorganisation OAS (Organisation de l‘Armée Secrète) an. Er wurde verhaftet, verurteilt und schrieb dieses schmale Bändchen (der deutsche Text beträgt gerade einmal 45 A5 Seiten, eine mir vorliegende Originalfassung kommt auf 23 A4 Seiten), in welchem er die Fehler des bisherigen nationalen Lagers Punkt für Punkt auseinandernimmt.
Bauanleitung für die Nationale Revolution
Gleichzeitig will Venner seine Schrift als Handreichung für einen Neuanfang nach der Katastrophe des gescheiterten Putsches wissen. Darin liegt die Aktualität dieser 1962 zum ersten Mal, damals noch anonym veröffentlichten Schrift. Denn zahlreiche Fragen und Anregungen sind in der Zwischenzeit versandet, weil es keinerlei Möglichkeit für eine politische Wende gab und sich die oppositionellen Kräfte in Intellektuellenzirkel einerseits, anderseits in den Radau zurückzogen.
In unserer Zeit, in der die Verhältnisse wieder zu tanzen beginnen, stehen wir damit vor den gleichen ungelösten Fragen, die auch den 1961 in seiner Zelle sitzenden Venner umtrieben: Wie organisiert man aktivistische Kader? Welche Rolle spielt die weltanschauliche Theorie? Wie stehen wir zur Gewalt? Wie halten wir den Kontakt zu den Massen? Wie gehen wir mit Exzentrikern, gar Spinnern um? All diese Fragen und mehr behandelt Venner kurz, bündig und dabei trotz des kantigen Tonfalles doch mit der gebotenen Feinspürigkeit für die Problemlagen.
Grundriß der Nouvelle Droite
Gleichzeitig lieferte der damals in Frankreich vielbeachtete Text erste Grundrisse dessen, was wenig später als Nouvelle Droite, zu deutsch Neue Rechte bekannte werden sollte. Dafür steht vor allem das bewußte Europäertum, welches den innereuropäischen Völkerstreit als verstaubtes Relikt und Geschäft von Ewiggestrigen verachtet. Für Venner hatte Europa insgesamt den Zweiten Weltkrieg verloren und fand sich nun von zwei fremden Mächten besetzt wieder. Dieses Europäertum verband sich bei Venner bereits damals mit einer grundsätzlichen Ablehnung der Europäischen Union: „Die europäischen Institutionen verbreiten nun europaweit die Laster und das Gedankengut, das ihre Regime in jeder einzelnen Nation geschaffen haben und multiplizieren sie noch.“
Gegen dieses Europa der Dekadenz rief Venner nicht mehr zum bewaffneten Aufstand auf. Er forderte sogar die schleunigste Liquidierung der letzten Reste der OAS. Stattdessen zeigt Für eine positive Kritik bereits die Wege zum Kulturkampf auf. Wenn der Jungeuropa Verlag auf die Rückseite des Büchleins den Satz schreibt „Die Schlüsselschrift der europäischen Rechten. Ohne sie – keine Strategie, ohne sie – keine Theorie, ohne sie – keine Neue Rechte.“, dann ist das zwar marktschreierisch bis zur Unerträglichkeit, aber auch nicht ganz unberechtigt.
Handwerkliche Mängel
Soll ein sechsundfünfzig Jahre alter, an der damals aktuellen Situation orientierter Text heute mit Gewinn gelesen werden, so werden die meisten Leser auf Erläuterungen und Kommentare angewiesen sein. In der Ausgabe des Jungeuropa Verlags wird dies umfangreich durch zwei Einleitungen und einen kurzen Endnotenapparat erreicht. Die erste Einleitung, verfaßt von Benedikt Kaiser, schildert Leben und Werk Dominique Venners. Die zweite, aus der Feder der beiden französischen Aktivisten Jean-David Cattin und Philippe Vardon-Raybaud, führt zum eigentlichen Text.
In Übersetzung und Kommentierung haben sich leider jedoch handwerkliche Mängel eingeschlichen. Das nègritude, der Name einer literarischen Strömung frankophoner Schwarzafrikaner, mit „Negertum“ übersetzt und in Anführungsstriche gesetzt wird, anstatt die richtige Bezeichnung stehen zu lassen und im Kommentar zu erläutern, wäre noch eine Kuriosität. Doch die Übersetzung ist leider nicht einwandfrei. Die gestanzten Sätze Dominique Venners sind zwar meist gut übertragen, doch in der Übersetzung des Vorworts Cattins und Vardon-Raybauds platzen in jedem zweiten oder dritten Satz die französischen Stilmittel durch das Korsett der deutschen Grammatik. Das macht einen unfreiwillig komischen Eindruck.
Abgeschlossen wird die Jungeuropa-Ausgabe von Für eine positive Kritik von dem Interview, das Venner kurz vor seinem Tod der Zeitschrift Sezession gab und von den beiden Texten, in denen er seinen Freitod begründete.
Damit sich Fehler nicht wiederholen
Venners handlicher Text ist ein wertvoller Leitfaden, der uns sagt, was wir tun können, vor allem aber, was wir nicht tun sollten. Wer in Europa etwas zum Besseren wenden will, der sollte Für eine positive Kritik auf dem Schreibtisch liegen haben und sei es nur damit dieselben Fehler nicht ständig wiederholt werden.
Hier kann das Buch direkt beim Verlag bestellt werden.
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