Gesichtet

„Ökonomisten“ der Politik

Der Erfolgswahn des politischen Pragmatikers endet letztlich in Faktenfetischismus oder im Zynismus.

Die intime Verwandtschaft einer jeden pragmatistischen Erfolgsethik zum Zynismus lässt sich leicht nachweisen. Der Zynismus ist dabei meist selbst die Folge pragmatistischer Anschauungen. Diese kennen nur Erfolgsbilanzen. Abstrakt den Erfolg anzuvisieren gilt für realistisch, solange sich auf konkret erreichte Erfolge als Bilanz, als Tatsache hinweisen lässt.

Die Bilanz wird hier schlichtweg den Tatsachen gleichgesetzt, die Tatsache selbst wiederum dem Werte gleichgestellt. Am Ende steht die Tatsache als Selbstwert da: Tatsachen sind selbstverständlich, etwas den Tatsachen jenseitiges, d.h. Werte, anzunehmen, ist müßig, weil es pragmatistisch nichts hergibt.

Der im Zynismus angekommene Pragmatiker bedient eben aufgrund dieser Selbstverständlichkeit der Tatsachen nur noch in den allerseltensten Fällen die Redewendung „Fakt ist…“. Längst ist sie ihm zu ungelenk und abgegriffen, zu abgehalftert, als dass er mit ihr noch beim Publikum „landen“ wollte. Stattdessen lässt er ganz einfach für sich – die Fakten sprechen! Die nämlich sind allgemein verständlich.

Es gibt keine anderen Werte als die Tatsachen

Unabhängig davon, ob die Fakten nun solche der Erfahrung oder der Mathematik (Bilanzen) sind, sie lieben den Jünger des Erfolgs. Das jedenfalls ist der Schluss, den dieser aus seinem Glauben an die Allmacht der Fakten zieht.

Die Liebe hingegen ist den Fakten widerwärtig. Sie schenkt ihnen nicht genug Aufmerksamkeit. Auch dankt die Liebe den Fakten ihre Faktizität nicht. Ihrerseits sind die Fakten aber oftmals genauso widerspenstig wie erbärmlich. Vor allem erbärmlich knauserig sind sie. Sie belohnen den Jünger des Erfolgs nicht gerade überschwenglich, sondern knauserig.

Um doch noch seine Freude an der Knauserigkeit der Fakten zu haben, ist der Jünger des Erfolgs gezwungen, sich selbst zu erniedrigen. Dass die Erfolge ihm auch ja nicht zu klein erscheinen mögen! Diese Selbstsuggestion ist eine Perversion eines an sich schon perversen Sachverhalts, den Äsop in seiner Fabel „Der Fuchs und die Trauben“ dargestellt hat: Die Trauben, an die der Fuchs nicht heran kam, waren ihm angeblich zu sauer.

Einem Erfolgsfetischisten aber ist keine Traube zu klein oder zu sauer, so er an sie herankommt. Sein aus der reinen Faktizität gewonnenes Fazit lautet: „Süße Trauben gibt es nicht. Saure Trauben gibt es nicht. Es gibt nur Trauben, an die man auch herankommt. Anderweitige Trauben – d.h. Trauben, an die man nicht herankäme – gibt es nicht.“ Gäbe es sie dennoch, würden sie von ihm kurzerhand und ohne Angabe eines näheren Grundes als „nicht der Rede wert“ betrachtet.

Damit handelte sich aber nicht einmal mehr um saure Trauben, sondern um Trauben, denen er überhaupt die Traubenheit abgesprochen hat. Ganz so, als ob es sie als Trauben nicht gäbe! Genau so verfährt er mit den Werten: Werte sind nicht wissbar wie Tatsachen. Nur Tatsachen sind wissbar. Und, was nicht wissbar, verdient keine Aufmerksamkeit.

Die Not als Lehrmeisterin des Faktenmenschen

So eine zynisch die Unterschiede und Nuancen genauso wie die Qualitäten miss- und verachtende Weltsicht ergibt sich aus der Not, der geistigen wie der materiellen: Wer sich als Notleidender gezwungen sieht, sich selbst erniedrigen zu müssen, um seine Not zu lindern, der wird fortan danach streben, Dinge, die zu hoch für ihn sind, so tief wie möglich nach unten zu ziehen.

Bereits ein Herunterziehen auf die eigene Augenhöhe kommt dabei einer Entweihung, Schändung und Misshandlung gleich. Der Faktenmenschen verkündet: „Es ist eine schwere Sünde, den Tatsachen Gewalt anzutun.“ Dabei tut er selbst viel Schlimmeres! Zieht so ein Faktenmensch die Liebe zu sich herunter, so tut er es, um sie äußerlich be-greifen und handhaben zu können.

Die Liebe bleibt dabei selbstredend unverstanden. Liebe ist etwas, das sich für ihn – wenn überhaupt – in politische Reflexionen auf die gleiche Art einbringen lässt, wie man mathematische Formeln auf die Mechanik anwendet. Nicht nur von der Liebe, von allem, was zu hoch für ihn ist, redet der Faktenmensch respektlos und niedrig. Für das Wenige, das er davon kosten durfte, war er einfach nicht geschaffen. Satt gegessen hat er sich dennoch, und zwar an Dingen, für die er geschaffen war.

Ohne Liebe keine Einsicht

Das Motiv der Liebe kann nur von lieblosen Menschen falsch eingeschätzt werden. Wer z.B. in der Weisheit das Motiv der Liebe nicht erblickt, der kann nicht weise sein, und wenn er auch mit noch so viel Sach- und Tatsachenwissen aufzuwarten hätte. Gerade die Weisheit nämlich ist einer der wenigen, anscheinend paradoxen Fälle, wo das Höchste sich nicht selbst genügt, sondern zu seiner Erfüllung der Liebe bedarf.

Eine Weisheit, die das nicht erkennt, ist keine Weisheit, sondern eine Afterweisheit, ihr Verfechter kein Weiser, sondern ein Tor, Sophist und Unhold. Konkret auf die Rechten bezogen heißt das: Wer für sich beansprucht, besser, als der Gegner es ist, ja, sogar besser, als der Rest es ist, zu sein, steht in der Pflicht einer höheren und darum auch besseren Einsicht.

Wofür kämpfen denn die Rechten, was ist der positive Grund, aus dem sie überhaupt da sind? Die Rechten sollten da sein gerade wegen einer höheren und besseren Einsicht! Wofür die Rechten im Einzelfall kämpfen, ist schwer zu sagen. Abstrakt streiten sie für Volk und Vaterland, hinter denen aber stehen sollte ein bestimmter Begriff von Gerechtigkeit sowie ein bestimmter Begriff von einem richtigen Geschichtsverlauf.

Gerechtigkeit und richtiger Geschichtsverlauf

In ihrer Allgemeinheit und theoretischen Abgezogenheit sind „Gerechtigkeit“ und „richtiger Geschichtsverlauf“ – d.h. die gesollte Geschichte – keinesfalls ein Anspruch, der sich auf das rechte Lager beschränkt. Jeder kann für sich, frei nach Belieben, wie er es eben für richtig hält, seine Begriffe von Gerechtigkeit und richtigem Geschichtsverlauf, erst behaupten und dann versuchen, sie gegen all die anderen geltend zu machen.

Das tun auch die meisten Menschen unabhängig davon, ob sie nun rechts sind oder nicht. Was der Stellenwert von Eigensinn, Selbstverliebtheit, Rechthaberei, und was sonst noch auf beschränkter, lücken- oder fehlerhafter Einsicht, oder gar gänzlicher Einsichtslosigkeit beruht, das soll einer mal mit einer liebevollen, gemeinschaftsstiftenden Einsicht, z.B. der eines Platon oder Fichte, vergleichen.

Ökonomisten wider Willen

Politik ohne Einsicht ist nicht einfach ein Tappen im Dunklen, ein individueller, im erfahrungsfreien bzw. traditionslosen Raum sich vollziehender Lernprozess – besser Bewährungsprozess – gemäß dem experimentellen Schema Versuch-Irrtum. Es ist ein Verharren im Irrtum, dem man nicht gewahr wird, eben weil man sich irrigerweise für einsichtig hält.

Dazu die rechtfertigende Behauptung, die Fakten hätten einem gesagt, dass man Einsicht besitzt, und, daraus abgeleitet, dass der Erfolg dem Erfolgreichen, der immer gleich auch für den Einsichtigen ausgegeben wird, recht gibt. Diese Behauptung ist ebenfalls irrig. Sie selbst ist das Ergebnis einer fehlerhaften Einsicht aufgrund eigenen Unvermögens. Und eine fehlerhafte Einsicht ist immer auch eine falsche Einsicht, gerade im Politischen.

Diese falsche Einsicht nun ist für all diejenigen, die eine rein kämpferische Auffassung von Politik besitzen, nicht nur kein Mangel, sondern, im Gegenteil, geradezu ein Gebot der Sachmäßigkeit. Unter Verquickung Max Weberscher, Carl Schmittscher und Spenglerscher Gedanken sehen sie überall da „politische Romantik“, wo die Motive des Kampfes ihnen zufolge nicht „richtig“ – d.h. richtig im Sinne eines ökonomischen (!) und machtpolitischen Determinismus – gewürdigt wurden.

Das ergibt im Endeffekt schlechtesten pseudomarxistischen Ökonomismus. Sie sind „Ökonomisten“ wider Willen, halten sich aber dabei selbst für „Politiker“! Stehen sie als Ökonomisten im Politischen, sehen sie, je nachdem, wie groß das eigene Vermögen ist, Schaden anzurichten, bald wie der Esel in der Garage, bald wie der Elefant im Porzellanladen aus.

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