Anstoß

Politische Justiz und das Ende der Republik

Wenn die Welt am Rande eines Krieges steht, geht so manches im Nachrichtenwirbel unter, was sonst Schlagzeilen produzieren würde.

In Italien wird am 20. Januar ein Ausschuß des italienischen Senates darüber entscheiden, ob die gesamte Kammer über die Aufhebung der Immunität Matteo Salvinis abstimmen wird. Der ehemalige Innenminister soll wegen Freiheitsberaubung angeklagt werden, da er im Juli 131 Migranten untersagt hatte, daß Küstenwachschiff Gregoretti zu verlassen und in Italien an Land zu gehen. Im Falle einer Verurteilung drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft.

Einen ähnlichen Versuch, Salvini vor Gericht zu bringen, gab es bereits im März 2019, weil er 177 Migranten eine Woche lang an Bord des Küstenwachschiffes Diciotti hatte festhalten lassen. Damals war Salvini noch im Amt und der Senat stimmte mit 237 Stimmen gegen 61 gegen die Aufhebung seiner Immunität.

Die Mobilisierung der Gerichte

Der erneute Versuch, Salvini den Prozeß zu machen, ist die neueste Episode eines Trends, der die westlichen Demokratien in den letzten Jahren erfaßt hat: Seit Gegner des Establishments realistische Wahlchancen haben, werden die Gerichte gegen sie mobilisiert.

Der Vorreiter dieser Entwicklung sind die Vereinigten Staaten. Dieses Land hat seit dem Fall Marbury v. Madison aus dem Jahr 1803, in dem sich der Oberste Gerichtshof selbst das Recht zusprach, die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu prüfen, eine über zweihundertjährige Geschichte justizieller Selbstermächtigungen hinter sich. Inzwischen kann jedes einzelne von 94 Distriktgerichten Gesetze und Verordnungen für verfassungswidrig erklären und sie somit zumindest bis zur gegenteiligen Entscheidung durch höhere Instanzen blockieren.

Dieser justizielle Aktivismus spielt eine wesentliche Rolle in der Strategie des US-Establishments gegen Donald Trump und trug erheblich zur derzeitigen innenpolitischen Krise der Vereinigten Staaten bei, die sich am 3. Januar auf die Weltbühne entlud.

Machiavelli meinte zwar, daß die Anklagen den Republiken so nützlich seien, wie die Anschuldigungen schädlich, weil sie Sachverhalte klären und verhindern, daß sich Verleumdungen in der öffentlichen Meinung festsetzen, doch wenig zersetzt eine Republik so gründlich, wie die Politisierung der Justiz.

Beamtenloyalität unter wechselnden Regierungen ist eine Schwierigkeit der Demokratie

Eines der großen Probleme, die zu lösen sind, wenn Ämter durch Wahlen an Bewerber unterschiedlicher politischer Richtungen vergeben werden sollen, ist die Loyalität der viel zahlreicheren Amtsträger, die nicht gewählt werden. In den meisten anderen politischen Systemen sind die Beamten einfach die Begünstigten der Machthaber. In demokratischen Systemen aber müssen wechselnde Machthaber mit Beamten regieren können, die zu guten Teilen von ihren politischen Gegnern ernannt wurden.

Die praktische Lösung dieses Problems sah in den westlichen Demokratien seit dem Zweiten Weltkrieg so aus, daß sich Kartelle etablierter Parteien herausbildeten, die einmal die Posten unter sich aufteilten und zum anderen dafür sorgten, daß die Beamten der einen Partei zumindest nicht übermäßig versuchen würden, einem Minister der anderen Partei zu schaden. Das schwarz-rote Proporzsystem der Republik Österreich ist ein extremes Beispiel, aber ähnliches gibt es auch in anderen Ländern.

Eine Gefahr für die Demokratie

Dieses System setzte freilich voraus, daß zwischen den wichtigen Parteien in Grundfragen Einigkeit herrscht. Seitdem dies in der Migrationsfrage nicht mehr der Fall ist, entpuppt es sich als Gefahr für die Demokratie.

Wenn es populistischen Parteien gelingt, gegen alle Widerstände an die Regierung zu kommen, dann müssen sie damit rechnen, daß ihnen die vom Establishment eingesetzte Beamtenschaft Sand ins Getriebe streut. Wenn dies in Zusammenarbeit mit Medien und zivilen Organisationen bis hin zum politkriminellen Rand linksextremer Gewalttäter geschieht, dann entsteht jener Komplex, für den sich der Ausdruck „tiefer Staat“ etabliert hat.

Das ist schlimm genug, aber prinzipiell ist eine neue Regierung solchen Elementen gegenüber weisungsbefugt und kann sie bei Weigerung entlassen. Sicher, die gegnerische Presse wird dann versuchen, daraus einen Skandal zu drehen und von den aufrechten Beamten schwadronieren, die sich den autoritären Maßnahmen der populistischen Regierung entgegenstellten. Man erinnere sich noch an das Gejaule, als Herbert Kickl (FPÖ) daranging, das österreichische Innenministerium, vorneweg das Amt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung auszumisten. Aber auch wenn es Geschick und Durchhaltevermögen erfordert, der tiefe Staat in der Beamtenschaft kann von einer gewählten Regierung mit verfassungsmäßigen Mitteln ausgehoben werden.

Das Schlimme an korrumpierten Gerichten ist, daß sie kaum innerhalb der Verfassung bekämpft werden können

Dehnt sich der tiefe Staat aber auf die Justiz aus, dann ist das kaum mehr möglich. Das Wesen einer funktionierenden Justiz liegt eben einmal in ihrer Unabhängigkeit, zum anderen in ihrer Unparteilichkeit. Auf diesen beiden Säulen ruht ihre Autorität, durch die Richtersprüche erst allgemein anerkannt werden. Ist die Unparteilichkeit nicht mehr gegeben, dann bleiben demjenigen, der sich im Fadenkreuz einer politisierten Justiz befindet nur zwei Wege:

Verfügt er über ein überwältigendes demokratisches Mandat, wie Viktor Orbán, dann kann er in einem einmaligen Akt in die Unabhängigkeit der Justiz eingreifen. Das ist in einer relativ milden Form durch die Ablösung von Richtern und die Beschneidung von Zuständigkeiten in Polen und Ungarn geschehen.

Bei größerer politische Polarisierung und härteren innenpolitischen Kämpfen kann sich eine relativ harmlose Lösung wie diese als nicht mehr durchsetzbar erweisen. Dann bleibt ihm nur noch, die Legitimität dieser Justiz öffentlich in Zweifel zu ziehen und ihre Urteile zu ignorieren, sobald er sich dafür stark genug glaubt. Die Rechtsordnung kann dadurch freilich irreparablen Schaden nehmen, aber keine politische Kraft kann sich auf den Sokrates-Spruch zurückziehen, daß es besser sei, Unrecht zu erleiden, als Unrecht zu tun.

Strafrechtliche Verfolgung ist eine neue Stufe Eskalation

Das jüngste Vorgehen gegen Salvini überschreitet eine weitere Linie des justiziellen Aktionismus. Es ist immer noch ein Unterschied, ob die Justiz bloß durch zivil- und verwaltungsrechtlichen Aktionismus ihre Kompetenzen überschreitet, oder ob das Establishment versucht unliebsame Politiker unter hanebüchenen Vorwänden strafrechtlich zu belangen. Das erstere kann das Regieren unmöglich machen, ohne sich mit der dritten Gewalt anzulegen. Das letztere heißt nichts anderes, als das ein populistischer Politiker sein Amt nicht niederlegen kann, ohne fürchten zu müssen, von seinen Gegnern ins Gefängnis gesteckt zu werden. Wenn das normalisiert wird, dann sind wir bei den Zuständen der späten römischen Republik angelangt. Ein politisches System, in dem Ämter durch Wahl auf Zeit vergeben werden, wäre dann nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Wenn diejenigen, die beständig erklären, unsere Demokratie zu verteidigen, damit irgendetwas anderes meinen, als den eigenen Machterhalt, dann müssen sie mit der Politisierung der Justiz aufhören. Jetzt.

Hier geht es zu BN-Anstoß I über Politische Prozesse.

(Bild: Pixabay)

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