Gesichtet

Streit ja, aber Opfer diffamieren?

Dass der Historiker und Schriftsteller Karsten Krampitz, geboren 1969, im zwangsfinanzierten Deutschlandfunk und in anderen Medien die Geschichte der DDR neu erzählen möchte, ist sein gutes Recht.

In einem demokratischen Rechtsstaat dürfen alle möglichen Interpretationen veröffentlicht werden. Historiker streiten sich wie Wissenschaftler aller Fakultäten. Der faire Streit bringt uns stets der Wahrheit etwas näher, ohne dass wir sie jemals 100-prozentig vereinnahmen könnten. Die Unvollkommenheit ist unser irdisches Schicksal. Jeder Mensch hat bekanntlich seinen individuellen Blickwinkel, vor allem wenn es um Interpretationen erlebter Geschichte geht, die sich immer aus zigtausenden Geschichten zusammensetzt.

Totalitäre Parteien verbieten!

Noch Tausende Jahre später wird es immer wieder Historiker geben, die ein verfestigtes  Geschichtsbild wieder umstoßen, weil sie auf neue bisher verborgene Quellen gestoßen sind oder neue Ideen zur Interpretation alter Geschichte gefunden haben. Doch Krampitz kommt als Mitglied des SED-Nachfolgers „Die Linke“ daher, gehört einer Partei an, die laut einstigem Gerichtsbeschluss durchaus als „Verbrecherpartei“ bezeichnet werden darf.

Leider wurde sie nach der friedlichen Revolution und dem von ihr verschuldeten Zusammenbruch des deutschen Teilstaates nicht verboten wie einst zurecht die NSDAP. Die SED- und Blockparteien-Bonzen, darunter hunderte ehemalige Nazi-Anhänger, haben unsägliches Leid über Millionen Menschen und Familien gebracht, brachten gleichzeitig natürlich vielen Anhängern und Unterstützern auch Privilegien ein, ohne dass man dafür besonders begabt sein musste, lediglich ein guter Untertan und Phrasendrescher – das genügte schon, um einigermaßen heil und oft auch besoffen durch den grauen Alltag dieser sowjetischen Besatzungszone zu kommen.

So alt wie im Westen Deutschlands wurde man freilich nicht, und bezogen auf die Selbstmordrate durfte die DDR auch Weltmeister sein, nicht nur mit ihren mit Drogen vollgepumpten Athleten.

Unter die Leute mischen

Dass diese totale Versager-Partei von Moskaus Gnaden auch mit etwas abgemilderten Vorsätzen nun in einem einigermaßen frei gewählten Parlament wieder mitregieren darf, wer hätte sich das jemals ausdenken können? Ein solcher Genosse wie Krampitz will uns nun „die DDR neu erzählen – ohne sie zu verklären, aber auch ohne sie zu dämonisieren“.

Den Ansatz finde ich gut und richtig, denn das war auch der Ansatz von Günter Schabowski, mit dem ich dutzende Male zwischen München und Hamburg aufklärend durch Vereine und Schulen gezogen bin. Denn er war einer der ganz wenigen aus der oberen Riege der SED, der nach seiner einsichtsvollen Bekehrung über die von die ihm mit-verursachte Misere authentisch Zeugnis ablegen konnte.

Was zu der Bekehrung führte? Vor allem der Schock, dass ausgerechnet er, der sich im Gegensatz zu den anderen feigen Genossen, die sich verkrochen hatten, als es brenzlig wurde, unter die Leute wagte, um noch im Sinne der Partei zu argumentieren, dass also ausgerechnet er von solchen Spitzbuben wie dem Stasi-Zuarbeiter Gysi aus der SED, die nun PDS hieß, ausgestoßen worden war.

Das sprengte ihm sozusagen den ideologischen Reifen weg, der seine Parteilichkeit im Kopfe zusammengehalten hatte. Nun wurde er ein Suchender und sich neu Orientierender. Er nahm gegen den Rat seiner Anwälte seine Strafe an und ging sozusagen freiwillig ins Gefängnis, aus dem ihm dann der damalige Oberbürgermeister Diepgen durch Gnadenerweis bald befreite. Er hatte sich nichts, wie viele andere Genossen und Verwalter des SED-Vermögens etwas beiseite gelegt, sondern war durch die Anwalts- und Gerichtskosten total verschuldet. Doch er hatte den Mut, um Entschuldigung zu bitten, nämlich uns, die Opfer seiner Politik.

Günter Schabowski und meine Kellerperspektive

Er berichtete vor Schülern, Studenten oder Erwachsenen die DDR-Geschichte aus seiner Politbüro-Perspektive, während ich anschließend meine Geschichte aus der Kellerperspektive berichtete, denn ich durfte ja insgesamt 401 Tage Kellereinzelhaft während der sogenannten Entspannungszeit im Zuchthaus Cottbus über mich ergehen lassen.

Natürlich hieß diese Zuchtstätte schön harmlos „Strafvollzugseinrichtung“. Bevor die politischen Häftlinge als „Menschenfleisch im innerdeutschen Handel“ (Wolf Biermann) nach dem Westen verkauft wurden, mussten die Unbeugsamsten zuvor noch gehörig von „Erziehern“ im Offiziersrang erzogen und von Wärtern mit Spitznamen wie „Roter Terror“ oder „Arafat“ brutal gequält werden.

Nach solchen gegensätzlichen Berichten von Schabowski und mir aus demselben deutschen Staat, der gar aus der Nazi-Diktatur seine Lehren gezogen haben wollte, staunte das Publikum immer über die breite Spanne, die hier in Kürze über das ihnen zumeist unbekannte Land namens DDR ausgebreitet worden war. Und noch mehr erstaunte, dass wir heute beide so friedlich nebeneinander sitzen konnten und uns sogar sympathisch fanden. Er lernte, als ich noch bei Würzburg lebte, meine damalige Familie kennen und übernachtete zweimal bei uns.

Eine Diktatur ist niemals ein Rechtsstaat

Für Schabowski war die DDR zurückblickend ganz eindeutig ein Unrechtsstaat. Das konnte der Historiker und langjährige Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, faktisch nur noch bestätigen, also ganz im Sinne derer, die dort als Zeitzeugen aus ihren Erlebnissen berichten. Doch Historiker wie Krampitz & Co. meinen, dass auch dieser Begriff „von den Menschen, die in der DDR gelebt haben, nicht angenommen“ worden sei.

Unglaublich! Waren das etwa keine Menschen, die alle Unrechtsstaaten im Ostblock auf friedliche Weise gegenüber den blutrünstigen Revolutionstheorien von Marx oder Lenin zum Einsturz gebracht hatten? Auch wenn der Terror der 50er Jahre in den 80er Jahren nicht mehr so brutal war, so bleibt eine Tatsache dennoch bestehen: eine Diktatur kann nie ein Rechtsstaat sein, schon gar nicht, wenn man es nötig hat, seine Bewohner einzumauern und sogar die angeblichen Wahlen, die ohnehin nie echt waren, trotzdem noch zu fälschen. Was also gibt es an solch einem undemokratischen Staatsgebilde eigentlich noch zu delegitimieren?

„Die glücklichen Sklaven sind die erbittertesten Feinde der Freiheit.“

Natürlich stimmt es noch immer, was Maria Ebner-Eschenbach schon vor vielen Jahren erkannte: „Die glücklichen Sklaven sind die erbittertesten Feinde der Freiheit.“ Doch auch der Erkenntnis von Ewald von Kleist kann ich zustimmen: „Es gibt keine unbiegsameren und härteren Menschen, als diejenigen, die immer mit der Betrachtung ihres Unglücks beschäftigt sind.“

Knabe hat zwar unser Unglück nicht erlitten, aber er setzte sich wie kaum ein anderer für die Belange derer ein, die sich nicht großkotzig anmaßten, Geschichte zu machen, sondern sie hilflos zu erleiden hatten, sei es in der nationalsozialistischen oder realsozialistischen Diktatur. Während die SED-Oberen längst wieder ihre Felle im Trocknen hatten, mussten deren Widerständler oder unschuldig Verurteilten 17 Jahre warten, bevor sie vom Bundestag eine kleine „Opferrente“ zugesprochen bekamen, doch selbst dazu musste man faktisch arm oder alt, also Rentner sein.

In allen anderen Staaten des Ostblocks wird der Opfer würdiger gedacht; selbst in Moskau steht ein Denkmal für die Opfer des Kommunismus. In Deutschland und besonders in Berlin und Brandenburg hingegen dürfen die SED-Bonzen und ihre Stasi-Offiziere alles relativeren, verharmlosen und verhindern.

Auschwitz in den Seelen?

Krampitz verstößt auffällig gegen das, was er von dem französischen Philosophen Paul Ricœur zitiert, nämlich, dass es dem Historiker vorbehalten bleibt, „zu verstehen ohne zu verurteilen und ohne zu entschuldigen“. Im Gegenteil, der Partei-Historiker diffamiert nicht nur mich in unflätiger Weise mit falschen Behauptungen aus unsaubersten Quellen, sondern vor allem auch meinen alten Freund Jürgen Fuchs, der sich nicht mehr wehren kann.

Ihm unterstellt der nichts verstehen wollende, aber aburteilende Historiker sogar eine „den Holocaust relativierende Äußerung“. Dass ich dann gar noch einen Schritt weiter gegangen sei, versteht sich von selbst, denn solches wird ohne Beweise in den öffentlichen Raum gestellt, als hätte ich je „einer ehemaligen Aufseherin aus dem KZ Ravensbrück zur Anerkennung als Verfolgte des Stalinismus und zu einer Entschädigungssumme“ verholfen.

Das Recherchieren scheint der SED-Historiker nie gelernt zu haben, denn erstens war die Frau keine KZ-Aufseherin in Ravensbrück und zweitens kann keine Privatperson jemand in einem Rechtsstaat zu einer Entschädigung verhelfen, zumal ich nie in jener Bundesstiftung arbeitete, die einst nach zweijähriger Prüfung die Entschädigung veranlasst hatte.

Und wenn eine solche angebliche „Nazi-Tante“ einem Widerständler gegen die zweite deutsche Diktatur ein Geschenk von der ihr ausgezahlten Summe gemacht hat, dann müsste man sich doch riesig freuen, dass solches Geld nicht in die Hände von Neonazis geflossen ist, sondern, wie der ehemalige Rechtsbeistand Willy Brandts, Holm Schöne, es einmal formulierte, „in die Hände eines tapferen Menschen gelangte, der für die deutsche Wiedervereinigung und einen demokratischen Rechtsstaat eingetreten ist“ – oder?

Ja, der ehemalige Stasi-Häftling Jürgen Fuchs hat als Psychologe völlig zurecht von „Auschwitz in den Seelen“ gesprochen, bezogen auf jene, die in den Folter- und Vergewaltigungsstätten für Kinder und Jugendliche wie in Torgau oder die durch Zersetzungsmaßnahmen der Stasi, durch zumeist absurde Gerichtsurteile vor ausgesperrtem Publikum und inhumanen Haftbedingungen zu „posttraumatischen Belastungsstörungen“ und vielen weiteren Verlusten und Schädigungen getrieben worden sind, die ihnen bis heute unheilbar zu schaffen machen.

Nein, weder dort noch in Cottbus ging es so zu wie im KZ Buchenwald, wo Kommunisten das Kommando an sich rissen, der SS weisungsberechtigt die Arbeit abnahmen, dafür ein Lagerbordell nutzen durften, während sie selber andere, darunter auch jüdische Häftlinge, in den Tod trieben. Einer dieser kommunistischen Mörder hieß Helmut Thiemann, der sich auch Rolf Markert nannte.

In einem internen Bericht für die SED schrieb er nach Kriegsende: „Im Lager hatten wir eine Zeit lang circa tausend freiwillige Wlassow-Leute. Die russischen Genossen verlangten von uns die Beseitigung derselben.“ Thiemann gestand, dass von ihm und seinen Genossen 176 Menschen durch das sogenannte Abspritzen getötet wurden. Er behielt seinen Decknamen Rolf Markert, wurde in den Dienst der sogenannten Volkspolizei aufgenommen und ging ohne posttraumatische Belastungsstörungen 1981 als Generalmajor in den Ruhestand. Der SED-Bezirksleitung Dresden gehörte er bis 1989 an.

Die Kultur des Denunziatorischen

Das, was dieser unredliche Historiker Krampitz in seinen Aussagen und Urteilen praktiziert, ist ganz offensichtlich das, was die Mehrheit seiner Parteimitglieder weiterhin mit den ihnen eingetrichterten Stasi-Methoden veranstalten, nämlich die Zersetzungsmaßnahmen nach der Richtlinie 1/76. Dazu gehören:die systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, die systematische Organisation beruflicher und gesellschaftlicher Misserfolge, die Untergrabung des Selbstvertrauens einzelner Personen und die Erzeugung von Misstrauen und gegenseitigen Verdächtigungen.

Es lässt sich nur hoffen, dass in diesem heute erneut für Stasi-Nachfolger günstig gewordenen Klima bald ein Untersuchungsausschuss zustande kommt, der den Dingen, die in Hohenschönhausen aus dem Ruder gelaufen sind, endlich auf den Grund geht. Wer fürchtet denn Aufklärung? Solche Leute, die sich über andere erhaben dünken, weil sie angeblich die Geschichtsgesetze von Karl Murks kennen und damit immer wissen, wo es lang geht und lang zu gehen hat.

Ein redlicher Forscher scheut sich vor keinem Vergleich, denn nur durch Vergleiche werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten deutlich. Aber Leute wie Krampitz haben es nicht einmal nötig, mit Zeitzeugen, die noch leben, das Gespräch zu suchen.

Es geht dabei immer um unsere Zukunft, die jedoch nur derjenige mit Anstand und Hoffnung ansteuern kann, der die Geschichte nicht zugunsten einer abgedankten Ideologie bewusst verfälschen will. Von solchen Reaktionären, die sich gar noch für fortschrittlich halten, müssen wir uns überhaupt nichts sagen lassen. Mein Trotz speist sich aus der Einsicht, dass ich Gott mehr gehorchen muss als einem Menschen.

(Bild: Pixabay)

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