Der 1995 gestorbene Emil M. Cioran hielt die Barbarei für notwendig. Einige seiner jetzt ins Deutsche übersetzten frühen Texte zeigen, warum sie auch heute verteidigt werden sollte.
Das Leben von Cioran hätte für einen prägenden Geist des 20. Jahrhunderts nicht aufregungsloser verlaufen können. Geboren am 8. April 1911 im siebenbürgischen Städtedorf, studierte er nach seinem Abitur in Bukarest Philosophie und Ästhetik. Studienaufenthalte verbrachte er zwischen 1933 und 1935 in Berlin und München. 1937 ließ sich Cioran dann in Paris nieder und verbrachte dort den Rest seines Lebens, wobei ihn eine Zwischenstation als rumänischer Kulturattaché nach Vichy führte. Hier liegt auch die Ursache für sein ab 1941 besiegeltes Schicksal als Exilant.
Als Sympathisant der gerade niedergeschlagenen Eisernen Garde rechnete er mit Repressalien, wobei nicht sicher geklärt ist, ob ihn diese wirklich erwartet hätten. Seine meisten Lebensjahre in Paris verbringt er schließlich in einer kleinen Mansarde im Quartier Latin, deren Decke teilweise so niedrig ist, dass der ohnehin nicht sehr große Cioran den Kopf einziehen muss. Trotz allem ist es sein Königreich. Mit Rumänien bleibt er innerlich immer verbunden, auch wenn er nie dorthin zurückgekehrt ist. Um sein Heimatland kreisen dann auch die Artikel und Aufsätze, die unter dem Titel „Apologie der Barbarei“ nun erstmals in deutscher Übersetzung im Karolinger Verlag erschienen sind.
Der Charakter der Barbarei ist überzeitlich und übernational
Der titelgebende Artikel stammt wie fast alle anderen Texte des Bandes aus den 1930er Jahren. Obwohl die besondere politische Situation Rumäniens jener Jahre Ciorans Werk in dieser Zeit maßgeblich prägte, schafft er es als wahrscheinlich skeptischster Aphoristiker, seiner Verteidigung der Barbarei überzeitlichen und übernationalen Charakter zu geben. Dieser Charakter ist grundsätzlich positiv und Cioran hält sie für „die erste Morgenröte einer Kultur“.
Für ihn ist sie notwendig, um inhaltslos gewordene Institutionen, „überholte Gewohnheiten“ und „leere Glaubensformen“ niederzuschlagen und die Vitalität zurückzubringen. Wie im Rumänien der 1930er Jahre hätte Cioran diese Vitalität wohl auch im Deutschland des Jahres 2016 schmerzlich vermisst, in dem der Sieg eines Donald Trump zu tränenbeschwerten Hasskommentaren führt und eine Angela Merkel mit ihrer Herablassung zu einer weiteren Kanzlerkandidatur für Stürme der Begeisterung sorgt. Diesem Verfaulen, das für Cioran vor allem auch den menschlichen Geist betrifft, will Cioran die Erschütterung durch die Barbarei entgegengesetzt wissen. Sie sorge für eine „innere Reinigung“ und eine „totale Belebung“.
Die Barbarei bringt die Vitalität zurück
Nur allzu verständlich ist deshalb auch, dass sich Cioran in einem weiteren Artikel gegen die Ideokratie richtet. Eine solche Herrschaft der Ideen, die in eine Tyrannei des „man muss“ münde, lehnt er ab. Sie führe in ein geschlossenes System ohne Vitalität, das sich dann nicht nur nach außen, sondern auch nach innen verteidigen müsse. Instrumente wie „Political Correctness“ oder „Hate Speech“ zeigen in unseren Tagen, wie diese Verteidigung nach innen aussehen kann, um niemanden zu der Idee kommen zu lassen, dass alles Betrug ist.
Dessen war sich Cioran an anderer Stelle in seinem späteren Werk sicher. Zu diesem Betrug leiste auch die „offizielle Kultur“ ihren Beitrag. Diese sei „eine Kultur der Informanten, der Mittelmäßigkeiten, die ihre Zeit nur durch Absurditäten, die klassisch werden, übertreffen können“. Ihre Grenzen werden dementsprechend auch durch die Ideokratie gesetzt. Für Cioran ist es das Eigene, das über diese Grenzen hinausgeht. Das begründet sich für ihn nicht durch einen Mangel an Vorhandensein, sondern durch die Unfähigkeit der offiziellen Kultur, im Rahmen eines geschlossenen Systems etwas über das Eigene zu sagen, ohne die Grenzen dieses Systems zu verletzen. Deshalb weiche die offizielle Kultur auf die Kultur des Anderen aus.
Existentieller Skeptizismus als Prägekraft des Selbstbewusstseins
Insgesamt zeigen die in dem jetzt veröffentlichten Band versammelten 22 Texte bereits die Grundstruktur des Denkens, das Ciorans Lebenswerk heute auszeichnet. Darin spielt der existentielle Skeptizismus die Hauptrolle. Dieser ist für Cioran die wesentliche Prägekraft des Selbstbewusstseins und der Schlüssel zu einem sinnerfüllten Leben. Für ihn ging dieser Skeptizismus so weit, lieber nichts als irgendetwas sein zu wollen. Gleichwohl war er sich auch darüber bewusst, wie viel Mut diese Lebenshaltung erfordert. Wenn dieser Mut aber fehle, dann habe es auch keinen Sinn weiterzuleben. Damit meinte er nicht nur den einzelnen Menschen, sondern das wollte er auch auf Nationen bezogen wissen – die rumänische als erstes.
Eine Nation, die sich nicht durch ein eigenständiges Sein auszeichnet, sondern einfach nur so ist wie alle anderen, hat dann aus der Sicht Ciorans auch keine Existenzberechtigung. Hier schließt sich in dem vorliegenden Band gut übersetzter Texte der Kreis zur Vitalität, die Cioran immer wichtiger war als die Anpassung an wen oder was auch immer. Trotz eines Cioran kaum gerecht werdenden Nachworts von Herausgeber Martin Bertleff bietet der Band einen guten Einstieg in das Werk des rumänischen Philosophen, Aphoristikers und radikalen Kulturkritikers, der auch für Cioran-Kenner dem Einblick in das innere Universum dieses depressiven Meisternachdenkers ein weiteres Fenster hinzufügt.
Emil M. Cioran (2016): Apologie der Barbarei, Karolinger Verlag, Wien, 135 Seiten, 19,90 Euro.
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