Rezension

Warum Doctor Strange nicht nach Tibet darf

Der Superheldenfilm ist derzeit ein Genre, das Millionengewinne abwirft. In den nächsten fünf Jahren wollen die großen US-Studios bis zu 30weitere Filme produzieren.

Letzte Woche starteten die Marvel Studios mit einem neuen Superhelden: dem Magier Doctor Strange. Der 1963vom omnipräsenten Stan Lee erdachte Dr. Stephen Vincent Strange war einer dieser arroganten Götter in Weiß. Ein Neurochirurg, der bei einem Unfall seine Hände so schwer verletzte, dass er nie wieder als Arzt arbeiten konnte. Was tut ein studierter New Yorker Mediziner in so einer Situation? Richtig, er geht nach Tibet und lässt sich von einem uralten tibetanischen Magier, genannt „Ancient One“, mit mystischen Artefakten versorgen und in den dunklen Künsten ausbilden, um die Welt der Sterblichen vor übernatürlichen und interdimensionalen Gefahren zu beschützen. So weit so gut und seit über 50 Jahren ein Garant für fantastische Geschichten. Leider passt diese Entstehungsgeschichte nicht zu den realpolitischen Gegebenheiten und Interessen der Filmstudios im Jahr 2016. Aber kein Problem – Marvel hat bereits bewiesen, dass man in dieser Hinsicht flexibel ist.

Wenn Political Correctness nach hinten losgeht

Als Marvel die Schauspieler für Doctor Strange vorstellte, freuten sich die Fans, dass der talentierte Benedict Cumberbatch die Titelrolle übernehmen wird und seinen Platz im Marvel Universum findet. Auf Kritik stieß die Besetzung der Schottin Tilda Swinton als magische Lehrmeisterin „Ancient One“. Der Vorwurf lautete: Whitewashing. Unter Whitewashing versteht das politisch korrekte Hollywood eine Besetzung, die sich nicht an die ethnischen Vorlagen hält und den Charakter durch einen weißen Schauspieler oder durch eine weiße Schauspielerin ersetzt.

Da man bei Marvel auf diesen Vorwurf vorbereitet war, wurde aus dem uralten tibetanischen Lehrmeister kurzerhand eine junge Keltin, die ihrer Lehrtätigkeit in Nepal nachkommt. Denn Genderswapping, also ursprünglich männliche Rollen mit Frauen zu besetzen, honorieren die politisch korrekten Kritiker. Aber warum das Ganze? Marvel unterwirft sich hier den strengen Regeln der chinesischen Zensurbehörden, die jedes Jahr nur eine begrenzte Anzahl von ausländischen Filmen in die Kinos der Volksrepublik lassen. Eine der wichtigsten Regeln ist, dass das besetzte Tibet oder die tibetische Kultur nicht erwähnt werden dürfen. Da die chinesischen Umsätze die Einnahmen aus dem nordamerikanischen Markt schon lange hinter sich gelassen haben, ist man moralisch flexibel geworden. Und wie bei zahlreichen anderen Filmen (World War Z, Red Dawn, Mission Impossible III) hätte es niemand bemerkt, wenn sich nicht einige Dauerbeleidigte über zu viele weiße Schauspieler beschwert hätten.

Iron Man 3 – Zwei Versionen eines Films

Zwischen Marvel und den chinesischen Zensurbehörden gibt es bereits eine längere und produktive Zusammenarbeit. Das bisherige Meisterstück war Iron Man 3 aus dem Jahr 2013. Hier wurde sogar eine eigene Handlung erfunden, die mit chinesischen Superstars gedreht wurde. So verdankt in der exklusiv nur in China gezeigten Version Tony Stark (Iron Man) sein Leben dem Einsatz zweier chinesischer Ärzte. Neben übermäßigem Product Placement gibt es wie selbstverständlich eine eingespielte Propagandaszene mit jubelnden Schulkindern. Zudem wurde das aus der Comicvorlage stammende Problem mit der chinesischen Herkunft des Superschurken und Topterroristen „Mandarin“, der die USA mit Terror in die Knie zwingen will, durch einen geschickten Dreh in der Handlung gelöst. Mit ähnlichen Handlungstricks soll auch die Herkunft von „Ancient One“ in Doctor Stange erklärt werden, damit die Kinokassen klingeln – in China und dem Rest der Welt.

Was bleibt, ist ein kleiner Einblick in die US-Unterhaltungsindustrie, in der man Tibet ohne Bedenken aus der Weltgeschichte streichen kann, solange man es nicht mit zu vielen weißen Schauspielern tut.

Doctor Strange läuft seit dem 27. Oktober in den deutschen Kinos.

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