Gesichtet

Wie Instagram Anatolien verwestlicht

Wir haben das Bild unserer Zeit! Entgegen einem populistischen Vorurteil besteht die weibliche Hälfte von Erdo?an-Land nicht nur aus Kopftüchern. Nein, ihr Nazis!

Auch in der Türkei gibt es richtige Schlampen. Eine davon hat kürzlich dieses Bekenntnis (siehe Bild) zu den Werten unserer freiheitlich-westlichen Welt abgelegt.

Der Kerl mit Hundeblick und Hundezunge ist der Tattookünstler und die Dame mit zuviel Lippenstift ist Naz Mila, ein türkischer Reality-TV-Star aus Aserbaidschan. Die Frau auf dem Poster im Hintergrund, deren oberste Gesichtshälfte man nicht sieht, scheint Marilyn Monroe zu sein.

Wie Marilyn Monroe in den 50ern

Und dieses Bild steht für unser Jahrzehnt, wie sonst nur Marilyn Monroes Playboyphoto von 1953 für die Fünfziger. Vergleicht die beiden ruhig mal. (Auf BN zeigen wir keine nackten Brüste mehr, also müßt ihr Marilyn Monroe selber finden). Diese beiden Bilder zeigen Anfang und Ende der Entwicklung des weiblichen Stars.

Das Phänomen der weiblichen Berühmtheit, wie es heute in Form von Stars und Starletts selbstverständlicher Teil der Popkultur ist, hat noch keine hundert Jahre auf dem Buckel. Es kam erst mit den photomechanischen, später digitalen Bildmedien auf. Daß eine hübsche Frau im Extremfall des Erfolges zum Sexsymbol ihrer Generation werden kann und zehntausende Mädchen versuchen, das zu erreichen, war vorher schlicht unmöglich.

Glamour

Zum Bild Marilyn Monroes: Am Anfang dieser Entwicklung stehend, ist das altmeisterliche Aktportrait noch unverkennbar. Der damals gebräuchliche Ausdruck „Glamour“ für hochkarätige Wichsvorlagen hatte seine doppelbödige Berechtigung. Es war eine abschüssige Bahn und man mußte nicht prüde sein, um zu erkennen, wohin das führen würde – auch für die gefallsüchtige Marilyn selbst, die später an einer Überdosis Medikamenten starb.

Doch für die Zeit ging es nicht nur gut, sondern blendend. Als Marilyn Monroe dieses Photo für den Playboy machen ließ, stand sie gerade vor dem großen Durchbruch. Zu Beginn ihrer Karriere hatte sie neben Pin-Up-Aufnahmen keine Pornos, aber Erotikfilmchen gedreht. Doch in den Anfangsjahren von Hollywood war das nichts Ungewöhnliches. Schauspielerinnen kamen manchmal sogar aus der Halbwelt.

Es gab noch kein Internet, das sich an alles erinnert. Marilyn wurde zur Diva und ihr Aktphoto zur Ikone. Originalausgaben des Playboys vom Dezember 1953 wechseln heute als Sammlerstücke für tausende von Dollars den Besitzer.

Comedy und Sex in Anatolien

65 Jahre später sind wir nicht mehr im Zentrum von Hollywood, sondern in Anatolien. Das Anatolien, an das man beim Wort „Anatolien“ denkt, Frauen im Kopftuch und Männer, die trotz ihres muslimischen Glaubens, Raki trinken, gibt es noch, aber jetzt gibt es auch in diesem Teil der Welt Sitcoms und Reality-TV und eben Naz Mila.

Und damit kommen wir zur Geschichte, die hinter diesem Bild steckt. Mila war Teil einer Dating-Reality-TV-Show, deren zumindest offizielles Ziel darin bestand, ihr vor den Augen der Öffentlichkeit einen Ehemann zu verschaffen.

Als ruchbar wurde, daß es im Rahmen dieser Show zu Prostitution kam, wurde sie abgesetzt. Als Reaktion lies Naz Mila sich das Tattoo stechen und veröffentlichte es für ihre immerhin über 800.000 Fans auf Instagram.

Der Spruch auf dem Tattoo soll ein türkisch-islamisches Sprichwort sein. Ins Deutsche übersetzt heißt es: „Nur Gott kann meine Fehler und Wahrheiten richten.“ Sie hätte es auf Türkisch oder auch auf Arabisch tätowieren lassen können. Sie ist ja keine internationale Berühmtheit, die Fans im Westen hätte.

Google dich

Den englischen Text als politische Botschaft aufzufassen, etwa gegen die entwestlichende, entdemokratisierende, islamisierende Politik Erdo?ans gerichtet, ginge schon viel zu weit. Aber trotzdem ist das als Bekenntnis gemeint. Auf einer viel primitiveren Ebene zeigt die Wahl der Sprache die Verbundenheit zum Westen, wie er im Kopf einer türkischen Reality-TV-Schlampe existiert. Zum Westen Marilyn Monroes, deren Poster in diesem Tattoostudio hängt.

Da aber offenbar weder Naz Mila selbst, noch der Tattookünstler auch nur halbwegs passables Englisch sprechen, haben sie den Text einfach durch den Googleübersetzer gejagt. Heraus kam: „I can judge a single god with my wrongs and wrongs“.

Erstens: Dieser Satz gibt die Einstellung eines Instagram-Nuttchens weit besser wieder, als der ursprünglich intendierte. Zweitens: Die ganze Geschichte steht für unsere Zeit.

Ein orientalisches Starlett tritt in einer Fernsehshow auf, die wegen Prostitutionsvorwürfen abgesetzt wird. Daraufhin läßt sie sich ein islamisches Sprichwort vom Googleübersetzer ins Englische transferieren. Den dabei herausgekommenen Schwachsinn läßt sie sich über den ganzen Körper tätowieren und zeigt sich damit halbnackt auf Instagram. Damit erreicht sie, was sie vorher nicht geschafft hat: Weltberühmtheit, wenigstens für einen Nachrichtenzyklus.

Das sind die Zehnerjahre des 21. Jahrhunderts! Wir können sicher sein, daß so etwas schon im nächsten Jahrzehnt nicht mehr möglich sein wird. Der Googleübersetzer wird bis dahin auch türkische Sprichwörter geknackt haben.

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